Zum Inhalt [I]
Zur Navigation [N]
Kontakt [C] Aktuelles [2] Suchfunktion [4]

Impuls zum 3. November 2024

Zum 31. Sonntag im Jahreskreis

Von Monika Bossung-Winkler, Diözesanverband Speyer

Gottesliebe – Nächstenliebe

In diesem Jahr haben wir nicht nur ein „langes Wochenende“, sondern praktisch drei Feiertage. Dabei ist uns an Allerheiligen und Allerseelen weniger nach Feiern zumute, denn sie sind mit Friedhofsgängen und Totengedenken verbunden. Und doch sind es Feiern: Wir feiern die Heiligen. Das sind nicht nur die von der katholischen Kirche „heilig“ Gesprochenen, sondern es sind alle Menschen, die für das Reich Gottes gelebt haben. Von ihnen glauben wir, dass sie nun die Vollendung des Reiches Gottes erfahren dürfen. Deshalb besteht eine Verbindung zwischen Allerheiligen/Allerseelen und den Texten des 31. Sonntags im Jahreskreis.
In der ersten Lesung hören wir das Schema Israel:

Dtn 6, 2-6
2Wenn du den Herrn, deinen Gott, fürchtest, indem du auf alle seine Gesetze und Gebote, auf die ich dich verpflichte, dein ganzes Leben lang achtest, du, dein Sohn und dein Enkel, wirst du lange leben.
3Deshalb, Israel, sollst du hören und darauf achten, (alles, was der Herr, unser Gott, mir gesagt hat,) zu halten, damit es dir gut geht und ihr so unermesslich zahlreich werdet, wie es der Herr, der Gott deiner Väter, dir zugesagt hat, in dem Land, wo Milch und Honig fließen.
4Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig.
5Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.
6Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen.

Das Schema Israel ist das wichtigste Gebet des Judentums, vergleichbar mit dem christlichen Vaterunser, das täglich morgens und abends gesprochen werden soll. Mehr als ein Gebet ist es ein Glaubensbekenntnis: „Jahwe, unser Gott, ist einzig“. 

Das ist mehr als eine Verpflichtung auf den Monotheismus, es ist eine Verpflichtung auf einen Gott, der für die Menschen da ist. Jahwe ist ein Gott, der nicht möchte, dass Menschen in Sklaverei leben. Er ist ein Gott, der die Menschen nicht als seine Diener, sondern als sein Ebenbild erschaffen hat. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal der jüdischen Religion. In anderen Religionen der Antike ist höchstens der König ein Abbild der Götter. In dieser Gottebenbildlichkeit aller Menschen ist für Gläubige auch die Menschenwürde begründet.

Im Buch Deuteronomium ist das Schema Israel praktisch die Antwort auf den Dekalog, bekannt als „Zehn Gebote“. Diese Gebote beginnen jedoch mit der Erinnerung an Gottes Befreiungstat aus der Sklaverei. Ihr Ziel ist es, Sklaverei für immer zu unterbinden und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen („damit es dir gut geht“). Die Metapher vom „Land, wo Milch und Honig fließen“ versinnbildlicht die Gaben, an denen alle teilhaben sollen. Die Erinnerung an die Sklaverei wird sogar noch mal beim Sabbatgebot erwähnt, das ausdrücklich auch für Bedienstete, Tiere und die Fremden im eigenen Land gilt. Alle sollen einen Ruhetag haben, auch eine Einzigartigkeit in der Antike.

Das Schema Israel haben Jüdinnen und Juden zu allen Zeiten gebetet, auch in den dunkelsten Momenten ihrer Geschichte. Vielleicht haben es sogar einige derer gesprochen, die bei dem brutalen Überfall der Hamas am 7. Oktober letzten Jahres getötet oder entführt wurden. Es wird aber auch gebetet, während Bomben auf den Gaza-Streifen oder den Libanon fallen. Es mahnt uns, dass in diesem Krieg auf allen Seiten die Menschenwürde verletzt wird. Es verpflichtet uns, dafür einzutreten, dass dieser Krieg ein Ende hat und dass es für Israelis und Palästinenser*innen eine gerechte Lösung geben muss, damit alle in einem Land (oder zwei Staaten) leben können, „wo Milch und Honig fließen“. 

Diesen Zusammenhang zwischen Gottes- und Nächstenliebe spricht Jesus deutlich aus: 

Mk 12, 28b-34
28Ein Schriftgelehrter ging zu ihm hin und fragte ihn: Welches Gebot ist das erste von allen?
29Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr.
30Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.
31Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.
32Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr, und es gibt keinen anderen außer ihm,
33und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.
34Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen.

Auf die Frage des Schriftgelehrten nach dem ersten, dem wichtigsten Gebet, antwortet Jesus mit einem Zitat aus dem Schema Israel, fügt aber hinzu: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Das „wie dich selbst“ kann man jedoch mit Martin Buber auch übersetzen mit: „Denn er ist wie du“. Hier steht tatsächlich der Andere im Blickpunkt: Ich nehme ihn oder sie als Menschen wahr, mit Bedürfnissen, Hoffnungen, Ängsten, Wünschen … 

Ich war kürzlich auf eine Preisverleihung für das Trialog-Projekt, das Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann ins Leben gerufen haben. Sie leben beide in Berlin. Jouanna ist Deutsch-Palästinenserin, Shai ist deutscher Jude mit israelischen Wurzeln. Seit Oktober 2023 besuchen sie Schulklassen, um über den Konflikt zwischen Israel und Palästina, den aktuellen Krieg und seine Auswirkungen auf Muslime und Juden in Deutschland zu sprechen. Sie bieten keine Lösungen an, sondern einen Raum, aufeinander zu hören, miteinander zu sprechen und auch Gefühle zuzulassen und zu äußern.

Mit ihrem Projekt sind sie mittlerweile deutschlandweit bekannt. Sie gehen nicht nur selbst in Schulen, sondern bieten ein umfangreiches Bildungsmaterial, Videos, Podcast und Fortbildungen an. Mittlerweile sind ihre Erfahrungen auch in einem Buch veröffentlicht.

Für mich sind Jouanna und Shai ein Beispiel, das Hoffnung gibt. Sie haben über das Trennende hinweg zusammengefunden. Sie erkannten: der/die Andere ist wie ich. Wir haben die gleichen Ängste und die gleichen Hoffnungen. Wir haben vor allem den gleichen Wunsch: Frieden.

Die beiden leben nicht in Israel und nicht in Palästina. Sie können die große Politik nicht ändern. Aber sie schaffen in den Schulklassen einen Raum, der Menschen verändert. Und dadurch vielleicht eine Keimzelle des Friedens.

Der Name Trialog steht bei diesem Projekt für das Gespräch der beiden mit Schulklassen. Es wäre schön, einen Trialog der drei monotheistischen Religionen über ihr Friedenspotential zu führen. Das ist auf offizieller Ebene im Moment sicher schwierig, aber vielleicht ergeben sich im Kleinen Möglichkeiten zum Gespräch.

Gibt es da eine Verbindung zu Allerheiligen? Eine wichtige Erkenntnis wäre: Kein Krieg ist „heilig“! Keine Seite kann im Krieg Gott für sich in Anspruch nehmen. Shalom, Salam und das Friedensreich Gottes sind das Ziel der drei Religionen. Viele unserer (katholischen) Heiligen haben dafür Zeugnis abgelegt.

Unsere Hoffnungen und Ängste fassen wir zusammen in dem Gebet, das Jesus ins gelehrt hat:

Vater unser im Himmel ….


Hinweis: Nähere Infos zum Trialog-Projekt findet ihr unter: https://www.israelpalästinavideos.org/