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Impuls zum 27. November 2022

Zum 1. Adventssonntag

Von Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster

Große Hoffnungen – erste Schritte
„Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ 
Antoine de Saint-Exupéry

Die Botschaft des heutigen Tages trifft uns mitten in all unseren Fragen, kontroversen Diskussionen, Ohnmachtserfahrungen, mitten in den Krisen unserer Weltzeit: Corona, Klima, Inflation und akut mitten im Ringen um Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine, für alle beteiligten Staaten und Völker, auch für uns, Deutschland. 

Der Anfang des neuen Kirchenjahres, der neue Advent, lässt keine Resignation, keine Müdigkeit zu. Die biblische Botschaft redet nicht über die Not hinweg, ist keine billige Vertröstung; sie will aufrichten, Hoffnung wecken, Mut machen, neue Zukunft ermöglichen. Der Prophet Jesaja lebte in einer – menschlich gesprochen – aussichtslosen Zeit. Er hätte Grund genug gehabt zu resignieren, zu verzweifeln. Das Volk war ohnmächtig, fremden Mächten und Göttern ausgesetzt, der König im Machtgerangel verfangen. Der Glaube war schwach und vielfach verfälscht. Aber gerade mitten in der Ohnmacht und Bedrohung werden die großen Hoffnungen und Verheißungen geboren. Zeiten, in denen es allen gut zu gehen scheint, sind oft hoffnungslose Zeiten. Es läuft eben alles einfach so weiter. In den Zeiten der Not aber geht es um den großen Atem, die ausdauernde Kraft. Entweder ist alles verloren oder die großen Hoffnungen wecken neue Zuversicht, neues Vertrauen, neue Kraft zum Aufbruch.

„Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, über Jerusalem geschaut hat. Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg des Hauses des Herrn steht festgegründet, als höchster Berg überragt er alle Hügel. Zu ihm strömen alle Nationen. Viele Völker gehen und sagen: 

Auf, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er unterweise uns in seinen Wegen, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion aus zieht die Weisung aus und das Wort des Herrn von Jerusalem. Er wird Recht schaffen zwischen den Nationen und viele Völker zurechtweisen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation und sie erlernen nicht mehr den Krieg. Haus Jakob, auf, wir wollen gehen im Licht des Herrn.“ 
(Jes 2,1-5)

Da heißt es bei Jesaja: Es wird eine Mitte sein in der Welt, zu welcher die Völker hinziehen, eine Mitte, die Orientierung bietet, Zusammenhalt und Heil. 

Wir dürfen diese Verheißungen, hören in unsere Sehnsucht hinein, in unsere Sehnsucht nach Ganzheit und Heilsein in unserem eigenen Leben, nach Frieden und Gerechtigkeit für alle Völker. Die Nationen, die nur auf ihre eigene Macht setzen, werden in die Schranken gewiesen. So kann die tödliche Konfrontation aufgebrochen werden. Es wird eine Rechtsprechung geben, die diesen Namen wirklich verdient, weil sie nicht den Interessen der Mächtigen dient, sondern den Benachteiligten, den Opfern Recht verschafft. Da werden die Waffen verstummen. Ja, man wird nicht mehr für den Krieg lernen, man wird nicht mehr lernen, andere zu töten oder abzuschrecken, sondern man wird vielmehr lernen, mit den anderen, den Fremden, mit anderen Völkern zu leben, hier und weltweit. Die vernichtenden Waffen werden zu Winzermessern, zu notwendigen Werkzeugen des Friedens, die Panzer zu Traktoren, die Raketen zu Antriebskräften für die menschliche Entwicklung. Welch eine atemberaubende Vision!

Oder: welch abenteuerliche Illusion? „Recht zwischen den Völkern“ – Nein, Krieg nicht nur in der Ukraine, im Jemen, Äthiopien, Myamar …. – „Schwerter zu Pflugscharen“ – Nein, 100 Milliarden Sondervermögen fürs Militär – „Lanzen zu Winzermessern“ – Nein, Waffenexporte in Kriegsgebiete – „nicht mehr übt man für den Krieg“ – Nein, wer bildet die ukrainischen Soldaten an den neuen Waffen aus? 

Schwerter zu Pflugscharen
Doch: „Schwerter zu Pflugscharen“ – das war das Leitwort der Friedensgruppen in der alten DDR 1987, 1988, 1989… belächelt von vielen, die nur auf Macht und Unterdrückung setzten, aber beheimatet vor allem in der evangelischen Kirche, misstrauisch betrachtet von der katholischen Hierarchie. Die Friedensgruppen haben durchgehalten, das Bewusstsein von Menschen verändert, die Wende ermöglicht, mit Kerzen und nicht mit Waffen. Vielleicht, hoffentlich, wird man das auch von den Gruppen später sagen, die heute für pazifistische Lösungen von Konflikten eintreten, für die aktive Gewaltfreiheit, sozialen Widerstand, für Gerechtigkeit und Frieden unter den Völkern, das heißt gleiche Lebenschancen für alle. Das gilt auch für den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Wir müssen diese Stimmen stark machen und stark halten, sonst hat alleine die Gewalt Macht über die Zukunft.

Damit sind auch die Gruppen mit eingeschlossen in unsere Hoffnung, die sich für eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit den Armgemachten in unserer Einen Welt einsetzen, oder die sich auf die Straßen unserer Welt festkleben, um den Klimawandel zu begrenzen, damit nicht Überflutung oder Dürre ganze Bereiche unserer Erde unbewohnbar machen und vor allem die schädigen, die am wenigsten zum Klima-Wandel beitragen. Nicht nur Kriege töten, sondern auch unsere Wirtschaftsunordnung, die vor allem von der Geldvermehrung weniger geleitet wird. Aber es gibt – Gott Dank! – viele Gruppen die sich dagegenstemmen wie damals die Friedensgruppen in der alten DDR. Misereor, Brot für die Welt, Amnesty, Ärzte ohne Grenzen, fairer Handel und viele andere– es gibt Menschen, die sich zusammenschließen, um etwas zu verändern. Hoffnung verbindet über alle Grenzen hinweg. 

Ob wir uns diese großen Hoffnungen für uns selbst und für unsere Welt zutrauen und selber wenn auch klein erscheinende nächste Schritte gehen, diese Hoffnungen Wirklichkeit werden zu lassen – das ist keine Frage der Selbsteinschätzung unserer eigenen Kräfte, sondern das ist eine Frage unseres Glaubens und unserer Hoffnung. „Bedenkt doch die Zeit: die Stunde ist gekommen, vom Schlafe aufzustehen.“ (2. Lesung Röm 13-11-14) Die Feier des Advents will uns herauslocken aus unseren kleinen Löchern, in die wir uns oft zurückgezogen haben. Die Feier des Advents will uns einüben in die großen Hoffnungen, die Gottes Verheißung für uns und alle Menschen bereithält. Seien wir da nicht zu bescheiden. Resignation und Bescheidenheit sind da Kleinglaube oder Unglaube. 

Und wie steht es mit meinem persönlichen Leben, meinen Träumen und Hoffnungen? Traue ich mir noch neue Erfahrungen zu, das Entdecken neuer Möglichkeiten in meinem Leben, die mich herausführen aus Enge und Oberflächlichkeit, aus Resignation und bloßem Jammern, die mich herausfordern und reicher machen können? Viele Christinnen und Christen sind müde geworden, schon zufrieden, wenn sie sich selbst einigermaßen über die Runden retten. Die Kirche als Hoffnungskraft ist aus eigener Schuld für viele verblasst und unglaubwürdig geworden.

Advent feiern
Advent feiern heißt, die großen Hoffnungen in mir zuzulassen, sie wieder zu entdecken und lebendig werden zu lassen. Wir dürfen da nicht zu bescheiden sein. Gott selbst ermuntert uns dazu. Er hat noch Träume, noch Hoffnungen mit mir, mit uns. Das Leben in Fülle will er uns schenken. Er sagt uns: Es ist noch nicht alles Leben gelebt, das er uns zugedacht hat. Ich darf große Hoffnungen haben für mich selbst, für meine Familie, für das Miteinander in der Ehe, für meine Kinder. Dies gilt auch dann – und vielleicht besonders – wenn ich nichts mehr „machen“ kann. Gerade dann darf ich in meinen Hoffnungen nicht nachlassen. Meine Hoffnungen werden dann zum Gebet für die anderen, deren Weg ich begleiten möchte.

Diese Sehnsucht will der Advent ins uns neu erwecken. Diese Sehnsucht wird zur Wachsamkeit der Hoffnung, die uns ausgreifen lässt. Von dieser Wachsamkeit der Hoffnung singen unsere Adventslieder, die mit vielen Bildern des Propheten Jesaja gefüllt sind. Wenn wir uns von ihnen mitnehmen lassen, dann werden auch uns die Kräfte zuwachsen, auf die Erfüllung der großen Hoffnungen zuzugehen zusammen mit allen Menschen guten Willens. 

Das heutige Evangelium (Mt 24,37-44) lädt uns ein zur Wachsamkeit. Es gibt eine Wachsamkeit der Angst – die führt nicht weiter, sie lähmt und igelt sich ein. Die Wachsamkeit der Angst rüstet immer weiter auf und ist blind für die Wege zum Miteinander in Frieden. Aber es gibt auch die Wachsamkeit der Hoffnung, die uns ausgreifen und Handeln lässt. „Hoffen geschieht im Tun des nächsten Schrittes.“ (Karl Barth) Im Tun, nicht im Abwarten, im Tun des nächsten Schrittes, der jetzt möglich wird. Wer meint, den letzten Schritt zu kennen, den Schritt zur klassenlosen Gesellschaft oder zum Reich Gottes, der wird totalitär. Den letzten Schritt dürfen wir in unserer Hoffnung Gott selbst überlassen.

Aber überall, wo wir uns einsetzen für die Überwindung von Feindschaft und Krieg, für Solidarität mit den Fremden und Opfern, für Gerechtigkeit und Frieden, da können uns diese Verheißungen tragen und ermutigen, da können neue Visionen entstehen für unsere Kirchen und Gemeinden, für unsere Parteien und Gewerkschaften, für unsere Weltgesellschaft. Unser Herz wird groß werden und weit, wenn wir dann erleben dürfen, wie Gott schon anfängt, immer wieder anfängt, seine Verheißungen wahr zu machen auch in uns und durch uns in unserer Welt. 

Gebet
In uns sieht es oft leer aus, Gott.
Wir trauen uns nicht in unsere Abgründe.
Wir sind manchmal wie ausgebrannt.
Wir vermögen nur oberflächlich und nach außen hin
unsere Verzweiflung zu verbergen.
Unsere Kräfte schmelzen dahin.
Wie kann es weiter gehen?
Du, Gott, hast doch noch etwas vor mit uns,
mit unserer Welt.
Führe uns an neue Brunnen der Hoffnung.
Lass sie tief in uns entspringen,
dass wir uns satt trinken kann daran.
Schick uns prophetische Menschen,
die uns wachrütteln und ermutigen.
Dann kann vielleicht auch ich ein solcher Mensch
für andere werden.

Wecke neu die großen Hoffnungen auf dein Reich, 
auf die Überwindung des Krieges, 
auf Gerechtigkeit und Frieden,
auf die Fülle des Lebens, die du verheißen hast.
Jetzt ist wieder neu die Stunde gekommen,
vom Schlaf aufzustehen und wachsam zu sein,
wachsam für die nächsten Schritte, 
die wir gehen können,
die ich gehen kann.