Impuls zum 2. April 2023
Von Klaus Hagedorn (Oldenburg), Geistlicher Beirat pax christi Deutsche Sektion e.V
Haben wir den gewaltfreien Jesus im Blick?
Vorneweg
Lange ist uns ein Krieg wie der in und um die Ukraine nicht mehr so nahegekommen. Viele in pax christi und darüber hinaus spüren in diesen Zeiten die Sehnsucht nach Eindeutigkeit der Positionen – und stellen fest, dass wir sie nicht haben. Die verschiedenen Positionen zwischen dem unbedingten Schutz der Opfer und dem Schutz des Rechts auf der einen Seite sowie der Aktiven Gewaltfreiheit und dem Gebot der Feindesliebe auf der anderen Seite berufen sich auf biblische Grundlagen und theologische Grundmuster, die sich allerdings auch widersprechen und sich gegenseitig ausschließen. Das gilt es wahrzunehmen und damit umzugehen – und den Weg nach einem „Gerechten Frieden“ in friedlicher Weise zu suchen.
Am Palmsonntag werden wir im Matthäus-Evangelium konfrontiert mit dem gewaltfreien Jesus. Daran kommen wir nicht vorbei. Jesus zeigt: „Gewaltfrei wirkt“. Sein Einzug in Jerusalem: Eine einzige Provokation! Heute wie damals. Und durch alle Zeiten hindurch.
Diese Traditionslinie wird in diesem Sonntagsimpuls aufgegriffen. Ich möchte erinnern, warum es wesentlich ist, sich in der Öffentlichkeit gegen aufkommende Feindbilder und gegen jede Form von Hass zu wenden und gegen einen öffentlichen Diskurs einzutreten, der nur auf Waffen setzt und nur militärisch diesen Krieg in der Ukraine beenden will. Ich möchte bestärken, dass Aktive Gewaltfreiheit beinhaltet, sich dezidiert auf die Seite der Kriegsopfer zu stellen, Geflüchtete aufzunehmen, Transporte für Lebens-Mittel zu organisieren und Kriegsdienst-Flüchtlinge von beiden Seiten in den Blick zu nehmen u.v.a.m.. Und schließlich: dass es aus dieser Haltung heraus wichtig ist (wie es Kommissionen, Diözesanverbände und Arbeitsgruppen in pax christi tun), deutlich kritisch zu hinterfragen: die derzeitige Aufkündigung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik, sodann die Argumentation für die atomare Abschreckung, die derzeit wieder festgezurrt wird und Initiativen wie den Atomwaffenverbotsvertrag an die Seite schiebt und die finanzielle Militarisierung der deutschen Politik, die anderen wichtigen Bereichen das Geld entzieht.
Lied: Unfriede herrscht auf der Erde
1) Unfriede herrscht auf der Erde.
Kriege und Streit bei den Völkern
und Unterdrückung und Fesseln
zwingen so viele zum Schweigen.
Ref.: Friede soll mich euch sein.
Friede für alle Zeit!
Nicht so, wie ihn die Welt euch gibt,
Gott selber wird es sein.
2) In jedem Menschen selbst herrschen
Unrast und Unruh ohn’ Ende
selbst wenn wir ständig versuchen
Friede für alle zu schaffen.
3) Lass uns in deiner Hand finden,
was du für alle verheißen.
Herr, fülle unser Verlangen,
gib du uns selber den Frieden.
Ein (500 Jahre alter) Aufschrei zum Aufmerken
„Es ist jetzt schon soweit gekommen, dass man den Krieg allgemein für eine annehmbare Sache hält und sich wundert, dass es Menschen gibt, denen er nicht gefällt [...] Wie viel gerechtfertigter wäre es dagegen, sich darüber zu wundern, welch’ böser Genius, welche Pest, welche Tollheit, welche Furie diese bis dahin bestialische Sache zuerst in den Sinn des Menschen gebracht haben mag, dass jenes sanfte Lebewesen, das die Natur für Frieden und Wohlwollen erschuf, mit so wilder Raserei, so wahnsinnigem Tumult zur gegenseitigen Vernichtung eilte.
Wenn man also zuerst nur die Erscheinung und Gestalt des menschlichen Körpers ansieht, merkt man denn nicht sofort, dass die Natur, oder vielmehr Gott, ein solches Wesen nicht für Krieg, sondern für Freundschaft, nicht zum Verderben, sondern zum Heil, nicht für Gewalttaten, sondern für Wohltätigkeit erschaffen habe? Ein jedes der anderen Wesen stattete die Natur mit eigenen Waffen aus – den Stier mit Hörnern, den Löwen mit Pranken, den Eber mit Stoßzähnen, andere mit Gift, wieder andere mit Schnelligkeit.
Der Mensch aber ist nackt, zart, wehrlos und schwach, nichts kann man an den Gliedern sehen, was für einen Kampf oder eine Gewalttätigkeit bestimmt wäre. Er kommt auf die Welt und ist lange Zeit von fremder Hilfe abhängig, kann bloß durch Wimmern und Weinen nach Beistand rufen. Die Natur schenkte ihm freundliche Augen als Spiegel der Seele, biegsame Arme zur Umarmung; sie gab ihm die Empfindung eines Kusses, das Lachen als Ausdruck von Fröhlichkeit, Tränen als Symbol für Sanftmut und Mitleid.
Vom größten Teil des Volkes wird der Krieg verflucht. Man betet um Frieden. Einige wenige nur, deren gottloses Glück vom allgemeinen Unglück abhängt, wünschen den Krieg.
Beurteilt selbst, ob es recht und billig sei oder nicht, dass deren Unredlichkeit mehr gilt als der Wille aller Guten.“
(Erasmus von Rotterdam (1466-1536), aus: Die Klage des Friedens)
Lied: Gott gab uns Atem
1. Gott gab uns Atem, damit wir leben.
Er gab uns Augen, dass wir uns sehn.
Gott hat uns diese Erde gegeben,
dass wir auf ihr die Zeit bestehn.
Gott hat uns diese Erde gegeben,
dass wir auf ihr die Zeit bestehn.
2. Gott gab uns Ohren, damit wir hören.
Er gab uns Worte, dass wir verstehn.
Gott will nicht diese Erde zerstören.
Er schuf sie gut, er schuf sie schön.
Gott will nicht diese Erde zerstören.
Er schuf sie gut, er schuf sie schön.
3. Gott gab uns Hände, damit wir handeln.
Er gab uns Füße, dass wir fest stehn.
Gott will mit uns die Erde verwandeln.
Wir können neu ins Leben gehn.
Gott will mit uns die Erde verwandeln.
Wir können neu ins Leben gehn.
Text: Eckart Bücken 1982 / Melodie: Fritz Baltruweit 1982
Der Einzug Jesu in Jerusalem: Matthäus 21,1-11
Als sich Jesus mit seinen Begleitern Jerusalem näherte und nach Betfage am Ölberg kam, schickte er zwei Jünger voraus und sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt; dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los und bringt sie zu mir! Und wenn euch jemand zur Rede stellt, dann sagt: Der Herr braucht sie, er lässt sie aber bald zurückbringen. Das ist geschehen, damit sich erfüllte, was durch den Propheten gesagt worden ist:
Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers.
Die Jünger gingen und taten, was Jesus ihnen aufgetragen hatte. Sie brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie, und er setzte sich darauf. Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf der Straße aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!
Als er in Jerusalem einzog, geriet die ganze Stadt in Aufregung, und man fragte: Wer ist das? Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazaret in Galiläa.
Jesu Gewaltfreiheit: Die Kraft der Liebe im Handeln
Haben wir den gewaltfreien Jesus noch im Blick?
Gewalt ist nicht die Sache Jesu. Nachzulesen bei Matthäus 21,1-11. Da wird von seinem Einzug in Jerusalem berichtet - eine Inszenierung, die eine alte Verheißung im Blick hat. Gezielt geht dieser Jesus mitten hinein in das Herrschaftszentrum des römischen Imperiums und der jüdischen Religion. Er sitzt nicht hoch zu Ross. Er kommt nicht mit Soldaten und Waffen. Sein Einzug ist voller Symbolsprache. Er kommt auf einem Esel. Alle schriftkundigen Landsleute sollen an den Propheten Sacharja (9,9-12) denken. Dieser hat einen auf einem Esel einziehenden Friedenskönig für Israel vorausgesehen. „Gerecht“ und „demütig“ ist er, „Streitwagen“, „Streitrosse“ und „Kriegsbogen“ merzt er aus. Allen Völkern verkündet er Frieden und den Gefangenen Freiheit.
An Jesus kann man erkennen, wie diese Vision wahr zu werden beginnt. Er bleibt auf Augenhöhe mit den Menschen und nutzt seine soziale Position, um die ‚reinzuholen‘, die aufgrund repressiver Konventionen ‚draußen gehalten‘ werden, die als ‚unrein‘ markiert werden. Er ist menschenfreundlich. Es geht ihm um eine Liebe, bei der jeder Mensch sich angenommen wissen darf. Liebe allein rettet und führt zu Frieden. Nur so geht Gottes Herrschaft voran. Alles andere ist für Jesus zweitrangig – offenkundig auch Lebensgefahr und tödlicher Konflikt. Er zeigt damit: Nur Gott soll den Ton angeben, auch im Tempel. Wenn sogar dort sich Machtmissbrauch und Egoismus breitmachen, dann hilft nur Widerstand. Nicht flüchten, sondern standhalten - im Namen Gottes. Das hat er getan.
Habe ich ihn verstanden? Gewaltfreiheit und Geschwisterlichkeit ist das, was er wollte. Keine Gewalt! Das ist die kürzeste Zusammenfassung seiner Bergpredigt. Am Mann aus Nazareth ist abzulesen: „Wer einmal erkannt hat, dass der Weg des gewaltfreien Widerstandes und der sich hinschenkenden Liebe der Weg zum Heil und zum inneren und äußeren Frieden der Menschheit ist, der kann nicht anders, als unentwegt dafür zu kämpfen.“ (Hildegard Goss-Mayr, österreichische Schriftstellerin und Friedensaktivistin)
In Jesu Spur zu bleiben, das bedeutet für mich die Entscheidung, Gewalt und Ungerechtigkeit wahrnehmen zu wollen, und einen Weg zu gehen, gegen jede Form von Gewalt Stellung zu beziehen. Jesu Gewaltfreiheit war nicht schwach, keine Passivität oder Resignation; sie war ein Widerstehen, sie war die Kraft der Liebe im Handeln. Und diese hat ihren Grund: Gott selbst.
„Sie (diese Liebe im Handeln) ergibt sich nicht von selbst, sondern weil die Güte Gottes ohne Grenzen ist und vor den Bösen und Ungerechten nicht Halt macht. Nicht nur über den Guten, auch über den Bösen lässt Gott seine Sonne aufgehen (Matthäus 5,45) – nicht, weil er das Böse verharmlost oder gutheißt; die Bösen werden als solche deutlich beim Namen genannt. Unrecht bleibt Unrecht. Aber Gott findet sich nicht damit ab. Er gibt die Hoffnung nicht auf, sie könnten sich davon und dafür erwärmen lassen. Die Grenze zwischen Bösen und Guten hat ihre Grenze, für Gott hört sie irgendwo auf. Indem wir bis zu diesem Punkt mit ihm gehen, erweisen wir uns als seine Söhne und Töchter.“ (vgl. Franz Kamphaus, Was dir zum Frieden dient, Freiburg 1983, 67).
Da liegt der Grund für die Grundhaltung, die keine Angst davor hat, dem Bösen mit Liebe und Wahrheit entgegenzutreten, die anerkennt, dass alle Menschen als Ebenbilder Gottes eine Würde haben. Gewaltfreiheit bei Jesus ist kein rein taktisches Verhalten, sondern eine Haltung, die so sehr von der Liebe und der Macht Gottes überzeugt ist, dass sie keine Angst hat, dem Bösen allein mit den Waffen der Liebe zu begegnen. Jean Goss (Mystiker und Zeuge der Gewaltfreiheit) hat es so auf den Punkt gebracht: „Die Liebe ist die Grundlage der Gewaltfreiheit. Worin besteht diese Liebe? Sie ist die absolute Ehrfurcht vor der menschlichen Person, eine Liebe, die bis zur Hingabe des eigenen Lebens geht, selbst für den, der dir das Leben nehmen will. Darin liegt das Geheimnis der Gewaltfreiheit Gottes.“
Wir sehen alltäglich: Friedlosigkeit und Unrecht in unserer Welt entfalten eine große Wirkkraft. Jesus, der Frieden und Gerechtigkeit bringen wollte, musste sterben. Er, der Gewaltlosigkeit lebte, wurde Opfer der Gewalt und offenbart damit den Abgrund menschlicher Gewalttätigkeit. Für wie viele in seiner Spur gilt dies!? Sie sind in die Bresche gesprungen, um den Mächten der Gewalt in den Arm zu fallen und die Regelkreise des Hasses zu unterbrechen.
Ich erinnere an Martin Luther King. Kurz vor seiner Ermordung sagte er: „Unseren Gegnern sagen wir: Unsere Leidenschaft ist ebenso groß wie eure Macht, uns Leiden zuzufügen. Tut mit uns, was ihr wollt, wir werden euch trotzdem lieben. Werft Bomben in unsere Häuser, wir werden euch trotzdem lieben. Schickt Schlägertrupps um Mitternacht in unsere Wohnungen, dass sie uns schlagen und halbtot liegen lassen, wir werden euch trotzdem lieben. Und seid sicher, dass wir euch mit unserer Leidensfähigkeit überwinden werden. Eines Tages werden wir die Freiheit gewinnen. Aber sie wird nicht für uns selbst errungen werden. Wir werden so lange an euer Herz und eure Seele appellieren, bis wir auch euch gewonnen haben. Und dann wird unser Sieg ein doppelter Sieg sein.“
Lied: Ubi caritas et amor, ubi caritas Deus ibi est
Wo Liebe ist und Güte, da wohnt Gott.
Ökumenisches Friedensgebet 2022
Gott unseres Lebens, wir sehnen uns danach,
miteinander in Frieden zu leben.
Wenn Egoismus und Ungerechtigkeit überhandnehmen,
wenn Gewalt zwischen Menschen ausbricht,
wenn Versöhnung nicht möglich erscheint,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Unterschiede in Sprache, Kultur oder Glauben uns vergessen lassen,
dass wir deine Geschöpfe sind und
dass du uns die Schöpfung als gemeinsame Heimat anvertraut hast,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Wenn Menschen gegen Menschen ausgespielt werden,
wenn Macht ausgenutzt wird, um andere auszubeuten,
wenn Tatsachen verdreht werden, um andere zu täuschen,
bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt.
Lehre uns, gerecht und fürsorglich miteinander umzugehen
und der Korruption zu widerstehen.
Schenke uns mutige Frauen und Männer,
die die Wunden heilen, die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen.
Lass uns die richtigen Worte, Gesten und Mittel finden,
um den Frieden zu fördern.
In welcher Sprache wir dich auch als „Fürst des Friedens“ bekennen,
lass unsere Stimmen laut vernehmbar sein gegen Gewalt, Krieg und Unrecht.
Du bist unser Friede heute und allezeit. Amen
(geschrieben von Mary Grace Sawe aus Kenia)
Segensgebet
Gott unseres Lebens: segne uns
– und das, was wir tun.
Behüte uns
– und die, mit denen wir leben.
Lass dein Angesicht leuchten über uns
– und über die, für die wir Verantwortung tragen
Sei uns gnädig
– und all denen, die sich feind sind.
Erhebe dein Angesicht über uns
– und unsere Geschwister in aller Welt.
Gib uns deinen Frieden
– und gib der ganzen Welt deinen Frieden.
AMEN