Impuls zum 17.-21. April 2025
Von Klaus Hagedorn (Oldenburg), Kommission Aktive Gewaltfreiheit und pax christi Münster
Vorneweg: Über verrückte Hoffnung, die hilft, nicht verrückt zu werden
Was hilft, nicht zu resignieren, sich zurückzuziehen und zu privatisieren? Warum und wie wachbleiben und aufmerksam in so vielen Herausforderungen, um zu sehen, was ist, und um herauszufinden, was wirkt? Nachfolgend fünf Impulsworte für die Kar- und Ostertage 2025. Es gibt Hoffnungen, die erscheinen ver-rückt (!). Aber sie sind es nicht. Diese verrückten Hoffnungen sind oft gerade diejenigen Hoffnungen, die helfen, nicht verrückt zu werden. Und sie finden ihren Ausdruck in konkreten Schritten.
Gründonnerstag: Das Sakrament des Handtuchs
In den Kirchen wird heute eine verrückte Szene erinnert: Ein Meister, der seinen Jüngern die Füße wäscht, sich tief bückt, einen niedrigsten Dienst übernimmt. Das widerspricht auch unseren Lebenserfahrungen heute. Ver-rückte (!) Welt. Wer sich mühsam im Beruf hochgearbeitet hat, der wäscht oft anderen den Kopf – von oben herab - und leistet keinen niedrigsten Dienst mehr. So ist die Ordnung, die wir institutionalisiert und internalisiert haben. Die verrückte Welt der Liebe zeigt sich anders, so der Evangelist Johannes (13,1-15) im heutigen Evangelium.
Jesus ist mit Leuten zusammen, denen er ungeschützt sein ganzes Vertrauen geschenkt hat, die ihn aber fast alle so oder so verlassen werden. Keine beeindruckende Gruppe, die sich da zusammengefunden hat. Und dennoch gibt er ihnen während des gemeinsamen Mahls durch das Waschen der Füße ein Zeichen seiner Liebe.
Erich Fried hat ein Gedicht geschrieben: „Es ist Unsinn, sagt die Vernunft. Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst. Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht. Es ist lächerlich, sagt der Stolz. Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht. Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung. Es ist, was es ist, sagt die Liebe.“ (Erich Fried, Es ist was es ist. Liebesgedichte, Angstgedichte, Zorngedichte. Berlin 2001, S. 43) Bei diesem Mahl sagt die Liebe: Es ist, was es ist. Es mag unvernünftig sein, diesen Menschen die Füße zu waschen; es mag lächerlich sein, aussichtslos, verrückt. Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
In einer Stadt in Brasilien hat ein Entwicklungsdienstleistender eine Einrichtung für drogenabhängige Frauen gegründet. Er sah: Sie sind oftmals unter völlig falschen Versprechungen vom Land in die Stadt ausgewandert; sie sind Ausgebeutete; sie verdienen gezwungenermaßen durch Prostitution ihren Lebensunterhalt – alternativlos. Wenn sie von dieser Arbeit zurückkommen, ist dieser Menschendienstler da und hat ihnen ein sauberes Handtuch für die Dusche bereitgelegt. Und er kocht einen Tee – und er hört zu, was erlebt und erlitten worden ist am Tag. Keine Verurteilung, keine Abwertung – aber Dasein und Zuhören.
Das Überreichen des Handtuchs ist für ihn so etwas wie die Fußwaschung bei Jesus, ein selbstloser Dienst der Reinigung. Der gemeinsame Tee ist für ihn so etwas wie ein eucharistisches Mahl, nur eben nicht mit Wein und Brot. Sein oft stundenlanges Zuhören ist für ihn wie das Wachen und Beten mit Jesus am Ölberg. Das Matthäus-Evangelium (vgl. 25, 35-40) ist Wegzeichen für eine solche Ausdeutung. Vielleicht würde Jesus heute sagen: Ich war auf dem Drogenstrich, und Ihr habt mir ein Handtuch gegeben, habt Tee mit mir geteilt und mein Schicksal mit mir ausgehalten.
Karfreitag: Ein Cantus firmus - Gottesleidenschaft als Mitleidenschaft
Der Künstler Roland Peter Litzenburger hat 1987 ein sehr besonderes Kreuz geschaffen. Es hängt im Raum der Stille im Oscar Romero Haus in Oldenburg. (s. auch Seiten 132/133 und 145 unter: https://oops.uni-oldenburg.de/531/1/hagosc06.pdf)
Es ist ein Kreuz, das sich zumutet. Es konfrontiert mit Tod und Unheil. Es legt offen, wie Menschheitsgeschichte auch ist: zerstörerisch, gewalttätig, vernichtend. Es zeigt die nackte Wahrheit, ganz ungeschminkt. Der Korpus hat eine überdimensional große Wunde im Brustbereich; er wirkt wie aufgeschlagen, wie dahingeschlachtet. Kein Betuchter hängt da. Der da hängt, ist völlig nackt. Ihm ist die Blöße gegeben, er ist bloßgestellt. Der Kopf mit einem großen Ohr fällt gebrochen zur Seite. Das Gesicht ist bei näherem Hinsehen entstellt.
Mit diesem Kreuz macht Litzenburger ernst mit dem Glauben an die Gegenwart des Gekreuzigten in den Kreuzen dieser Welt. Es zeigt den Gefolterten, Gemarterten, Verhungernden als ein Abbild Christi. Hier ist eine Kreuzskulptur geschaffen gegen christliche Blindheit vor der sozialen und politischen Wirklichkeit. Und: Hier ist einer Hoffnung Ausdruck gegeben. Diese „lässt es nämlich nicht zu, dass wir über seiner Leidensgeschichte die anonyme Leidensgeschichte der Welt vergessen; sie lässt es nicht zu, dass wir über seinem Kreuz die vielen Kreuze in der Welt übersehen, neben seiner Passion die vielen Qualen verschweigen, die ungezählten namenlosen Untergänge, das sprachlos erstickte Leiden, die Verfolgung zahlloser Menschen, die wegen ihres Glaubens, ihrer Rasse oder ihrer politischen Einstellung ... zu Tode gequält werden...“ (Synodenbeschluss: Unsere Hoffnung, Teil I, 2, in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Beschlüsse der Vollversammlung, Freiburg 1976, 89f (Herder Verlag Freiburg)
Es geht diesem Kreuz um die Erinnerung an die Blickrichtung Jesu. Sein erster Blick galt immer fremdem Leid. Diese Empfindsamkeit für das Leid der anderen ist Ausdruck jener Liebe, die Jesus meinte, wenn er von der unzertrennlichen Einheit von Gottes- und Nächstenliebe sprach: Gottesleidenschaft als Mitleidenschaft.
Für mich ist dieses Kreuz immer wieder neu ein Aufruf, anspruchsvoll zu bleiben, lieber mit großen Hoffnungen zu hungern und zu dürsten, als mich mit Banalitäten zufrieden zu geben. Es steht für mich für den langen Marsch mit denen, die die Sehnsucht nach einer gerechten Welt ohne Hunger teilen, die unseren Lebensstil hinterfragen und sich gemeinsam mit Menschen im Globalen Süden dafür einsetzen, dass sie Zugang zu und Verfügung über Land, sauberes Wasser, Saatgut und die Chance eigener lokaler Vermarktung ihrer Erzeugnisse bekommen. Es steht nicht für billigen Optimismus nach dem Motto: ‚Es wird schon irgendwie alles gut‘, sondern es steht für unsere Hoffnung, die ein Engagement ist in der Gewissheit, dass es Sinn macht, egal wie es ausgeht.
Karsamstag: Gegen Gewalt ohne Gewalt kämpfen
Bei einem Besuch im Quiché in Guatemala habe ich eine Erfahrung gemacht, die mir bis heute nachgeht. Ich spürte - quasi wie eine Nötigung - die Notwendigkeit, einer Sprache Glauben schenken zu müssen, die ein Versprechen an den geschändeten Menschen ist. Das ist eine mich prägende Karsamstags-Erfahrung. Es war in dem Dorf Zacualpa. Ich hörte Augenzeugenberichte von Menschenschändungen und Massakern ungeheuren Ausmaßes. Ich wurde in einen ehemaligen Folterkeller der Armee geführt. Das hier abgebildete Kreuz hängt dort. Die Regierungssoldaten hatten dem Kreuzkorpus in der Dorfkirche den rechten Arm abgeschossen. In Guatemala sind mehr als 150.000 Menschen im 36 Jahre dauernden Bürgerkrieg (1960-1996) getötet worden, und mehr als 50.000 Menschen gelten als spurlos vermisst. Die Provinz Quiché, die hauptsächlich von Mayas bewohnt ist, war von Verfolgung und Gewalt am schlimmsten betroffen. Hier geschah Genozid. Ich nahm wahr: Brutalität zerstört nicht nur den Leib, sondern stellt jede Menschlichkeit infrage. Und ich spürte eine bodenlose Schwierigkeit, diese brutale Wirklichkeit mit der „Frohen“ Botschaft zusammenzubringen?
Ich hörte zu: Wer gegen die Gewalt ohne Gewalt kämpfte, wurde sehr oft selbst ein Opfer. Die Entscheidung des ermordeten Katecheten Don Miguel, sich lieber niederschlagen und aufs Kreuz legen zu lassen wie Jesus, als andere niederzuschlagen, hatte eine wesentliche Intention: er wollte den Teufelskreislauf von Gewalt und Gegengewalt nicht passiv erdulden, sondern aktiv aufsprengen. Er sah für sich keine andere Perspektive. Er hatte zu viel Hass erlebt, als dass er selber hassen wollte. Er wollte aller erfahrenen Gewalt mit Seelenkraft begegnen. Er war überzeugt, dass die Macht der Liebe unerschütterlich ist, dass Jesu Gott auch denen zugewandt bleibt, die am Boden liegen – selbst durch den Tod hindurch. Und dass Liebe die größere Macht ist, weil sie neue Energien freisetzt, eine neue Schöpfung entstehen lässt. Darauf hat er gesetzt.
Dieses Kreuz aus Zacualpa hat mich seit dieser Begegnung nicht mehr losgelassen. Vor ein Kreuz zu treten, mich vor ihm zu verneigen, ist für mich seitdem immer wieder neu ein Ausdruck dafür, nicht wegschauen zu wollen und meinen Blick zu schärfen für die Opfer von Gewalt und Ungerechtigkeit.
Die Grausamkeit menschlicher Gewalttätigkeit kann oft in die Knie zwingen. Und ein Kniefall bedeutet für mich das Versprechen, für Veränderung und Verwandlung mit konkreten Schritten einzutreten, auszusteigen aus der Gewaltspirale und den Hasstiraden, mich zu orientieren an Jesus dem Christus, der gewaltfrei einen neuen Anfang machte und der darauf setzte, dass absolut jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist und eine Würde hat, die ihm nicht zu nehmen ist.
Ostersonntag: Antwort gegen den Augenschein
„Christ ist erstanden von der Marter alle. Des solln wir alle froh sein; Christ will unser Trost sein.“ (GL 318, EG 99) Das, was an Ostern in Erinnerung gerufen wird, ist vielleicht seit jeher die größte Zumutung und zugleich die größte Hoffnungserzählung, die Menschen sich weitersagen.
In die menschlichen Unrechtszusammenhänge und Verirrungen, in das allgegenwärtige Elend und Unheil, in die sozialen und ökologischen Verwüstungen, für die wir im Globalen Norden besonders verantwortlich sind, wird hineingestellt: Unrecht, Zerstörung und Tod haben nicht das letzte Wort! Mit Blick auf diejenigen, die unter die Räder der Geschichte gekommen sind, die durch das unerbittliche Mahlwerk einer Lebensweise-auf Kosten-von-Anderen zerrieben wurden, wird ausgesagt, dass das, was ihnen widerfahren ist, nicht das Ende ist. Die Erzählung von der Auferstehung Jesu und der Auferweckung aus dem Tod ist die radikalste Vorstellung, dass die Vision vom Reich Gottes recht bekommt. Recht haben die Schwächsten, die gelitten haben, die gestorben sind und nicht der Versuchung erlegen sind, zu glauben, dass das Reich Gottes nur ein Hirngespinst ist. Recht haben diejenigen, die unentwegt auf Gerechtigkeit und Frieden zwischen Menschen setzen, darauf hoffen und dafür arbeiten.
Recht, das vor Gericht gesprochen wird, führt – so wichtig die Rechtsprechung ist – oft nicht zu mehr Gerechtigkeit. Auch kann es den Gebrochenen und Zermarterten nicht das Leben zurückgeben. Ostern ist Antwort gegen den Augenschein, also darauf, dass uns – den Lebenden, denen Elend und Zerstörungen ans Herz gehen – die Vorstellung unerträglich ist, am Ende könnten Gewalt und Tod tatsächlich das letzte Wort haben. Denn uns ist die unstillbare Sehnsucht nach mehr Gerechtigkeit und Frieden tief eingeschrieben.
Ich höre die Ostererzählung als Schlüsselgeschichte, die ermutigt zur Zuversicht. Sie schließt - angesichts menschlichen Leids und allgegenwärtiger Not - meiner Sehnsucht den Raum auf, damit ich ins konkrete Handeln komme.
Ich möchte eine Ostergeschichte erzählen. Da gibt es ein italienisches Bergdorf im bettelarmen Kalabrien – ein Dorf mit Häusern, aber ohne Menschen. Die meisten sind seit Jahrzehnten ins Wirtschaftsexil abgewandert - auf der Suche nach einem besseren Leben und wegen der Mafia. Der Bürgermeister hat auf dieses Migrationsproblem reagiert wie kaum jemand sonst. Er holte über das Mittelmeer Geflüchtete ins Dorf, gab ihnen Arbeit und verpflichtete sie dafür, die verfallenen Häuser mitzurenovieren. Alte Gewerke wurden dabei auch wiederbelebt: Glasmanufaktur und Stickerei, Schreinerwerkstatt, Ölmühle und Weberei. Terrassengärten wurden neu angelegt und vieles andere mehr; das Dorf sollte sich selbst versorgen können. So kam das Dorf wieder in Blüte. Dafür wurde der Bürgermeister von Staat und Mafia bedrängt. Die Rechtspopulisten unter Matteo Salvini strengten gegen ihn ein Verfahren wegen Korruption an - mit 56 Anklagepunkten. In zweiter Instanz wurde er schließlich freigesprochen und ist seit Juni 2024 wieder Bürgermeister. Er: ein Mensch, der Zuversicht verbreitet und Geflüchtete nicht als Problem, sondern als Chance ansieht. Für mich: Eine Ostergeschichte unserer Tage!
Ostermontag: Eine Emmaus-Gestalt
Ich brauche die Erinnerung an Menschen mit einer durchgehaltenen Vision in diesen uns herausfordernden Zeiten. Ein solcher ist für mich Martin Luther King (1929-1968). 1964 bekam dieser US-amerikanische Bürgerrechtler den Friedensnobelpreis. Bei der Verleihung in Oslo sagt er: „Ich weigere mich zu glauben, der Mensch sei lediglich Wrack- und Strandgut im Strom des Lebens. Ich weigere mich, die Ansicht zu übernehmen, die Menschheit sei so tragisch der sternenlosen Mitternacht des Rassismus und des Krieges verhaftet, dass der helle Tagesanbruch des Friedens nie Wirklichkeit werden könne. Ich weigere mich, die zynische Meinung zu übernehmen, eine Nation nach der anderen müsse eine militaristische Stufenleiter hinabsteigen bis in die Hölle thermonuklearer Vernichtung. Ich glaube, dass unbewaffnete Wahrheit und bedingungslose Liebe das letzte Wort in der Wirklichkeit haben werden. Das ist der Grund, warum das Recht, auch wenn es vorübergehend unterliegt, stärker ist als triumphierendes Böses.“ (Martin Luther King, Schöpferischer Widerstand. Reden, Aufsätze, Predigten, hrsg. von Heinrich W. Grosse, Gütersloh 1980, 77f
Selten hat ein Christ der Weltöffentlichkeit derart direkt den Kern des Christseins beschrieben. Zwischen jeder Zeile stehen die Erfahrungen eines schon zehnjährigen Kampfes für Gerechtigkeit – und gegen Rassismus in den Südstaaten der USA. Genaues Studium ist notwendig und wesentlich - nicht nur der Bibel und der spirituellen Traditionen, sondern auch der ganz realen Lebenssituationen und ihrer Hintergründe. Liebe, Vernunft, Gerechtigkeit – das sind nicht große Worthülsen für ihn. In ihnen wirken gleichermaßen analytische Vernunft und illusionsloser Glaube.
In Oslo sagte er dann weiter: „Ich besitze die Kühnheit zu glauben, dass Völker allerorten täglich drei Mahlzeiten für ihren Körper, Erziehung und Kultur für ihren Verstand und Würde, Gleichheit und Freiheit für ihren Geist haben können. Ich glaube, dass auf den Anderen ausgerichtete Menschen wiederaufbauen können, was auf sich selbst ausgerichtete Menschen zerstört haben. Ich glaube immer noch, dass die Menschheit mit dem Triumph über Krieg und Blutvergießen gekrönt werden wird.“ ( Ebd. 78)
Es sind die Visionen der biblischen Propheten und von Jesus. Es ist kein Zufall, dass Martin Luther King so entschieden und klar in der Ich-Form spricht. Es ist ja der Einzelne, der die entscheidenden Bewegungen in Gang setzt. Es ist in der Tat der „Flügelschlag des Schmetterlings“, der alles verändern kann. King steht für diese tief biblische Überzeugung, dass Gott jeden Menschen beim Namen ruft und ihm einen unverwechselbar eigenen Auftrag mitgibt. Jede und jeder von uns ist mit einer besonderen Berufung unterwegs, die es zu entdecken und anzunehmen gilt.