Impuls zum 6. Dezember 2020
Von Klaus Hagedorn (Oldenburg), pax christi Diözesanverband Münster
„Suche Frieden und jage ihm nach“ (Psalm 34,15)
Lied
O Heiland, reiß die Himmel auf (GL 231, 1.3.4 // EG 7, 1.3.4)
„Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“ So der Prophet Jesaja in der heutigen Lesung (vgl. 40,1). Wenig Trost, wenn wir auf die Krisenherde unserer Welt schauen (Flüchtlingsbewegungen, Klimaerwärmung, Rassismus, aktuell: die ungleichen bzw. unbezahlbaren Impfstoff-Zugänge mit Blick auf den globalen Süden…), - und wenn wir auf die Krisenherde unseres eigenen Lebens schauen.
Wenn doch einer käme und Trost mitbrächte! Nicht nur wohlmeinende Worte nach der Art: Ach, es geht schon irgendwie weiter!
Wir haben uns in pax christi eingebunden in Friedensarbeit – je nach unseren Begabungen, Fähigkeiten und Möglichkeiten - vor Ort, in unserem Land, europaweit, weltweit…..
„Suche Frieden und jage ihm nach!“ Dieser Psalm-Vers (34,15) hat es uns angetan. Für uns heißt Leben immer auch: Suche Frieden. Eines wissen wir: Friedenssuche hat immer zu tun mit Suchen und Fragen, mit dem Finden von Balance zwischen Sehnsucht und Verzweiflung, mit dem Finden von Wegen in der Gefahr. Sie hat zu tun mit einem Gehen, wie wenn wir Schritte in die Luft setzen und es uns schwindelt – und wir dabei –hoffentlich- erfahren dürfen, dass wir doch irgendwie getragen und gehalten sind.
„Suche Frieden!“ Wenn doch jemand die Zuversicht mitbrächte, dass das Leben, die Politik, unser Alltag und der ganze tägliche Betrieb wieder zu etwas führten. Dass ein Advent käme: der Anfang, den wir ergreifen könnten; der nicht aufhört, mit uns und allen Menschen etwas Gutes anzufangen.
Kyrios, schenke uns diesen Advent!
Lied
Tau aus Himmelshöhn (GL 158 // EG 178,6)
Gebet
Komm, ja komm, Du unser Gott.
Komm mit deinem Atem und belebe uns.
Komm mit deiner Kraft und richte uns auf.
Komm mit deiner Liebe und begeistere uns neu –
Hier und heute und alle Tage unseres Lebens. AMEN
Bibeltext I – Lesung aus Jesaja 40,1-5.9-11
(Israel ist im Exil. Exil ist der Inbegriff von Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit. In solche Situation hinein kommt der Zuruf: „Tröstet, tröstet mein Volk!“ Das sind Worte wie eine bergende Umarmung gegen die Angst, wie eine zarte Berührung gegen den Schmerz.)
Tröstet, tröstet mein Volk, / spricht euer Gott. Redet Jerusalem zu Herzen / und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, / dass ihre Schuld beglichen ist; / Eine Stimme ruft: / Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße / für unseren Gott! / Jedes Tal soll sich heben, / jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, / und was hüglig ist, werde eben. / Dann offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn, / alle Sterblichen werden sie sehen. / Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen./ Steig auf einen hohen Berg, / Zion, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme mit Macht, / Jerusalem, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht! / Sag den Städten in Juda: / Seht, da ist euer Gott. / Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht, / er herrscht mit starkem Arm. Seht, er bringt seinen Siegespreis mit: / Wie ein Hirt führt er seine Herde zur Weide, / er sammelt sie mit starker Hand. Die Lämmer trägt er auf dem Arm, / die Mutterschafe führt er behutsam.
Impulswort I
„Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“ (Jesaja 40,1)
Was ich erst vor kurzem entdeckte: Johann Sebastian Bach unterzeichnete alle seine Kompositionen immer mit vier Buchstaben: „A.M.D.G.“ – das war die Abkürzung für „Ad Maiorem Dei Gloriam“. „Zur größeren Ehre Gottes“ – heißt das aus dem Lateinischen übersetzt. Wie kommt Bach dazu, seine Kompositionen mit diesen vier Buchstaben zu beenden?
Er lebte mit einem Zuspruch. Er erfuhr sich auf einem Grund stehend. Er wusste sich getragen, geliebt und angenommen - von seinem Gott – und dies unbedingt, gratis, umsonst. Und das ist ja auch in seiner Musik, in seinen Werken zu spüren. Man denke nur an sein Weihnachtsoratorium! Er lebte aus einem Vertrauen und einer Zuversicht. Wie können wir dazu einen Zugang bekommen? Ich will einen Versuch wagen:
Kein Mensch kommt auf die Welt ohne die unstillbare Sehnsucht, in der Liebe eines anderen zu hören und zu erfahren, dass er – unbedingt – erwünscht ist. Nur wenn er das hört, wird er dem Leben trauen. Nur so wird er zur Liebe fähig sein und Vertrauen und Mut bekommen.
Wenn ich Vertrauen und Liebe erfahre, kann ich mutig ins Leben gehen. Wir Menschen wachsen von außen nach innen; wir lernen uns verstehen von außen – von der Kraft und Liebe unserer Mütter und Väter, von der Kraft und Liebe unserer Brüder und Schwestern. Welcher Mensch weiß völlig aus sich allein heraus, dass es gut ist, dass er da ist, dass etwas Wesentliches fehlen würde, wenn er nicht da wäre?
In diese existentielle Situation hinein spricht der christliche Glaube. Er steht und fällt damit, dass ich mir - von außen, immer vermittelt durch andere Menschen - von Jesu Gott her zusagen lasse, was ich mir selbst nicht sagen kann, was ich so schwer nur zu glauben wage und wonach ich mich doch so sehr sehne: dass ich mit allem, was ich faktisch bin, anerkannt und gutgeheißen bin und es bleibe. Ein Trostwort! „Er hat uns zuerst geliebt!“ sagt die Bibel (1 Joh 4,19). Ich darf mir im Bewusstsein meiner Grenzen und meiner völligen Zufälligkeit und Hinfälligkeit zugesagt sein lassen, dass ich unbedingt erwünscht und mit Würde ausgestattet bin. Meine Würde und mein Heil hängen nicht von meinen Aktiva und Passiva ab. „Amor ergo sum.“ Ich bin geliebt – von Gott, also bin ich.
Das ist der der Dreh- und Angelpunkt. Völlig unverdient und absolut wohltuend darf ich diese „frohe Botschaft“ hören. Wo ich dieser Botschaft traue, da kann ich mein Leben in einem anderen Licht sehen, da bin und werde ich ein Christ, eine Christin. Das Dunkle wird nicht sofort hell, die Dinge ändern sich nicht sofort zum Besseren, aber ich kann sie eben anders ansehen lernen.
Das ist es, was Glauben im Kern ausmacht: auf dieses andere Licht zu setzen, sich zu entscheiden, den Zuspruch hören zu wollen: „Du bist unbedingt geliebt, Du bist geliebter Mensch – ohne Wenn und Aber.“ Ein Trost-Wort der besonderen Art! Glauben ist Leben mit solchem Zuspruch. Der Glaube kommt vom Hören, sagt Paulus. Es braucht also offene Ohren und unsere Entscheidung, mit diesem Zuspruch leben zu wollen. Bachs vier Buchstaben waren seine Antwort auf diesen Zuspruch: Alles: Ad Maiorem dei gloriam – Alles: Zur größeren Ehre Gottes. „A.M.D.G.“
Lied
Kündet allen in der Not (GL 221, 1-5)
Bibeltext II – Evangelium aus Markus 1,2-8
Wie geschrieben steht beim Propheten Jesája – Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg bahnen wird. Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen! So trat Johannes der Täufer in der Wüste auf und verkündete eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden. Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig. Er verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken und ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Ich habe euch mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.
Impulswort II
„Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen.“ (Mk 1,3)
Was heißt: „…den Weg des Herrn bereiten“?
Friedensarbeit zu leisten gehört mit Sicherheit dazu. Für Gerechtigkeit einzustehen. All das hat im Kern zur Voraussetzung: Lieben zu lernen. Also: Sich in die Lebensform einzuleben, die dem Hauptgebot der Bibel entspricht: sich von Gott lieben zu lassen, ihn zu lieben und selbst den fernsten Nächsten zu lieben.
Bekannt ist uns allen ein wesentlicher Satz der Bibel, den wir an vielen Stellen finden: „Liebe deinen Nächsten - wie dich selbst“. Martin Buber und Franz Rosenzweig, zwei wichtige Bibel-Übersetzer, übersetzen wohl richtiger (angefangen mit der Stelle im Buch Levitikus 19,18): „Liebe deinen Nächsten, er ist wie du“. Damit wird viel deutlicher: Es geht nicht darum, die Liebe zu sich selbst zum Maßstab der Nächstenliebe zu machen. Die Israeliten sollten daran erinnert werden, dass der Nächste – egal ob Freund oder Feind – wesensgleich mit ihnen selber ist. Der Grund der Liebe und der Grund für die Achtung jedes anderen Menschen ist demnach nichts anderes als die Gleichheit aller Menschen.
Man kann, man darf also -biblisch besehen- einen Menschen, einen Fremden, einen Feind, nicht ohne weiteres töten oder vernichten. Denn: „Er ist wie du“ – oder: „Das bist du selbst!“ Man müsste also zunächst erklären, wenn man einen Menschen töten will, dass er nicht wie man selber ist.
Als die Nazis Juden, Behinderte und Homosexuelle, Sinti und Roma vernichteten, haben sie das nicht einfach nur getan. Sie haben sich und andere darauf vorbereitet, indem sie diesen Menschengruppen abwertende Bezeichnungen gegeben haben, mit denen sie aussagten: „Sie sind nicht wie wir!“ Sie haben die Juden „Parasiten und Schmeißfliegen“ genannt, die Kranken „Minusvarianten“, Lesben und Schwule „Schädlinge am Volkskörper“.
Es gibt die Grundeinsicht der Bibel – und die heißt: Der Mensch, der neben dir lebt, der mit dir auf dieser Erde atmet, ist wie du. Wenn man ihn mit dem Messer sticht, blutet er wie du. Sein Blut ist rot wie das deinige. Er weint Tränen wie du, wenn er Schmerzen hat. Er ist der Freude und des Glücks fähig - wie du selber. Er muss sterben - genau wie du. Darum behandle ihn, wie du selber behandelt werden willst; denn er ist dir gleich. Die Goldene Regel der Bibel!
Der Dichter Erich Fried wurde einmal gefragt, wie er einen Neonazi beschreiben würde. Er, der Jude, antwortete: „Ein Neonazi ist ein Mensch, der unter Zahnschmerzen leiden kann wie ich selber; der Liebeskummer haben kann wie ich selber und der weinen kann wie ich selber.“ Gewiss hat Erich Fried noch einiges andere gesagt, aber zunächst hat er die Gleichheit eines solchen Menschen mit sich selber festgestellt.
Diese Einsicht ist die eigentliche Tötungshemmung – und für mich eine Grundmotivation, für Frieden und Versöhnung unter uns Menschen einzutreten. Darum auch die vielfältige Erinnerung der Bibel: Dein Nächster ist wie du. Behandle ihn, wie du selber behandelt werden willst. Die Goldene Regel! Darum liebe ihn, versuche nicht, seine Eigenheit an deiner zu messen, lass seine Fremdheit unberührt. Darum erkenne ihm die Lebensrechte nicht ab, darum setze Dich ein, Flüchtlinge aufzunehmen, wenn die Fluchtursachen nicht geändert werden können, darum betreibe nicht Raubbau an den Ressourcen, darum achte das Klima, die Luft, das Wasser, den Wald als gemeinsame Güter für alle Menschen - weltweit. Darum: „Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps 34,15) All dies und viel mehr heißt für mich: „…den Weg des Herrn bereiten“?
Lied
Selig seid ihr, wenn ihr lieben lernt (GL 458, 1-4)
Bitten / Gedenken
Unser Gott ist ein Gott des Lebens, der befreit, der möchte, dass wir und alle Menschen leben, erfüllt leben.
Deshalb bitten wir:
Für alle Menschen, die aufgeben wollen, die an Covid 19 erkrankt sind: die keine Kraft mehr spüren und resignieren
Kurze Stille
Liedruf
(nach der Melodie GL 218 / EG 1: Macht hoch die Tür): Wach auf, du Mensch, und öffne dich weit, Gott will eine große Friedenszeit“
Für alle Menschen, deren Rechte mit Füßen getreten werden und die nach einem Fluchtpunkt der Hoffnung suchen
Kurze Stille
„Wach auf, du Mensch, und öffne dich weit, Gott will eine große Friedenszeit“
Für alle Menschen, die sich nach Frieden, Gerechtigkeit und Gesundheit sehnen – heute besonders im Amazonas-Gebiet, in den Flüchtlingslagern z.B. in Moria, sodann im Norden Äthiopiens, in Israel-Palästina, in Afghanistan und im Irak, in Syrien und Libanon, im Sudan und Jemen
Kurze Stille
„Wach auf, du Mensch, und öffne dich weit, Gott will eine große Friedenszeit“
Für die Menschen von Caritas und Diakonie, von Sozialdiensten und Beratungsstellen, die Menschen begleiten, ihren Erfahrungen standzuhalten
Kurze Stille
„Wach auf, du Mensch, und öffne dich weit, Gott will eine große Friedenszeit“
Für die Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen, die oft zu retten versuchen, was zu retten ist
Kurze Stille
„Wach auf, du Mensch, und öffne dich weit, Gott will eine große Friedenszeit“
Für die Menschen, die als Fremde und Flüchtlinge unter uns in unserer Stadt und unserem Land leben – sozusagen und de facto im Exil
Kurze Stille
„Wach auf, du Mensch, und öffne dich weit, Gott will eine große Friedenszeit“
Gott des Lebens: schenke uns Menschen, die uns beleben, wenn unsere Hoffnungen schwinden; lass uns zu Menschen werden, die Mut machen zum Leben; lass uns durch alle Erfahrungen hindurch deine Verheißungen neu erkennen. AMEN
Lied
Macht hoch die Tür (GL 218, 1+3 // EG 1, 1+3)
Schlussgebet und Segen
Gott des Lebens,
wir erfahren, dass bei der Suche nach Frieden nicht allein trägt,
uns auf uns selbst zu berufen.
Deshalb bitten wir: Komm uns entgegen und ergänze und vollende, was fehlt.
Sei immer bei uns auf unserem Weg.
Ergreife durch uns Partei für das Leben.
Gib
Kraft, damit wir deinem Licht durch uns eine Leuchtkraft geben.
Gib Mut, Gewalt zu vertreiben und Missgunst zu verwandeln.
Gib Zuversicht, die Welt zu einem geeinten Haus zu gestalten,
einem Haus, in dem Friede und Licht und Liebe wohnen.
AMEN.
Lied
Gott gab uns Atem (GL 468, 1-3 / EG 432, 1-3)