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Impuls zum 29.08.2021

Zum 22. Sonntag im Jahreskreis

Von Reinhard Haubenthaler, Diözesanverband München und Freising

 

Einführende Gedanken

Sehr entschieden geht Jesus nach dem Evangelium des heutigen Sonntags ins Gericht mit den religiösen Autoritäten seiner Zeit. Er wirft ihnen vor, mit ihren Vorschriften, Gesetzen und Regeln Gottes Gebote zu missachten und die Menschen von Gott  wegzuführen. Er zitiert dabei ein aufrüttelndes Wort des Propheten Jesaja, in dem Gott darüber klagt, dass sein Volk ihn nur mit Lippenbekenntnissen ehrt, mit dem Herzen aber weit weg ist von ihm und sich lieber an von Menschen gemachte Satzungen hält, als nach Gottes wirklichem Willen zu fragen. Seine Schüler lädt er dazu ein, sich frei zu machen von diesen menschengemachten Regeln und auf das zu schauen, was wirklich ein Leben in Liebe zu Gott und den Menschen ermöglicht. In diesem Sinn dürfen wir Jesus anrufen als einen, der uns in eine beglückende Freiheit und in eine „von Herzen“ liebende Beziehung zu Gott und den Menschen führt:


Kyrie

Herr, Jesus Christus, Du führst uns aus den äußeren und den inneren Zwängen in ein Leben in Freiheit und Liebe.

Herr, erbarme dich.

Du lädst uns ein, Gott und die Menschen von innen heraus, aus ganzem Herzen, zu lieben.

Christus, erbarme Dich.

Du lässt uns heil werden von innen her.

Herr, erbarme Dich.


Gebet

Du Gott des Lebens,

von dir allein kommt alles Gute.

Öffne uns die Augen durch deinen Geist.

Lass uns erkennen,

wo Denkgewohnheiten, Traditionen, Regeln und Gesetze uns wegführen von dir.

Lass uns spüren, was wirklich dem Leben und der Liebe dient.

Lass uns deine Nähe erfahren,

damit Mut, Hoffnung und Vertrauen wachsen in uns.

Durch Jesus Christus, der uns zu dir führt und zu den Menschen als Schwestern und Brüder.

Amen.

 

Evangelium (Mk 7, 1-8. 14-15. 21-23)

Ich habe die in der offiziellen Fassung ausgelassenen Verse (durch Unterstreichung erkenntlich) ergänzt; das Zitat aus dem Propheten Jesaja (Jes 29, 13) habe ich durch Kursiv-Druck hervorgehoben.


In jener Zeit versammelten sich die Pharisäer und einige Schriftgelehrte,
die aus Jerusalem gekommen waren, bei Jesus.
Sie sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen,
das heißt mit ungewaschenen Händen aßen.
Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur,
wenn sie vorher mit einer Handvoll Wasser die Hände gewaschen haben;
so halten sie an der Überlieferung der Alten fest.
Auch wenn sie vom Markt kommen,
essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen.
Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein,
wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln.
Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also:
Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten,
sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen?
Er antwortete ihnen:
Der Prophet Jesaja hatte recht mit dem,
was er über euch Heuchler sagte,

wie geschrieben steht:
Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen,
sein Herz aber ist weit weg von mir.
Vergeblich verehren sie mich;

was sie lehren, sind Satzungen von Menschen.
Ihr gebt Gottes Gebot preis
und haltet euch an die Überlieferung der Menschen.


Und weiter sagte Jesus:

Sehr geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft

um eure eigene Überlieferung aufzurichten.

Denn Mose hat gesagt:

Ehre deinen Vater und deine Mutter! und:

Wer Vater oder Mutter schmäht,

soll mit dem Tod bestraft werden.

Ihr aber lehrt:

Wenn einer zu seinem Vater oder seiner Mutter sagt:

Korbán – das heißt: Weihegeschenk sei, was du von mir als Unterstützung erhalten solltest,

dann lasst ihr ihn nichts mehr für Vater oder Mutter tun.

So setzt ihr durch eure eigene Überlieferung Gottes Wort außer Kraft.

Und ähnlich handelt ihr ihn vielen Fällen.

 

Dann rief Jesus die Leute wieder zu sich und sagte:

Hört mir alle zu und begreift, was ich sage!
Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt,
kann ihn unrein machen,
sondern was aus dem Menschen herauskommt,
das macht ihn unrein.

 

Er verließ die Menge und ging in ein Haus.

Da fragten ihn seine Jünger nach dem Sinn dieses rätselhaften Wortes.

Er antwortete ihnen:

Begreift auch ihr nicht?

Versteht ihr nicht,

dass das, was von außen in den Menschen hineinkommt,

ihn nicht unrein machen kann?

Denn es gelangt ja nicht in sein Herz,

sondern in den Magen und wird wieder ausgeschieden.

Damit erklärte Jesus alle Speisen für rein.

Weiter sagte er:

Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.


Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen,
kommen die bösen Gedanken,
Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist,
Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft.
All dieses Böse kommt von innen
und macht den Menschen unrein.
 

 

Gedanken zum Evangelium

Wie unterschiedlich „Religion“ ausschauen kann!


Die Erfüllung von Vorschriften und Gesetzen, die Befolgung von Regeln und Traditionen kann eine derartige Bedeutung bekommen, dass die wirkliche Beziehung zu Gott und zu den Menschen immer mehr aus dem Blick verschwindet. Religiöse Überlieferungen und Bräuche, von „Fachleuten“ und Autoritäten der Religion vertretene Forderungen und Gebote können sogar unmenschliches Verhalten legitimieren und von einer lebendigen Beziehung zu Gott dispensieren, ja von ihr wegführen. Das Evangelium des heutigen Sonntags spricht mit großer Deutlichkeit von dieser Gefahr.


Mit diesem religionskritischen Blick, zu dem Jesus selbst uns anleitet, sollten wir nicht nur auf andere Religionen schauen. Wie wichtig waren die „Kirchengebote“ (einschließlich Nüchternheitsgebote und Ähnliches) lange Zeit in unserer Kirche! Man konnte sich als guter Christ fühlen, wenn man die Sakramente in den von der Kirche vorgeschriebenen Situationen und mit der vorgeschriebenen Regelmäßigkeit empfing.  


Welchen Wert haben religiöse Rituale? Sie können und sollen Ausdruck des Inneren sein. Wir brauchen sie. Aber das Auseinanderklaffen von Innerem und Äußerem ist eine immer drohende Gefahr. Sehr eindringlich wird das von Jesus thematisiert. „Der Mensch neigt dazu, in religiöse Betriebsamkeit zu verfallen, um sich für seine Weigerung, in Wahrheit umzukehren, ein Alibi zu verschaffen“, so der bekannte, erst vor einigen Jahren verstorbene Münchner Neutestamentler Joachim Gnilka (in seinem Markus-Kommentar, EKK, I, S. 287).

 

Mit seinem Zitat aus dem Propheten Jesaja bringt Jesus das „Herz“, die Innenseite des Menschen, ins Spiel. Das Herz: das Lebendige in mir, die Quelle meiner leib-geistigen Lebenskraft; die „Person-Mitte“, wo Fühlen und Empfinden, Denken, Wollen und Handeln ihren Ursprung haben; Mittelpunkt des inneren Lebens, Ursprung der seelischen Kräfte und Fähigkeiten; im AT und NT die innerste Mitte, an die Gott sich wendet in seinem Anruf und mit seiner Gnade.


Trotz aller Lippenbekenntnisse, ja gerade durch die fromm erscheinenden, aber von Menschen gemachten religiösen „Satzungen“ kann das „Herz“ der Menschen „weit weg“ sein von ihrem Gott.


Mit seiner leidenschaftlichen Kritik an der auf religiöse Gesetze fixierten Frömmigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer lädt Jesus seine Schüler letztlich dazu ein, mit Gott in eine liebende Beziehung zu treten - in eine persönliche Beziehung zu dem lebendigen Gott, die mehr ist als ein gehorsames Erfüllen rein äußerer Gebote. Wir müssen und wir können keine Zuwendung von ihm erkaufen durch Leistungen wie („Weihe“-)Geschenke oder die Erfüllung von religiösen Vorschriften. Wir sind, das versucht Jesus uns immer und überall klar zu machen, doch Töchter und Söhne eines Gottes, der uns liebt und nahe sein will wie ein Vater oder eine Mutter. Dazu brauchen wir keine komplizierten Reinheits-Vorschriften zu befolgen. Nach seinem Willen sollen wir fragen, in jeder Situation, mit unseren ganz eigenen Möglichkeiten, immer wieder neu, mit unserem Herzen,  von der Mitte unseres Wesens, unserer Person, von der Quelle unserer Freiheit her.


Wie geschieht es, dass unser Herz nahe bei Gott ist? Wie gelingt es, dass das Herz „rein“ wird? Das A und O dabei ist sicher, ehrlich zu sein: die bösen Gedanken, Wünsche nicht zu verdrängen, zu leugnen oder zu beschönigen; sie sich bewusst zu machen, sie erst einmal als Realität zu akzeptieren und dann zu vertrauen auf die vergebende, heilende Nähe Gottes, die den guten Samen, das Reich Gottes in uns wachsen lässt; und schließlich sich immer wieder klar zu machen, wie wenig die Äußerlichkeiten bedeuten und bewirken und wozu Jesus uns einlädt, aufruft und wohin er uns führen will.

 

Auf diesem Hintergrund lohnt es sich jetzt noch einmal das Verhältnis von Innerem und Äußerem zu bedenken:


Regeln, Gesetze, Strukturen haben ja durchaus ihren Sinn. Menschliches Zusammenleben kommt nicht ohne sie aus. Aber wenn sie nicht getragen sind von einer entsprechenden inneren Haltung des „Herzens“ und von ehrlicher Überzeugung, werden sie fehlinterpretiert und bekommen eine Eigendynamik, die ihrem eigentlichen Sinn nicht mehr gerecht wird.

Umgekehrt reicht es auch nicht, nur auf das „Herz“, nur auf den „guten Willen“ der Menschen zu bauen. Einklagbare Rechte, Verfahrensordnungen und für alle gültige Vorschriften haben ihren Sinn und sorgen für eine gewisse Sicherheit. „Herz“ und Gesetz, innere Einstellung und äußere Normen oder Maßnahmen müssen immer wieder vernünftig und angemessen zu einander in Beziehung gesetzt werden.

 

In der Kirche:

Vieles, was lange und teilweise bis heute als unaufhebbare „Überlieferung der Alten“ d. h. Lehre der Kirche gesehen wurde und wird, stellt ja doch eher von Menschen formulierte Interpretation dar als Gottes hier und heute geltenden Willen. Dazu noch einmal J. Gnilka (wieder in seinem Kommentar zum Markus-Evangelium, EKK, I, S. 284): „Wer die Schrift gegen die Liebe Gottes auslegt, hebt das Wort Gottes auf.“ 

Und die Arbeit am Erscheinungsbild durch „Unternehmensberatung“ und Strukturwandel“: Wo und inwieweit können sie tatsächlich nötig und hilfreich sein?

Was aber würde geschehen, wenn es gelänge, in der Nachfolge Jesu – seinem Ruf folgend – „umzudenken“ und seinem „Evangelium“, seiner guten, befreienden, frohen Botschaft „aus ganzen Herzen“ noch konsequenter und radikaler zu folgen?

 

In der Friedens- und Sicherheitspolitik:

Noch immer sehen die meisten Menschen in äußeren Maßnahmen, in der Abschreckung und in militärischen Einsätzen das Mittel zur Sicherung des Friedens, fordern die Erhöhung der Militär-Ausgaben und den Ausbau der Bundeswehr.

Aber nur wenn die inneren, im „Herzen“ der Menschen liegenden Gründe für Feindschaft und Aggression (Vorurteile, materielle Interessen, Machtgier, Ängste) gesehen und bearbeitet werden, kann die Basis geschaffen werden für ein gedeihliches und nachhaltiges Miteinander. Dazu braucht es das ehrliche Interesse für die Menschen in anderen Völkern, Nationen und Religionen, die Bereitschaft sie ernst zu nehmen mit ihren Traditionen, mit ihren Interessen und Befürchtungen - in einem Dialog auf Augenhöhe, der wirkliche Zuwendung, längerfristige Kontakte, letztlich die Liebe miteinschließt.

 

In der pax christi-Bewegung sind wir da, so scheint mir, auf einem guten Weg. Das ist doch gerade ein Spezifikum und die Stärke der Arbeit von pax christi, dass die „äußere“ politische Arbeit „innere“ spirituelle Wurzeln hat - im persönlichen Gebet, in Gottesdiensten, Wallfahrten und in der theologischen Reflexion; dass die politischen Forderungen begleitet und unterstützt werden von einer intensiven Bildungs-Arbeit, die darauf abzielt, durch Informationen, aber auch durch friedenspädagogische und –psychologische Übungen („Gewaltfreie Kommunikation“ u. a.) Einstellungen und innere Haltungen zu verändern;  

dass die Begegnung, die Versöhnung, der Dialog zwischen den Völkern, gerade zwischen ehemals verfeindeten, am Anfang der Bewegung stand und immer noch ein wesentliches Element der Arbeit darstellt.

 

„Frieden kann man nicht gegen den Menschen schaffen. Der Mensch … braucht alle seine Fähigkeiten – Gehirn und Herz –, um Frieden zu schaffen: Liebe, Barmherzigkeit, Leidensfähigkeit, Kampf, Engagement, Überwindung der eigenen Angst, Zivilcourage“, so Reinhold Lehmann, von 1969 bis 1982 Generalsekretär von pax christi, in seinem Buch „Friedenssignale“ (S. 5). 

 

Text

Gib uns

reinen Geist,

damit wir dich sehen,

demütigen Geist,

damit wir dich hören,

liebenden Geist,

damit wir dir dienen,

gläubigen Geist,

damit wir dich leben.

 

Dieses Gebet stammt von dem schwedischen UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld (1953 – 1961). Es findet sich in seinem spirituellen Tagebuch „Vägmärken“, deutsch „Zeichen am Weg“,  am 19. Juli  1961. Zwei Monate später, am 18. September 1961, also vor genau 60 Jahren, kam er bei seinen Bemühungen um einen Waffenstillstand im Kongo durch einen bis heute ungeklärten Flugzeugabsturz ums Leben.

 

Gebet

Du, unser Gott,

Danke, dass Du uns Jesus geschenkt hast.

Seine Worte und Taten, sein Leben und Sterben bedeuten mehr als eine Lehre,

mehr als ein Gesetz.

Sie schenken uns viel mehr als Dogmen und Gebote.

Denn er ruft uns in die Freiheit, er führt uns auf einen Weg, er spricht unser Herz an;

er lädt uns ein zu einer Beziehung zu dir, die ganz persönlich ist,

geprägt von herzlicher Liebe,

die uns hinführt zu den Menschen, die mit uns leben,

die sie uns sehen lässt als Schwestern und Brüder, als Kinder des einen Vaters.

In seinem Geist schenke uns die Kraft,

das Böse in uns und um uns zu erkennen, zu entlarven zu entmachten,

damit Gutes, Achtsamkeit, Freundschaft und Liebe wachsen können,

in uns und in unserer Welt.

So segne uns der dreieinige Gott,

der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

Amen.