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Impuls zum 2. Januar 2022

Zum 2. Sonntag nach Weihnachten

Von Nikolaus Huhn (Weimar), Mitglied der pax christi-Kommission Rüstungsexporte

Können wir im Ernst gegen einen Rohstoff-Krieg sein?
Blick eines Pazifisten in den Spiegel

Wollen Sie etwa ein Gutmensch sein? Kant bewahre. Wenn edle Federn – in der ZEIT und anderen Ortes – sich und den dankbaren Leser:innen über ungenießbare Gutmenschen  erheben, dann zeichnet sich ab, dass der Pazifismus nicht mehr in den Top Ten der Charts mitspielt.  

Jeder hier zu Lande – fast jeder – wurde als Kind pazifistisch kontaminiert, sei es über das Christkind oder die kleine weiße Friedenstaube. Und viele empfinden Unbehagen, angesichts der etwas asymmetrischen weltweiten Güterverteilung, angesichts des systematischen Zugriffs auf das global Eingemachte und angesichts der brachial merkantilen wie auch diskret martialischen Absicherung unserer ‚vitalen Lebensinteressen’. Wie aber umgehen mit diesem lästigen Piepsen des ethischen Detektors? 

Gebenedeit sei, wer uns einen niveauvollen Ausweg aus diesen ethischen Dilemmata weist: Friedliche Gutmenschen waren mal modern, in den Achtzigern vielleicht. Spätes Erwachsenwerden aus pazifistischen Träumereien ist jetzt postmodern. „Wer mit siebzehn kein Pazifist ist, hat kein Herz, wer es mit siebenundzwanzig noch immer ist, hat keinen Verstand“. Nur jetzt nicht den Anschluss an die verlieren, die schon immer erwachsen waren. Ruckartige hinterhereilende Adoleszenzbemühungen können jedoch zu etwas linkischer vorauseilender Martialik führen. So gesehen fühlt sich der Pazifist in der Obhut eines besonnenen Generals wohler als unter dem etwas wackeligen, nassforschen Kommando nachgereifter spätberufener Bellizisten auf der Regierungsbank.

Gebenedeit sei der Journalist, der uns mit intellektuellem Anspruch erklärt, dass das geostrategische Rohstoffinteresse bei den US-amerikanischen Volten der letzten Jahrzehnte doch wohl eher eine untergeordnete Rolle spielt. Das lässt den Pazifisten seine eigene Teilhabe an den Segnungen des kurzen Ölzeitalters leichter ertragen.

Gebenedeit sei, wer uns von dem Verdacht entlastet, die eindeutige Zuweisung des Schurkentitels zwischen den amerikanischen wie englischen Heerscharen einerseits und den fanatischen Arabern und Afghanen andererseits, könne angesichts der nur vage geschätzten Toten und anderer Kollateralitäten des internationalen Engagements der Number one etwas verzwickter sein, als gerne angenommen.

Der Blick des Pazifisten aber fällt in den Spiegel im Flur. Hier er selbst, guten Willens. Dort hinter dem Spiegel das Ticket nach Colombo zur Konferenz über sanften Tourismus. Auf der Handschuhablage der Schlüssel für das Automobil. Der Atem des Pazifisten beschlägt den Spiegel nicht. Der Heizöltank ist voll, der Flur ist warm.

Wo aber steckt das Körnchen Wahrheit in der Argumentation selbst ernannter Realisten, wenn sie ökologisch und pazifistisch orientierte Gutmenschen milde belächeln?

Wir Gutmenschen wollen bei vollem Lohnausgleich dagegen gewesen sein. Wir wollen ein gutes Gehalt, Fernreisen, Rundum-, Voll- und Altersversicherung sowie den sechzigfachen Energieumsatz eines Bangladeshi und außerdem wollen wir voll für den Frieden sein. Hier scheint ein ethischer Webfehler vorzuliegen. You can‘t eat the cake and have it too, wiederholt gelegentlich Saral Sarkar, der zivilisationskritische Inder vom Ufer des Rheins.

Der praktische Hinweis auf die noch gründlichere wie effektivere Ressourcenverschredderung der Nordamerikaner mag da bestenfalls als anspruchslose Ausrede schlichter Gemüter für unsere europäische Praxis herhalten. 

Jan Ross sieht in der ZEIT den Pazifismus im bürgerlichen Lager angekommen. Da hat er wohl recht. Wir wollen das ganze tolle Zeugs haben und gleichzeitig die bösen Konzerne, Börsen-Messdiener und Globalisatoren attackieren, die die moralische Drecksarbeit machen. Das entbehrt der Ästhetik des Widerstandes. Das lässt verstehen, warum anders Denkende den arrivierten Pazifismus als ‚politischen Kitsch‘ empfinden. Gandhi über dem Kanapee – der fastende Hirsch.

Uns beflügelt die muntere Vorstellung, dem Frieden hafte kein Preisschildchen an. Man müsse ihn lediglich fordern und er käme eilends herbei. Und falls er denn ausbliebe, könne man sich wenigstens daran wärmen, mit seiner Forderung im Recht gewesen zu sein. Das scheint ein fliegengewichtiges Hobby.

Müssen wir nicht hoffen, dass unser, mit halblauter Stimme skandiertes, NEIN gegen einen Rohstoffkrieg leise genug und ungehört bleibt? Können wir wirklich wünschen, dass man auf uns hört, dass unsere Forderung Mehrheiten gewinnt? Und unser Wohlstand wohlmöglich ins Schlingern gerät?
 
Ob wir hoffen ernst genommen zu werden, erkenne man bitte an unserer Bereitschaft, mögliche Einbußen in Kauf und vorweg zu nehmen, die denen bevorstehen, die sich nicht an dem martialischen Gedränge um die globalen Restressourcen beteiligen wollen oder können. Nicht dass man erst durch einen Verzicht auf das Beutegut das Recht erwirbt, gegen den Krieg zu sprechen. Nein, es spreche gegen einen Krieg wer möchte. Nur täusche sich nach dem aufmerksamen Blick in den Spiegel keiner über das Gewicht seines Wortes gegen den Krieg.

Es ist nicht gerade leicht, von innen her das Ausmaß eines möglichen Kollapses unserer fragilen Industriezivilisation zu vermessen? Wie es den Zweitplazierten im deutsch-deutschen Nachkriegswettrennen auch nicht leichtfiel, Ende der achtziger Jahre den Grad der sozialen Korrosion ihres Modells zu erkennen. Die Innenansicht eines gesellschaftlichen Explosionsprozesses ist selten beunruhigend. Die fliegenden Teilchen bewegen sich alle so schön gleichmäßig. Man nenne es wirtschaftliches Wachstum und hoffe auf seine immerwährende Fortsetzung. Oh mathematische wie biologische Einfalt. Oh beneidenswerte Glaubensstärke.

Wer malt sich im Ernst aus, dass eine Stromversorgung in dem Moment ausfallen könnte, wo wir gerade das spannende neue Format gucken, bei dem ein paar waghalsige Städter versuchen im Schwarzwald zu leben wie vor hundert Jahren – oder wie in Rumänien heute. Mobilität oder Mobilismus, wie dato praktiziert, mag verzichtbar sein. Vieles lässt sich regional abwickeln. Man kann dabei auf Jahrhunderte lange Erfahrung zurückgreifen. Frieren im Winter – ohne Öl und Gas – ist jedoch etwas ausgesprochen Archaisches, Ideologie fressendes. Nur wenige Ideale halten Temperaturen von unter Null Grad in Innenräumen stand.

Ja, wir können im Ernst gegen einen Rohstoff-Krieg sein – wenn wir es im Ernst sind. Wundere sich keiner, wenn er den Pazifisten mit der Axt im Wald antrifft, Brennholz schlagend. Erwarte keiner in des Pazifisten Garage ein Automobil. Und suche ihn keiner im Bauch eines Flugzeuges.

Es geht hier nicht um einen ökologisch-pazifistischen Neopurismus sondern um den Versuch, den hehren Worten Gewicht zu verleihen. Es geht nicht um schwarz oder weiß, um Computerzeitalter versus Bronzezeit. Es geht um Schritte persönlicher Konsequenz, die einschneidend genug sind, um den Bellizisten allerorten Respekt vor unserem Anliegen abzugewinnen. Und sei es auch nur um sich selbst im Spiegel in die Augen sehen zu können. Ganz im Sinne des vor zwanzig Jahren verstorbenen Jürgen Dahl, dessen Gärtnerkolumnen verständlicher Weise, jedoch zu Unrecht, beliebter waren als seine hellsichtigen gesellschaftlichen Analysen.

Na und was will der Pazifist mit all dem Bemühen? Sich und anderen ein schlechtes Gewissen machen? Nein, ganz im Gegenteil: ein gut funktionierendes.


 

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