Impuls zum 20. Dezember 2020
Von pax christi-Präsident Bischof Peter Kohlgraf, Mainz
Der Mensch sucht nach Gott
Der Mensch sucht nach Gott – diese Erfahrung ist so alt wie die Menschheit. Ein Historiker hat einmal den Beginn der Menschheit daran festgemacht, dass eines Tages Menschen am Grab eines Verstorbenen begonnen haben, zum Himmel aufzuschauen und den Verstorbenen Grabbeigaben mitzugeben.
Menschen haben sich Bilder von Gott gemacht, sie haben ihnen geopfert, ihnen Häuser gebaut, sich klare Vorstellungen von ihnen gemacht. Die großen Hochkulturen des Alten Orient sind nicht ohne die Götter zu verstehen. Das gesamte menschliche und politische Leben war von Göttern getragen. Es gab Götter für den Krieg, für die Fruchtbarkeit, für die Liebe, kein Bereich, der nicht von Göttern gelenkt ist. Daher musste sich der Mensch gut mit den Göttern halten. Religionskritiker auch noch in der Neuzeit unterstellen aufgrund einer solchen Erfahrung, dass Götter nichts Anderes seien als Projektionen menschlicher Wünsche. Götter bilden dann das ab, was Menschen denken. Götter garantieren politische Ordnungen, sie dienen menschlichen Zwecken. Immer wieder werden auch Kriege religiös begründet.
Ich versetze mich nun über 2500 Jahre zurück in die Welt dieser Hochkulturen: Ägypten, Babylon, Griechenland, Rom. Und da taucht ein kleines Volk auf, das von seinem Gott spricht auf geradezu revolutionäre Weise. Der Mensch mag Gott suchen, er kann ihn aber nur finden, wenn Gott die Initiative ergreift.
Gott sucht den Menschen
Gott sucht den Menschen. Er lässt sich nicht für Zwecke einspannen, man soll sich kein Bild machen. Er ist eben keine Projektion menschlicher Wünsche, er wählt den Menschen als Partner. Menschen suchen Gott, aber sie können ihn nur finden, weil er ihnen entgegenkommt, weil er sich zeigt. Er braucht keine Opfer, er will Barmherzigkeit. Er ist kein Nationalgott, sondern ein Gott für alle Menschen. Nationale Egoismus oder gar Gewalt lassen sich mit diesem Gott nicht begründen oder rechtfertigen.
Bei einigen Propheten des Alten Testaments findet sich Liebeslyrik: Gott sucht nach dem Menschen, er sucht sein Herz, seinen Verstand, sein ganzes Leben. Menschen suchen Gott – wir glauben, dass Gott den Menschen sucht. Gott kommt auf uns zu.
Diese Suche Gottes hört ja nicht auf, bis heute. Christen glauben, dass der eine Gott alle menschengemachten Bilder auf den Kopf stellt, indem Gott selbst Mensch wird. In Jesus finde ich diesen Gott, der kommt. Daher nannten die Römer die Christen der ersten Jahrhunderte: A-Theoi, also Atheisten. Gott finde ich in Jesus von Nazareth: Er ist Weg, Wahrheit, Leben, niemand sonst. Matthias Grünewald hat auf einem Bild des sogenannten Isenheimer Altars gemalt, wie Johannes der Täufer mit übergroßem Finger auf Jesus hinweist. In ihm ist Gott unter uns angekommen.