Impuls zum 18. Oktober 2020
Von Ferdinand Kerstiens (Marl)
Kaiser und/oder Gott
In der Corona-Krise wurde der Kirche vorgeworfen, sie habe die Religionsfreiheit nicht genügend verteidigt und sich zu schnell den staatlichen Verordnungen gefügt. So seien öffentliche Gottesdienste auch von der Kirche verboten worden und in den Altenheimen und Krankenhäusern seien Menschen alleine gelassen worden. Die Pandemie stellte zunächst alle Beteiligten vor eine völlig neue und bedrohliche Entscheidungssituation. Es ging um Leben und Tod. Sterbende alleine lassen? Andere gefährden? Staat und Kirchen waren überfordert. Doch wie steht es grundsätzlich um das Verhältnis Staat/Gesellschaft/Kirche? Darum geht es im heutigen Evangelium:
Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du die Wahrheit sagst und wahrhaftig den Weg Gottes lehrst und auf niemanden Rücksicht nimmst, denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns: Was meinst du? Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? Jesus aber erkannte ihr böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum versucht ihr mich? Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuer bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin. Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten ihm: des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! Als sie das hörten staunten sie, ließen ihn stehen und gingen weg. (Mt 22,15-22)
„Sagt es in jedem Morgengebet eurem Herrgott, dass ihr tapfer marschieren, kämpfen und aushalten wollt aus Liebe zu Volk und Heimat. Was diese Zeit fordert an Mühen und Tränen, was der Führer und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht euch Soldaten befiehlt und die Heimat erwartet: hinter all dem steht Gott selbst mit seinem Willen und seinem Gebot.“ Feldbischof Rarkowski 1942
Für Rarkowski geht das, was Gott gehört, auf in dem, was der Führer befiehlt. Die Folgen waren verhängnisvoll. Jetzt, nach 75 Jahren, hat das endlich auch die deutsche Bischofskonferenz erklärt und den Bischöfen damals eine Mitschuld an dem schrecklichen Krieg attestiert.
Die Antwort Jesu scheint so einfach und klar: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob ein schiedlich-friedliches Nebeneinander gäbe, als wenn man seine Pflichten entsprechend einteilen könnte. Doch es ging Jesus in seiner Antwort nicht um ein schiedlich-friedliches Nebeneinander von Kaiser und Gott. Aus den Worten und dem Handeln Jesu geht eindeutig hervor: Was Gott will, ist der Maßstab für das ganze Leben, also auch für das, was man dem Kaiser zu geben hat, geben darf.
Über die Steuermünze gibt es dann einen jahrhundertelangen Konflikt, der zu vielen Märtyrern führte: Auf der Münze stand der Name des Kaisers und dazu: Sohn des lebendigen Gottes. Die Christen haben die Steuern bezahlt, aber sie verweigerten dem Kaiser die göttliche Verehrung. Deswegen galten sie als vaterlandslose Gesellen, als Gottlose, als Atheisten. Deswegen wurden viele von ihnen verfolgt, oft bis in den Tod. So einfach scheint es also nicht zu sein, zwischen den Pflichten dem Kaiser und Gott gegenüber zu trennen.
Das Wort Jesu: Gebt Gott, was Gottes ist! nimmt die Christen ohne Zweifel auch für die weltliche Gesellschaft in Dienst: Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gebührt, dem Staat, der Regierung, das, was sie brauchen, damit sie das tun können, was ihnen aufgetragen ist: das Leben des Volkes verantwortlich zu regeln. Dazu gehört besonders die Wahrung von Menschenrecht und Menschenwürde für alle, für die Ausgegrenzten und Kleingemachten an erster Stelle. Denn nur so kann der Staat seiner Aufgabe zugunsten des Gemeinwohls erfüllen. Christen leben nicht außerhalb der Welt. Deswegen ist auch der Christ auf Grund seines Glaubens zu einer besonderen Solidarität dem Staat gegenüber verpflichtet, damit er seine Aufgaben souverän erfüllen kann. Deswegen ist die Steuer(-ehrlichkeit) Christenpflicht.
Das Wort Jesu verweist die Christen in die Solidarität mit der staatlichen Ordnung, aber es zeigt ebenso die Grenzen auf. Gebt dem Kaiser, was er braucht, um seine Aufgaben zu erfüllen, aber verweigert euch ihm, wenn der etwas darüber hinaus verlangt, wenn er gar etwas verlangt, was nur Gott zusteht. Verweigert dem Staat und seinen Repräsentanten also religiöse Verehrung, bedingungslosen Gehorsam, fraglose Unterordnung! Hier lag der verhängnisvolle Irrtum von Rarkowski.
Das Wort Jesu weist uns ein in die Verantwortung eines kritischen Staatsbürgers, der prüft und verantwortlich selber entscheidet, wo er die staatlichen Vorschriften zu erfüllen oder wo er sie zu verweigern hat. So verleiht Jesu den Seinen eine geheime Souveränität gegenüber dem Staat und allen weltlichen Machthabern. Viele, die heute so handeln und sich im Sinne Gottes für die Menschen, für Menschenrecht und Menschenwürde einsetzen, müssen diesen Konflikt mit dem Kaiser, wer immer das heute ist, mit ihrem Leben bezahlen, wie Jesus damals. Ich denke an Oscar Romero und die vielen Märtyrinnen und Märtyrer, die wegen ihres Engagements für Menschenwürde und Gerechtigkeit ermordet werden.
Es kann ja so schnell geschehen, dass der Staat oder das jeweilige Regime oder der Führer, der General zur Norm, zum Idol wird, dem sich alles unterzuordnen hat. Wir haben es ja in unserem Volk mehrfach erlebt: Eigenes Nachdenken gilt dann schon als Verrat, öffentliche Kritik als todeswürdiges Verbrechen. In vielen Staaten ist das auch heute eine bedrückende Wirklichkeit. Die Katholische Kirche tat sich dabei immer sehr schwer mit der Unterscheidung der Geister. Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst in dem ungerechten Krieg damals verweigerte, wer offen gegen das Naziregime protestierte, konnte nicht mit der Unterstützung der breiten Kirchenmehrheit oder der Bischöfe rechnen, im Gegenteil. Franz Jägerstetter ist dafür ein leuchtendes und warnendes Beispiel. Auch nach dem Krieg taten sich die Katholische Jugend und die Bischofskonferenz sehr schwer, die Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung als legitime Gewissensentscheidung zu tolerieren.
Auch uns werden solche Konflikte nicht erspart. Ich bezahle mit meiner Steuer auch den Wehretat, die schnelle Eingreiftruppe, die modernen Waffensysteme, den Krieg in Afghanistan und anderswo, was ich gar nicht will. Darf ich das? Wie kann ich mich verweigern? Kann ich einem Staat meine Zustimmung geben, der zu den größten Waffenlieferanten der Welt gehört? In fast allen Kleinkriegen wird auf beiden Seiten mit deutschen Kleinwaffen gekämpft, gemordet. Wir haben immer schon daran verdient. Dürfen wir um der Sicherung unserer Arbeitsplätze und der deutschen Technologie willen solche Todesmaschinen exportieren?
Vielfach regiert heute die Wirtschaft. Sie diktiert die Politik. Sie ist der neue Kaiser, der bedingungslosen Gehorsam verlangt. Der freie Markt wird zum neuen Gott, dem alles zu dienen hat. Jetzt ist die Weltfinanzwirtschaft durch Corona zusammengebrochen. Jetzt ruft die Wirtschaft nach dem Staat. Die persönlichen Gewinne haben die Geldbesitzer schon längst verbucht und sie tun es auch heute im Hintergrund der Krise. „Die Wirtschaft stiehlt für uns weltweit und schafft es zudem noch, uns dabei ein gutes Gewissen zu verschaffen.“ (so Karl Rahner schon 1972) Das gilt nicht nur für die Reichen. Wir alle verdienen an der Ausbeutung der Armen. Mit jedem Einkauf im Supermarkt verdienen wir an den Hungerlöhnen, die anderswo bezahlt werden. Das bleibt eine Anfrage an uns. Da braucht es das Lieferkettengesetz, dass unsere Wirtschaft mit ihrem Minister zu verhindern versucht. Wer hierzulande zu den Armen gehört, braucht eine Mindestsicherung, die nicht nur Wohnen und Essen ermöglicht, sondern auch Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Das sind alles Fragen aus dem Konfliktfeld zwischen dem, was dem Kaiser gebührt, und dem, was nur Gott gebührt. Das Wort Jesu macht uns auch frei für unseren Friedensdienst, ob es den Mächtigen gefällt oder nicht. Wir müssen den Konflikt sogar noch verschärfen: Auch die Kirche verlangt vieles, ordnet an, verurteilt, wie es nur Gott gehört. Auch ihr gegenüber, auch in ihr, schafft dieses Wort Jesu eine kritische Distanz zu den Mächtigen. Keiner ist aus seiner Verantwortung entlassen.
Das alles verlangt nach klugem Nachdenken, Austausch untereinander, kritischem Nachfragen, solidarisch getroffenen Entscheidungen, konsequentem Handeln. Hinter all dem bleiben wir immer wieder zurück. Wir sind unterwegs, Schritt für Schritt, auch wenn manch ein Schritt sich hinterher als falsch erweist. Das gilt nicht nur in Corona-Zeiten, sondern Tag für Tag inmitten unserer zerrissenen Welt.
Sagen wir es positiv: Gott als den Herrn anzuerkennen, ihm zu geben, was ihm gebührt, macht frei gegenüber allen, die sich als Herren über uns aufspielen wollen. Das schafft Raum, um in seinem Namen der Gerechtigkeit und dem Frieden zu dienen, damit sein Reich komme, damit es jetzt schon zum Vorschein kommt und den Menschen neue Hoffnung, neues Leben ermöglicht. Dazu sind wir eingeladen. Dazu dürfen wir mit unserem Engagement für den Frieden beitragen. Dafür wollen wir danken.
Fürbitten
Wir verbinden uns im fürbittenden Gebet vor Gott
- mit allen Ausgegrenzten und Armgemachten, mit den Opfern unseres Wirtschaftens und unserer Waffenexporte – Herr erbarme dich
- mit allen, die im Gefängnis sitzen und oft der Folter unterliegen, weil sie sich für Menschenwürde und Menschenrechte eingesetzt haben – Herr erbarme dich
- mit allen, die sich einsetzen für Versöhnung und Frieden zwischen Menschen und Völkern – Herr erbarme dich
- mit allen Corona-Kranken und mit allen, die sich um diese Kranken mühen und dabei ihr eigenes Leben einsetzen – Herr erbarme dich
- mit allen Menschen, die auf der Flucht sind und um ihr Leben bangen müssen, und mit den Menschen, die ihnen zu helfen versuchen – Herr erbarme dich
- mit allen Verstorbenen, vor allem mit den Opfern von Gewalt und Ungerechtigkeit im Vertrauen darauf, dass der Tod für deine Liebe keine Grenze ist – Herr erbarme dich
Gebet
Gott,
es gibt viele Kaiser,
die
unsere Gefolgschaft, unseren Gehorsam einfordern:
Diktatoren
und Gewaltherrscher, Wirtschaft und Politik,
Rüstung
– gegen welchen Feind?
Bewaffnete
Drohnen – gegen welche Menschen?
Auch
unsere Kirche ist nicht frei von solchen,
die
über unsere Gewissen herrschen wollen.
Ich
will ja den Kaisern geben, was ihnen zukommt,
wo
sie deinem Willen entsprechen.
Wo
aber ist die Grenze,
wo
sie fordern, was nur dir gebührt, was deinem Willen widerspricht?
Schenke
uns, den Christinnen und Christen, allen christlichen Kirchen,
die
Unterscheidung der Geister, Klarheit und Entschiedenheit,
Geduld,
Kraft und Mut,
damit
wir uns einpassen, wo es den Menschen dient
und
widerstehen, wo es nötig ist.
Lieder…
…die den Hintergrund dieser Fragen beleuchten, gibt es viele. Einige aus dem Gotteslob seien hier genannt:
448 Herr, gib uns Mut zum Hören
425 Solang es Menschen gibt auf Erden
468 Gott gab uns Atem
457 Suchen und fragen
458/459 Selig seid ihr
481 Sonne der Gerechtigkeit
464 Gott liebt diese Welt