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Impuls zum 16. August 2020

Zum 20. Sonntag im Jahreskreis

Von Susanne Warmuth, (Aschaffenburg), Geistliche Beirätin pax christi Würzburg

Zu Beginn – gemeinsame Erinnerung
Ich bin mir sicher: Alle von Euch /Ihnen erinnern sich noch an die Ereignisse im Sommer und Herbst 2015. Zu Tausenden kamen Flüchtlinge in deutschen Bahnhöfen an, wurden herzlich begrüßt und beschenkt. Deutschland und seine Bürger*innen zeigten sich von ihrer besten Seite. Die Willkommenskultur war einmalig.
In vielen Städten und Gemeinden entstanden Helferkreise, auch in den Kirchengemeinden. Menschen verschie-dener Weltanschauungen und Religionen engagierten sich gemeinsam. Es war eine beeindruckende Hilfsbereit-schaft und Solidarität zu spüren.

Als aber die Zahl der Flüchtlinge auch nach vielen Monaten noch nicht abnahm und die Aufnahmekapazitäten der Gemeinden nachließ, da änderte sich die öffentliche Stimmung. 

Zu hören war: Werden wir das wirklich schaffen? Wir können doch nicht allen helfen, die zu uns kommen wollen. Heftig wurde die Frage diskutiert, ob wir denn nicht zuerst den „eigenen“ Leuten helfen müssen, bevor die Fremden an der Reihe sind. Man dachte da an die Alleinerziehenden, die Hartz IV-Empfänger*innen, die alten Menschen. Und plötzlich wurde die Bedürftigkeit der einen gegen die Bedürftigkeit der anderen aufgewogen.

In kirchlichen Kreisen gab es eine ähnliche Diskussion. Sind die christlichen Gemeinden auch für die „anderen“ zuständig, oder sollten sie vorrangig den Christ*innen helfen, die aus dem Süden zu uns kommen. Soll Hilfeleistung abhängig sein von der Religion der Geflüchteten – besonders dann, wenn nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen? 

Als ich das Evangelium von heute gelesen habe, musste ich sofort an diese Debatten denken. Denn auch im biblischen Text steht die Frage im Mittelpunkt, wem Jesus helfen darf und soll, und für wen er zuerst und „eigentlich“ zuständig ist.

Tagesevangelium, Mt 15,21–28 
Der Glaube der heidnischen Frau
21 Jesus ging weg von dort und zog sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück.
22 Und siehe, eine kanaanäische Frau aus jener Gegend kam zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. 
23 Jesus aber gab ihr keine Antwort. Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Schick sie fort, denn sie schreit hinter uns her!
24 Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.
25 Doch sie kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir!
26 Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen.
27 Da entgegnete sie: Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
28 Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.

Reflexionen zu einer merk-würdigen Begegnung
Es gibt Texte in der Bibel, auch im Neuen Testament, die möchte ich gern schnell überblättern. Denn sie liegen völlig quer zu meiner Einstellung und meiner Überzeugung. Das heutige Evangelium ist so ein Text. Wie Jesus hier von Matthäus geschildert wird, widerspricht der Meinung, die ich von Jesus habe. Aber Texte, die uns missfallen, sind es oft wert, genauer angeschaut zu werden. 

Da kommt eine Frau zu Jesus und ruft ihm ihr Anliegen schon entgegen. „Herr, du Sohn Davids!“ ruft sie ihm zu. Sie kennt seinen Titel, seine Bedeutung. Sie bittet nicht um Geld, nicht um Almosen, sondern um sein Erbar-men. Sein Herz will sie ansprechen, will sie erweichen. Sie bittet zudem nicht für sich, sondern für ihre kranke Tochter. Und was macht Jeus: er schweigt. Ihr Anliegen geht ihn anscheinend nichts an. Er will sich nicht von ihr im Inneren berühren lassen. Ist das der Jesus, den wir kennen?

Seine Jünger spüren sein Missfallen oder sein inneres Zögern und wollen ihm beispringen. „Schick sie fort, denn sie schreit hinter uns her!“  Vielleicht haben sie Angst, unangenehm aufzufallen.

Lässt sich Jeus von den Jüngern anstacheln? Oder will er selbst der Sache ein schnelles Ende bereiten? Wir erfahren es nicht. „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“, ist seine Erwiderung an die Frau. Ich bin für dich nicht zuständig. Ich bin die falsche Adresse für deinen Hilferuf. Die Frau aber wendet sich nicht enttäuscht und wütend von Jesus ab, sondern bittet erneut. Jetzt wird Jesus herablassend und belei-digend. Die Israeliten sind die Kinder, denen er beistehen muss, die Fremden sind die kleinen Hunde. Zum Glück hört die Geschichte mit dieser Demütigung der Frau nicht auf. Denn erstaunlicherweise lässt sie sich auch davon nicht in die Flucht schlagen. Wieviel Zurückweisung kann und will sie noch ertragen?

Schauen wir uns diese Frau genauer an. Ihr Leid muss sehr groß sein, so dass sie den Mut aufbringt, sich Je-sus und seinen Freunden zu nähern – sie die Fremde, aus dem heidnischen Land. Aber furchtlos und beharrlich spricht sie Jesus an, lässt sich weder von seinem Schweigen noch von seiner Demütigung verjagen. Sie weiß, was sie will – die Heilung für ihre Tochter. Und die verspricht sie sich von Jesus, vom Sohn Davids. Er ist ihre letzte Chance. 

Woher sie die Kraft nimmt, Jesus sogar zu widersprechen? Sie nimmt seinen Vergleich auf und weist ihn darauf hin, dass auch die kleinen Hunde – die Fremden – an der Nahrung der Herren, der Auserwählten teilhaben wollen. Jetzt erkennt Jesus ihren Glauben. Die Tochter wird geheilt.

Vieles ist für mich an dieser Perikope unklar. Der Evangelist Matthäus schreibt den Text an die judenchristliche Gemeinde. Er verfolgt mit der Erzählung eine bestimmte Absicht. Die Gemeinde soll erkennen, dass – entgegen anderer oder früherer Überzeugungen – Gottes Heil allen Menschen gilt, auch den Heiden. Verdanken wir diese Erzählung also allein der Redaktionsarbeit des Matthäus oder hat er auch „Fasern“ des historischen Jesus in seinen Text verwoben? Diese Frage bleibt für mich offen.

Doch unabhängig davon: zwei Aspekte sind für mich in diesem Evangelium von großer Bedeutung: erstens die Veränderung der Position von Jesus und zweitens die Stärke der Frau.

Jesus hat sich durch die Begegnung mit der Frau verändert. Sein anfänglicher Unwille, ihr zu helfen, ist gewichen. Ja, er ist zu den Söhnen des Hauses Israel gesandt, aber auch zu den anderen Menschen. Jesus lernt – und er lernt durch die Begegnung mit der Frau.

„‚Jesus lernt von einer Frau!‘– so könnte man sie (die Erzählung) auch überschreiben. Tatsächlich verändert Jesus seine inhaltliche Position im Verlauf des Dialoges mit der kanaanäischen Frau. Wie die Jünger sich am Ende positionieren, lässt der Text offen. 

Dass Jesus seine Position verändert, ist außerordentlich in den Evangelien…. 

Hier wird Jesus selbst als Lernender dargestellt, der durch die Frau verstehen lernt, dass Gottes Heil viel um-fassender ist als seine Sendung zu Israel (V.24), nämlich universal. Und dass die Abwertung von anderen Völkern (‚Hündchen‘) aus eigenem Erwählungsbewusstsein damit aufgehoben ist.“ (Dr. Katrin Brockmöller, in: Katholische Bibelwerke, Sonntagslesungen, online-Artikel)

Die Entschlossenheit der Frau, ihr Mut und ihre Beharrlichkeit, das will ich mitnehmen aus diesem Evangelium. Die Frau ist in großer Sorge wegen der Krankheit ihrer Tochter, aber diese Sorge führt sie nicht in stumme Verzweiflung oder Ohnmacht. Im Gegenteil, die Sorge gibt ihr die Kraft weiterzukämpfen, ihr Ziel zu verfolgen.  
Ich kann von dieser namenlosen Frau lernen, auch heute, Jahrhunderte später. Sie wird zurückgewiesen und sogar gedemütigt, aber das führt nicht zu Rückzug oder Verzweiflung oder Einnahme einer Opferrolle. Nein, es führt zu neuer Kraft. Sie weiß, was sie will. Und daran hält sie fest.

Diese Beharrlichkeit und diesen Mut wünsche ich allen Menschen, die sich engagieren, sei es für die Rechte der Frauen in der Kirche, für den Frieden, die Bewahrung der Schöpfung, die Gerechtigkeit unter den Völkern. So dass die Zweifler eines Tages erkennen: Seht, ihre Überzeugung ist wirklich groß! Es muss etwas geschehen.

Zum Weiter - Denken  
Die Utopie – sie steht am Horizont.
Ich bewege mich zwei Schritte auf sie zu,
und sie entfernt sich um zwei Schritte.
Ich mache weitere 10 Schritte,
und sie entfernt sich um 10 Schritte.
Wofür ist sie also da, die Utopie?
Dafür ist sie da:
um zu gehen!

Eduardo Galeano
 

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