Impuls zum 13. Dezember 2020
Von Josef Freise (Trier), Mitglied des pax christi-Wissenschaftlichen Beirats
Wir sagen Euch an den lieben Advent
Lied GL 223, 1., 2. und 3. Strophe
Im heutigen Evangelium wird Johannes der Täufer gefragt: Wer bist Du? Was sagst Du von Dir selbst? So sind auch wir hier heute gefragt Wer bist Du? Was sagst Du von Dir? Oft wissen wir selber keine Antwort und wir legen die Frage in Gottes Hand.
Gebet
Wer bin ich? Manchmal bin ich ratlos. Schenk du mir deinen Rat oh Gott.
Wer bin ich? Manchmal bin ich mutig und kann andere unterstützen. Jesus, stärke mich.
Wer bin ich? Manchmal bin ich mir selbst eine Frage, aber ich weiß doch: Dein bin ich Gott.
Schriftlesung
Evangelium nach Johannes 1, 6-8,. 19-28
6 Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes.
7 Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen.
8 Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.
19 Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?
20 Er bekannte und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Christus.
21 Sie fragten ihn: Was dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein.
22 Da sagten sie zu ihm: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Antwort geben. Was sagst du über dich selbst?
23 Er sagte: Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat.
24 Die Abgesandten gehörten zu den Pharisäern.
25 Sie fragten Johannes und sagten zu ihm: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Christus bist, nicht Elija und nicht der Prophet?
26 Johannes antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt,
27 der nach mir kommt; ich bin nicht würdig, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen.
28 Dies geschah in Betanien, jenseits des Jordan, wo Johannes taufte.
Wir ziehen vor die Tore der Stadt
Lied GL 225, Strophe 1, 2 und 3 („Wir ziehen vor die Tore der Stadt“)
Schriftauslegung
Wer bist Du? wird Johannes im Evangelium gefragt? Was sagst Du von Dir selbst? Eine Frage, die auch uns alle, jede und jeden einzelnen von uns, ein Leben lang beschäftigen.
Wir haben in den letzten vier Jahren fast täglich Selbstbeschreibungen des noch amtierenden amerikanischen Präsidenten gehört: Ich bin ein "sehr stabiles Genie". „Niemand hat jemals so viel für Afroamerikaner getan wie ich.“ "Ich bin der beste Präsident, den Gott je erschaffen hat."
Und wie reagiert Johannes auf die Frage: Wer bist Du?
Bist Du Christus, der Erretter? Nein.
Bist du der Prophet Elias? Nein.
Wer bist du denn? „Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste. Ebnet den Weg für einen anderen, für den Herrn.“
Warum taufst du dann? „Ich taufe nur mit Wasser. Aber es kommt ein Größerer, dem kann ich das Wasser nicht reichen. Ich kann nicht mal seine Riemen an den Sandalen aufmachen.“
Johannes war nicht irgendwer. Er war einer der bekanntesten Juden seiner Zeit – die Leute pilgerten in Scharen zu ihm an den Jordan. Er war selbstbewusst und las den Herrschern die Leviten, er war den Mächtigen gefährlich. Aber der Zulauf der Menschen stieg ihm nicht zu Kopf. Und er war bescheiden. Er kannte die Grenzen seiner Sendung. Er kannte wohl auch die Gefahren seines Wirkens. Es kostete ihn den Kopf – wie Jesus am Ende auch.
Jesus und Johannes waren – von außen betrachtet – in gewisser Weise Konkurrenten. Menschen wurden gefragt: Bist Du Jünger von Jesus oder bist Du Jünger von Johannes? Wie gingen die beiden mit dieser Konkurrenz um? Jesus lässt sich von Johannes taufen. Er erkennt die Sendung des Johannes an. Johannes ist das gar nicht recht – er sieht sich als Vorläufer für die große göttliche Sendung Jesu. Auch wenn die Evangelientexte Jahrzehnte später geschrieben wurden und die Szene der Begegnung möglicherweise idealisiert oder gar erfunden wurde, so darf doch davon ausgegangen werden, dass beide respektvoll, wertschätzend voneinander gesprochen und miteinander umgegangen sind. Sie haben sich nicht auf Kosten des jeweils anderen profiliert, wie das heute in der Politik leider oft der Fall ist, wenn politische Konkurrenten heruntergemacht werden.
Wer bin ich? Diese Frage geht auch an uns. Was ist die Wahrheit meines Lebens? Was ist meine wahre Gestalt? Was sind meine Fähigkeiten? Was ist meine wahre Berufung? Was kann ich? Und: Was kann ich nicht? Wo sind meine Grenzen? Wenn ich Erfolg habe und mich im Beruf, in der Familie, in der Zivilgesellschaft, in der Kirche engagiere, tue ich das für mich und meine Ehre oder stelle ich mich in den Dienst einer Sache? Wir sind je nach Lebenssituation auch Ehefrau, Ehemann, Mutter oder Vater, Schwester oder Bruder, Freund oder Freundin, Kollegin oder Kollege usw. Dabei schlüpfen wir vielleicht auch jeweils in die entsprechende Rolle. Manchmal scheint es, dass wir dann nur Facetten von uns zeigen. Bei wem und in welcher Rolle sind wir „ganz wir selbst“? Wer darf mich auch verletzbar oder ganz ausgelassen kennenlernen?
Das sind keine leichten Fragen. Wie schnell stellt sich Selbstbetrug ein und ich mache mir etwas vor, ich konstruiere mir meine eigene Wahrheit. Wie oft kochen wir auch nur mit Wasser. Wenn das eigene Kind auf eine weiterführende Schule wechselt, schicken die Eltern es dann auf die Schule, die den Kind am ehesten guttut oder auf die Schule, die dem eigenen Prestige der Eltern förderlich ist?
Wenn ich einen Konflikt mit jemandem habe und anderen davon erzähle, rede ich dann so, dass der andere der Schlechte ist und ich der Gute bin – oder kann ich wahrnehmen, dass es unterschiedliche Zugänge zum Konflikt gibt, dass es auch Anteile von mir am Konflikt gibt?
Die Tiefenpsychologie hat es klargemacht. Wenn Ängste, Ärger, Wut, Aggression nicht aufgearbeitet werden, dann können diese Gefühle die eigene Selbstwahrnehmung so stark verzerren, dass ich nur noch ein Zerrbild meiner selbst sehe. Entweder verliere ich mein ganzes Selbstbewusstsein und werde depressiv oder ich blende meine Schwächen aus und halte mich dann für den Größten und Besten. Ich sehe auch gar nicht mehr, wie ich über die Gefühle meiner Mitmenschen trampele und wie ich Menschen verletze. Mitgefühl geht verloren.
Schwächen, Fehler werden einfach weggebügelt, tabuisiert.
Wenn dann die Frage nach der Macht ins Spiel kommt, dann wird alles getan, damit die eigene Position und die eigene Macht nicht gefährdet wird. Nur mit diesem blinden Streben nach Machterhalt ist der unsägliche jahrzehntelange Umgang mit dem sexuellen Missbrauch in der Kirche zu erklären. Weil es das Wichtigste war, das Bild einer glorreichen Kirche unbefleckt zu halten, wurden die Opfer nicht gehört, wurde vertuscht und verschwiegen. Es ist das Versagen einzelner, aber es ist genauso ein Versagen des gesamten Systems der Kirche. Ich selber habe inzwischen Mühe, im Glaubensbekenntnis zu beten: „Ich glaube an die eine heilige katholische und apostolische Kirche“. Es ist ja nicht falsch, was im Glaubensbekenntnis steht, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Die katholische Kirche ist auch eine sündige Kirche, und ich bin Teil von ihr und werde immer da mitschuldig, wo ich nicht klar und deutlich genug protestiere, wenn Macht missbraucht wird. Wer bin ich? Das ist auch eine Frage an die Kirche als ganze und es ist eine ehrliche Antwort gefragt, die sich auch im entsprechenden Handeln zeigt.
Papst Franziskus wurde in einem Interview mal gefragt: Wer sind Sie? Was sagen Sie von sich? Seine Antwort war: „Ich bin ein von Gott angeschauter Sünder.“ Und er erklärte im Interview, welche Fehler er schon in kirchlicher Verantwortung beging, als er sehr jung in die Ordensleitung kam und zu schnell harsche Entscheidungen traf. Er könne trotz seiner Sünden weiterleben, weil Gott ihn anschaue, weil Gott vergebe.
Der ehemalige Bischof von Limburg Franz Kamphaus hat erklärt, dass in seinem Bistum zu seiner Amtszeit einem Priester eine Pfarreileitung übertragen worden sei, obwohl es gegen ihn Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegeben habe. Dieser Priester habe dann weiter Kinder missbraucht. „Ich habe schwere Schuld auf mich geladen“, hat Bischof Kamphaus daraufhin gesagt. Wenn er konsequenter durchgegriffen hätte, wäre Opfern Leid erspart geblieben. Das ist schlimm. Gleichzeitig bin ich dankbar, dass Altbischof Kamphaus offen und ehrlich seine Schuld bekennt und um Verzeihung bittet. Darin ist er für mich ein großes Vorbild.
Wer bin ich? Ich finde die ehrliche Antwort nur, wenn ich auch meine Schattenseiten anschauen kann. Wenn ich sie nicht ausblende und alles Schlimme und Böse auf die Anderen schiebe. Wer bin ich? Ich kann dankbar für Menschen sein, die mir in aller Freundschaft – weil sie es gut mit mir meinen – auch unangenehme Wahrheiten über mich und mein Verhalten sagen. Und ich kann Gott darum bitten, dass er mir die Kraft schenkt, mich selber anzuschauen. Diese Kraft, mich ehrlich anzuschauen, finde ich, wenn ich weiß, dass Gott mich liebevoll anschaut, dass er mein Versagen verzeiht. Dann brauche ich nicht an meinem Selbstzweifel zu verzweifeln. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer war wegen seines Engagements im Widerstand gegen Hitler ins Gefängnis gekommen und plagte sich mit quälendem Selbstzweifel. Die Zweifel überwand er, indem er sich – bis hin zum Schafott – Gott überließ. Er schreibt aus dem Gefängnis heraus: „Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“
STILLE
Freie Fürbitten mit Kehrvers GL 226
Bereitet den Weg des Herrn, machet eben seine Pfade
Wer bin ich
Gedicht von Dietrich Bonhoeffer
Wer bin ich?
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!
(geschrieben 1944 im Militärgefängnis Berlin-Tegel)
Gebet
Guter Gott, Johannes der Täufer war der Rufer in der Wüste: Ebnet den Weg für den Herrn. Wir bitten dich für alle Menschen, die in dieser schwierigen Zeit der Corona - Pandemie Gottes Weg ebnen, Liebe zu den Menschen tragen und Zuversicht verbreiten. Stärke sie und uns alle. Darum bitten wir mit Jesus Christus, deinem Sohn im Heiligen Geist, jetzt und alle Zeit, Amen.
O Herr, wenn Du kommst...
Lied: GL 233, Strophe 1,2 und 3: O Herr, wenn Du kommst...