Impuls zum 27. Dezember 2020
Von Birgit Wehner, Mitglied im pax christi-Bundesvorstand und im Diözesanvorstand Limburg (Karben)
Seht, aus der Nacht Verheißung blüht, es schwillt die Hoffnung wie ein Lied, Gott lobend Halleluja!
Marie Luise Thurmair, Gl. 347
Ende März, mitten im ersten Lockdown, als trotz strahlendem Sonnenschein die Welt draußen giftig und gefährlich erschien, habe ich seit langer Zeit wieder einmal nach Verzehr einer Avocado den Kern nicht entsorgt sondern sorgfältig die Reste des Fruchtfleischs entfernt und ihn zum Keimen auf ein feuchtes Pflanzbett gelegt.
Ich habe ihn zu meinem persönlichen „Ölzweig“ erklärt und zum Zeichen der Hoffnung erklärt – wenn er keimt, dann wird alles wieder gut! Den Kern habe ich jeden Tag angeschaut, befeuchtet, besprochen, an verschiedene Plätze gebracht um die Keimung zu befördern. Und nichts hat sich getan – gar nichts, kein Anschwellen, kein Riss, kein kleiner Keim. Zwischendurch habe ich ihn immer mal vergessen, dann wiedergesehen, neu befeuchtet, liebevoll besprochen – nichts. „Er steht im Weg!“, hat mein Mann gesagt. „Das wird nix, willst Du das Ding nicht endlich wegschmeißen?“. Das einzige Hoffnungszeichen, dass sich ausmachen ließ, war der Umstand, dass das Ding immerhin nicht gefault und verschimmelt ist.
Ende Juni habe ich aufgegeben. Wahrscheinlich eine Sorte, die nicht keimt!
Und nur weil ich mir so viel Mühe gegeben hatte, habe ich ihn draußen im Blumenkasten in die Erde gestopft.
Ein Tomatenstrauch ist über der Pflanzstelle gewachsen.
Eigentlich hatte ich meinen Kern vergessen, als ich Anfang August zwischen Tomatenblättern eine kleine Avocadopflanze mit ganzen fünf Blättern entdeckt habe.
Mitten während der vielen Wochen Pandemie, in denen nichts mehr Routine war, nach Wochen, in denen alle Kontakte sorgfältig abgewogen werden mussten, nach nächtlichen Bedenken, ob die eine oder andere Begegnung doch zu nah war und wo noch immer kein Ende abzusehen, war meine kleine Pflanze an diesem Tag ein Zeichen von Trost und Hoffnung – auf seine Art ein Ausblick wie es das Alte Testament beschreibt:
Ein neuer Zweig
Da gedachte Gott des Noach sowie aller Tiere und allen Viehs, die bei ihm in der Arche waren. Gott ließ einen Wind über die Erde wehen und das Wasser sank. Die Quellen der Urflut und die Schleusen des Himmels wurden geschlossen; der Regen hörte auf, vom Himmel zu fallen, und das Wasser verlief sich allmählich von der Erde. So nahm das Wasser nach hundertfünfzig Tagen ab. Am siebzehnten Tag des siebten Monats setzte die Arche auf dem Gebirge Ararat auf. Das Wasser nahm immer mehr ab, bis zum zehnten Monat. Am ersten Tag des zehnten Monats wurden die Berggipfel sichtbar. Nach vierzig Tagen öffnete Noach das Fenster der Arche, das er gemacht hatte, und ließ einen Raben hinaus. Der flog aus und ein, bis das Wasser auf der Erde vertrocknet war. Dann ließ er eine Taube hinaus, um zu sehen, ob das Wasser auf dem Erdboden abgenommen habe. Die Taube fand nichts, wo sie ihre Füße ruhen lassen konnte, und kehrte zu ihm in die Arche zurück, weil über der ganzen Erde noch Wasser stand. Er streckte seine Hand aus und nahm sie wieder zu sich in die Arche. Dann wartete er noch weitere sieben Tage und ließ wieder die Taube aus der Arche.
Gegen Abend kam die Taube zu ihm zurück und siehe: In ihrem Schnabel hatte sie einen frischen Ölzweig. Da wusste Noach, dass das Wasser auf der Erde abgenommen hatte.
Da, wo ich selber die Hoffnung aufgegeben hatte, wo meine zahlreichen Bemühungen kein Ergebnis gezeigt haben, ist unbemerkt im Schatten ein neuer Zweig gewachsen.
Inzwischen sind wir im zweiten Lockdown angelangt, mitten im trüben deutschen Winter. Mein Avocadobäumchen musste vom Balkonkasten in einen Topf auf der Fensterbank umziehen. Es hat den Umzug schwer verkraftet und ein paar Blätter hängen lassen, aber es schlägt sich tapfer und freut sich auf den Sommer. Und es erinnert mich, dass die alte Zusage immer noch gilt:
Niemals, so lange die Erde besteht, werden Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht aufhören.
Gen 8,22
Mit diesem biblischen Versprechen wünsche ich uns ein gesegnetes neues Jahr 2021.
Ein neues Jahr nimmt seinen Lauf.
Die junge Sonne steigt herauf.
Bald schmilzt der Schnee, bald taut das Eis,
bald schwillt die Knospe schon im Reis.
Bald werden die Wiesen voll Blumen sein,
die Äcker voll Korn, die Hügel voll Wein.
Und Gott, der immer mit uns war,
behüt' uns auch im neuen Jahr.
Volksgut