Impuls zum 17. Januar 2021
Von Veronika Hüning (Höhbeck im Wendland), pax christi Diözesanverband Hildesheim
Das Evangelium dieses Sonntags: Joh 1, 35-42
In jener Zeit stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, sagte er zu ihnen: Was sucht ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo wohnst du? Er sagte zu ihnen: Kommt und seht! Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde. Andreas, der Bruder des Simon (Petrus), war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden – das heißt übersetzt: Christus – der Gesalbte. Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen, das bedeutet: Petrus, Fels.
Lamm und Fels
Das Evangelium des heutigen Sonntags handelt von den ersten Jüngern. Andreas und ein weiterer Mann, die vorher zur Gefolgschaft des Täufers Johannes gehörten. Im Unterschied zu den Schilderungen der Evangelisten Markus und Matthäus ist es bei Johannes nicht Jesus, der die Männer zu sich ruft. Sie be-ruft. Sondern sie hören ein Wort des Propheten Johannes: „Seht, das Lamm Gottes!“ Mehr hat es offenbar nicht gebraucht. Sie folgen ihm. Nennen ihn „Rabbi“, Meister. Wollen wissen, wo er lebt. Bleiben einen Tag bei ihm. Das genügt dem Andreas, um seinem Bruder Simon zu sagen: „Wir haben den Messias gefunden“, den Gesalbten Gottes. Erstaunlich! Beim Evangelisten Lukas gehen der Nachfolge immerhin eine lehrende Ansprache Jesu und ein wunderbar reicher Fischfang voraus. Zeichen der Macht und Vollmacht Jesu.
„Seht, das Lamm Gottes!“
Haben die ersten Jünger gleich gewusst, was damit gemeint war? Ich musste das Bild vom Lamm erst freilegen. Freilegen von unangenehmen Beiklängen und irrigen Assoziationen. „O Lamm Gottes unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet.“ Das Agnus-Dei-Lied, das ich nie mochte. Vorstellungen von einem grausamen Vatergott, der ein blutiges Opfer verlangt. Blut, das die Sünden der ganzen Welt abwaschen soll. Und ein Jesusbild, das ihm Naivität, Schwachheit und Schicksalsergebenheit zuschreibt. Wie einem kleinen, dummen Lämmchen. Freigelegt erscheint hingegen: das Paschalamm. Sein Blut, das ein Schutzzeichen für das Volk Israel war vor der Befreiung aus der Sklaverei: „das vernichtende Unheil wird euch nicht treffen“ (Ex 12,13).
Ich begreife zwar den Gott nicht, der „in Ägypten dreinschlägt“, der alle Erstgeborenen bei Mensch und Vieh erschlägt, ehe er den Auszug seines Volkes ermöglicht. Aber ich verstehe, was es bedeutet, verschont, bewahrt, geschützt zu werden. Nicht erst seit Corona-Zeiten.
Jesus, das „Lamm Gottes“. Die ersten Jünger Jesu müssen verstanden haben: Er ist der Messias, der uns vor Unheil und Vernichtung bewahren wird. Er kommt im Auftrag Gottes, als Retter, als Heilsbringer. Das müssen sie dem Johannes geglaubt haben.
Wir selbst sind ja in einer ähnlichen Situation wie Andreas, Simon und die anderen ersten Jünger – nach der Schilderung des Johannes: Die wenigsten von uns hören einen direkten Ruf Jesu: „Kommt her, folgt mir nach!“ Nicht viele erleben eine persönliche Berufung. Wir brauchen Menschen, die uns bezeugen: „Er ist es!“ Und wenn wir unser Vertrauen auf ihn setzen, können auch wir sagen: „Wir haben den Messias gefunden.“ Wir glauben an ihn als den Retter. In ihm finden wir das Heil.
„Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen.“
Petrus. Fels.
Bei Saulus – Paulus kommt das auch vor: ein neuer Name. Wer ihn wann verliehen hat, ist in der Bibel schwer zu finden. Da heißt es schlicht: „Saulus, der auch Paulus heißt…“ (Apostelgeschichte 13,9)
Von verschiedenen Indianerstämmen Nordamerikas kenne ich solche Namensgebungen. Wer die Prüfungen des „Quest“, der Visionssuche, bestanden hatte, bekam einen neuen Namen. Oft bildete dieser Name eine Erscheinung während des Quest ab. Kosumi: der mit einem Speer nach Lachs fischt oder Patamon: Gewittersturm. Auch wer etwas Besonderes geleistet hatte, wer seinen wahren Charakter gezeigt hatte, erhielt einen entsprechenden Namen. Lagundo: friedlich, friedliebend oder Takoda: jedermanns Freund. Künstler geben sich oft neue Namen. Lady Gaga oder Bruno Mars.
Doch hier ist es Jesus, der offenbar in voller Autorität sagt: „Du sollst Fels heißen.“ Du sollst der Fels in meiner Jüngergemeinde sein? So ähnlich, wie ich manchmal zu meinem Ehemann sage: „mein Fels in der Brandung“?
Dass Jesus „seine Kirche“ auf diesen Felsen bauen will, steht hier nicht. Vermutlich hat Jesus so etwas auch nicht gesagt. Aber warum „Fels“? Weil er Standfestigkeit verspricht? Weil er nicht so leicht weggeweht und weggewaschen werden kann wie Sand? Vielleicht meinte Jesus: Ich traue dir, Simon; du wirst beständig sein in meiner Nachfolge.
Ich habe nachgeschaut, was und wie ein Felsgestein eigentlich ist. Ich habe gefunden:
- Ein Fels ist relativ fest.
- Er ist aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt.
- Er ist Witterung und Erosion ausgesetzt.
Das passt auch zu Petrus:
- Er gewinnt eine starke Position in der Jüngergemeinde.
- Verschiedene Eigenschaften prägen seinen Charakter – Demut, Jähzorn?
- Er ist nicht gefeit vor Zweifeln, Ängsten und Versagen.
Und es passt auch zu unserer Kirche:
- Manchmal erscheint sie uns gar zu fest. Zu starr.
- Sie lebt von den unterschiedlichen Charismen, Ämtern, Glaubenszeugnissen.
- Sie hat im Laufe der Zeit manches eingebüßt an Gewissheiten, Strahlkraft, Zusammenhalt.
Passt es auch zu uns? Uns Friedensbewegten?
- Ja, wir sind „fest“ – zeigen Durchhaltevermögen.
- Ja, wir sind eine Gemeinschaft unterschiedlicher Individuen. Einheit in Vielfalt.
- Ja, wir verändern uns durch die Einflüsse der Zeit, in der wir leben. Auch pax christi hat sich seit ihren Anfängen als „Gebetskreuzzug“ gewandelt. Unsere „Verwitterung“ ist altersbedingt und die „Erosion“ hat eine Imagekampagne nötig gemacht.
Und wir sind in der Nachfolge Jesu geblieben, der unser Friede ist. Das ist gut.
Anschauen
An zwei Stellen ist im heutigen Evangelium von einem Blick die Rede, vom Anschauen.
Johannes richtet seinen Blick auf Jesus, bevor er sagt: „Seht, das Lamm Gottes!“
Jesus schaut Simon an, bevor er sagt: „Du sollst Kephas heißen.“
Anblicken ist Begegnung. Anschauen geht dem Erkennen voraus. Der Berufung.
Ich stelle mir vor, dass Jesus auch uns anschaut, jede und jeden von uns. Und uns beim Namen nennt. Ob es der ist, den unsere Eltern uns gegeben haben oder ein neuer. Der Name, mit dem wir eingeschrieben sind in Gottes Hand.
Jes 43, 1b:
„Fürchte dich nicht! Denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“
Unser Trost. Unsere Hoffnung.
Psalm 36, 6-11 (GL 40)
Bis in den Himmel reicht deine Liebe, Herr, bis zu den Wolken deine Treue.
Deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
deine Treue, so weit die Wolken ziehn.
Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes,
deine Urteile sind tief wie das Meer.
Herr, du hilfst Menschen und Tieren.
Gott, wie köstlich ist deine Huld!
Die Menschen bergen sich im Schatten deiner Flügel,
sie laben sich am Reichtum deines Hauses;
du tränkst sie mit dem Strom deiner Wonnen.
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
in deinem Licht schauen wir das Licht.
Erhalte denen, die dich kennen, deine Huld
und deine Gerechtigkeit den Menschen mit redlichem Herzen.
Bis in den Himmel reicht deine Liebe, Herr, bis zu den Wolken deine Treue.