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pax christi

menschen machen frieden - mach mit.

Unser Name ist Programm: der Friede Christi. 

pax christi ist eine ökumenische Friedensbewegung in der katholischen Kirche. Sie verbindet Gebet und Aktion und arbeitet in der Tradition der Friedenslehre des II. Vatikanischen Konzils. 

Der pax christi Deutsche Sektion e.V. ist Mitglied des weltweiten Friedensnetzes Pax Christi International.

Entstanden ist die pax christi-Bewegung am Ende des II. Weltkrieges, als französische Christinnen und Christen ihren deutschen Schwestern und Brüdern zur Versöhnung die Hand reichten. 

» Alle Informationen zur Deutschen Sektion von pax christi

Grundsatzpapier von pax christi Trier

04. Jan 2021

Zu unserer Diözesanversammlung am 5.11.22 liegt jetzt ein Entwurf zur Verabschiedung vor.

Friedens-Bewegung in einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft 

Grundsatzpapier von Pax Christi Trier .liegt zur Verabschiedung vor

 

Auf Vorschlag des Diözesanvorstandes hat die Diözesanversammlung im November 2020 befürwortet, ein Grundsatzpapier zur Positions-beschreibung unserer Bewegung zu erarbeiten.

Ziel und Funktion einer solchen Positionsbeschreibung sollen sein: Mit dem Papier soll eine inhaltliche Selbstvergewisserung in Pax Christi Trier erfolgen, es soll eine Verknüpfung von kritischer Gesellschaftsanalyse und biblisch-theologischer Reflexion als Grundlage reflektierten Handelns als christliche Friedensbewegung formulieren.

 Die Positionsbeschreibung soll inhaltliche Grundlage für Kooperation und Diskussion mit anderen in Kirchen und Gesellschaft, z.B. im gemeinsamen „Kapitalismus-Projekt“ mit KAB und Ökumenischem Netz, mit der Bundesebene von Pax Christi, anderen Gruppen in der Friedensbewegung, der Politik, den Kirchenleitungen  … sein.


 

 

SCHALOM.

Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung

 

Friedens-Bewegung in einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft

 

Eine Positionsbeschreibung von Pax Christi Diözesanverband Trier entsteht.

 

 

 

 

Auf Vorschlag des Diözesanvorstandes hat die Diözesanversammlung von pax christi Trier im November 2020 befürwortet, ein Grundsatzpapier zur Positionsbeschreibung unserer Bewegung zu erarbeiten.

 

Ziel und Funktion einer solchen Positionsbeschreibung sollen sein:

 

- eine inhaltliche Selbstvergewisserung in pax christi Trier, es soll eine Verknüpfung von kritischer Gesellschaftsanalyse und biblisch-theologischer Reflexion als Grundlage reflektierten Handelns als christliche Friedensbewegung formulieren.

 

- inhaltliche Grundlage für Kooperation und Diskussion mit anderen in Kirchen und Gesellschaft, z.B. im gemeinsamen „Kapitalismus-Projekt“ mit KAB und Ökumenischem Netz, mit der Bundesebene von pax christi, anderen Gruppen in der Friedensbewegung, der Politik, den Kirchenleitungen.

 

 

Zum Entstehungsprozess des Papiers:

 

·       Veröffentlichung eines Grobentwurfs (Gliederung) im Rundbrief 2021/1 und Aufruf an alle Mitglieder zur Stellungnahme.

·       Erstellung eines Grobentwurfs (Hope Rauguth, Albert Ottenbreit, Albert Hohmann, Dank an Günther Salz/KAB für die Unterstützung bei Kapitel I.2.)

·       Vorstellung in der Diözesanversammlung am 11.09.2021.

·       Nach Beteiligung der Teilnehmenden der Diözesanversammlung am 11.09.2021 in Cochem wurde der ENTWURF des Positionspapiers vom Diözesanvorstand in seiner Sitzung am 28. Oktober 2021 beraten.

·       Nach weiteren Korrektur- und Ergänzungsvorschlägen von Herbert Böttcher und weiteren Mitgliedern sowie im Diözesanvorstand, soll der vorliegende Entwurf als

·       „Schalom-Papier“ soll durch die Diözesanversammlung am 5. November 2022 abschließend beraten und beschlossen werden.

 

 

 


 

 

 

pax christi

Diözesanverband

TRIER

 

Diözesanvorstand

 

 

Beschlussvorlage 20.09.2022

 

 

 

 

SCHALOM.

 

Frieden, Gerechtigkeit

und Bewahrung der Schöpfung

 

 

Friedens-Bewegung

in einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft

 

 

Eine Positionsbeschreibung

 

 

 

INHALT

 

 

Die internationale Friedensbewegung PAX CHRISTI

 

 

I. Unfrieden, Ungerechtigkeit und Schöpfungszerstörung -

kritische Gesellschaftsanalyse

 

1.     In welcher Welt leben wir? – sichtbare Phänomene von globalen Zerstörungsprozessen in einer unversöhnten Welt                                                                                           

2.     Was steckt hinter den Phänomenen von Ungerechtigkeit, Unfrieden und Schöpfungszerstörung? – Nachdenken über die gesellschaftlichen Zusammenhänge. 

 

 

II. Schalom und pax christi – theologische Reflexion in jüdisch-christlicher Tradition

 

1.     Reich Gottes 

2.     Befreiung und Widerstand  

3.     Messianische Alternative

 

III. Als Friedens-Bewegung handeln 

1.     Kritische Reflexion als Grundlage unseres Handelns 

2.     Gewaltfrei wirkt – Handlungsfelder       

3.     Das Ganze verändern – den Kapitalismus als gesellschaftliche Totalität verstehen, delegitimieren und überwinden!

 

 

 

 


 

„Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt,                                                                                   wird eure Herzen und eure Gedanken in Christus Jesus bewahren.“

Phil 4,7 Einheitsübersetzung, 2016

 

 

 

Die internationale Friedensbewegung PAX CHRISTI

 

Versöhnung als Fundament und bleibende Herausforderung

die bisherige Geschichte der pax christi-Bewegung

 

pax christi entstand nach dem zweiten Weltkrieg: Menschen um den damaligen Bischof von Montaban, Théas, und die Lehrerin Marthe-Marie Dortel-Claudot ließen sich von der in der Bergpredigt verkündeten Feindesliebe bewegen, sich mit den Deutschen versöhnen zu wollen. Feindschaft und Krieg sollten ein Ende finden.

Das Versöhnungsangebot aus Frankreich an die Deutschen wurde von 40 französischen Bischöfen noch vor Kriegsende gemacht. Zunächst als „Croisade de prière pour la conversion de l’Allemagne“ (Gebetskreuzzug für die Bekehrung Deutschlands) ins Leben gerufen, wurde auf das Betreiben von Théas im Herbst 1945 der Name des Gebetskreuzzuges geändert: statt „conversion“ wurde „prière“ eingefügt. Damit war ein Angebot auf Augenhöhe gemacht, dass ein Gebet für beide Seiten für sinnvoll hielt. In Deutschland wurde der Aufruf dankbar aufgegriffen und verbreitet, viele Wallfahrten waren Zeichen der Buße und des Umkehrwillens. Eine erste große Wallfahrt mit 40.000 Teilnehmern aus mehreren Ländern und auch deutschen Kriegsgefangenen fand 1946 in Vezelay ("Croisade de la Paix") statt. Auf Initiative von Bischof Théas konnten die deutschen Teilnehmer auf dem Rückweg von nun entlassenen deutschen Kriegsgefangenen begleitet werden, ein deutliches Zeichen des Versöhnungswillens. Die Bewegung konnte Kontakte knüpfen zu dem 1919 gegründeten Friedensbund deutscher Katholiken und seinen Vertretern. Pater Hörhammer war in der deutschen Sektion der wichtigste Inspirator.

Bald wurde der Name der Bewegung in das neutralere pax christi geändert, um den problematischen Kreuzzugsbegriff (Croisade) zu vermeiden.

Vom 1.-4. April 1948 fand der 1. internationale Kongress von pax christi als Arbeitstagung im niederrheinischen Marienwallfahrtsort Kevelaer statt, dessen grenznahe Lage und dessen Entstehung im Dreißigjährigen Krieg der jungen Bewegung gute Anknüpfungspunkte boten. Dort wurde am 3. April 1948 auch die formelle Gründung des deutschen Zweiges vollzogen. Im Zuge der schnellen Nachrüstung im Rahmen des Kalten Krieges machte pax christi deren zerstörerischen Potentiale deutlich. Da die Kirche in Deutschland, der Adenauer-Zeit entsprechend, deutlich antikommunistisch geprägt war, wurde Pazifismus verdächtigt, einen „Frieden um jeden Preis“ zu wollen, also dem atheistischen Kommunismus gegenüber zu tolerant zu sein. Die Debatte um den genauen Inhalt des katholischen Pazifismus, der im Konzilsdokument Gaudium et Spes von 1965 die völlige Abschaffung des Krieges zum verbindlichen Ziel erklärt (Nr. 82), dauert seither noch an.

Auch Alfons Erb als Vizepräsident trug zur Entwicklung der Bewegung bei. Schon 1958 schlug er vor, eine Aktion gegen Hunger in der Welt in der Fastenzeit 1959 durchzuführen, was unter dem Leitmotiv „misereor“ durch die Bischofskonferenz erfolgte.

So Auch trug er dazu bei, dass sich pax christi in den 1960er Jahren der Verständigung mit dem polnischen Katholizismus und der Auseinandersetzung mit den von Deutschen im Zweiten Weltkrieg in Osteuropa begangenen Verbrechen zuwandte. Aus dieser Arbeit erwuchs die Initiative zur Gründung des Maximilian Kolbe-Werks. Neben den weiterhin prägenden Wallfahrten wurde der Focus auch auf politische Felder geöffnet (1968), im Blick auf die Vergangenheit und die deutschen Verbrechen, oder die weltweiten Unrechtsverhältnisse, die nach Versöhnung bzw. nach Gerechtigkeit riefen.

Entwicklungen wie die Forderung nach Anbindung von pax christi an die Amtskirche auf der einen Seite und andererseits mit Gruppierungen wie dem Bensberger Kreis führten zu Konflikten, die dann besonders in der „Feuersteiner Erklärung“ (1986) mit der Maßgabe eines katholischen Pazifismus und der ihm entsprechenden Kriegsdienstverweigerung zum Ausdruck kamen.

Durch das Wirken auch in gesellschaftlichen und politischen Feldern wie etwa in dieser Erklärung offenbarte sich, dass einerseits das Bekenntnis zum Frieden Jesu Christi, seiner Feindesliebe und seinem Versöhnungswillen, sowie andererseits zum politischen Handeln eine Spannung bestehen bleibt. Beide Blickrichtungen helfen zu unterscheiden, zu inspirieren und das Entscheidende, den Frieden Christi vor Augen zu haben.

Zu den politischen Feldern, in denen pax christi schon in den Jahren um 1980 Präsenz zeigte, gehörte die Nachrüstungsdebatte. pax christi kritisierte vehement die Sicherheitsdoktrin durch Abschreckung (NATO-Doppelbeschluss), gegen deren Logik besonders mit der großen Demonstration in Bonn (1981) protestiert wurde, bei der man aus internen Gründen nicht als Mitträger auftrat. In der „Neustädter Erklärung“ von 1983, wurde dann das nukleare Abschreckungssystem grundsätzlich verurteilt (vgl. die wiederholten ökumenischen Gottesdienste bei Hasselbach/Hunsrück). Im Pazifismusstreit 1995-97 anlässlich der Kriege im ehemaligen Jugoslawien vermischten sich Bekenntnis und politische Handlungsoptionen, was zur Zerreißprobe der Bewegung führte. Inzwischen wissen wir, dass wir politisch auf die Herausforderungen durch Gewalt besser antworten können als 1995. pax christi macht konkrete Erfahrungen mit ziviler Konfliktbearbeitung und hat gelernt, dass Kenntnisse und Erfahrungen über Gewalt-Prävention und -Deeskalation wichtige Mittel für Konfliktentschärfung und Versöhnungsprozesse in konkreten gesellschaftlichen und politischen Kontexten sind, ohne dass der Horizont des Reiches Gottes unterschlagen wird. Das wird deutlich in der Aussage von Walter Dirks 1969: „Ein politisches Engagement entwertet nicht die Sprache der Zeichen und Symbole, unsere Routes, das Friedenskreuz in Brühl, die Sühnewallfahrten nach Oradour, Auschwitz, Lidice [...].“

 

Diese doppelte Linie wird auch in diesem Jahrhundert sichtbar: einerseits in den jährlichen Friedenswochen,  der Versöhnung der Friedensdienste in Auschwitz, den Wallfahrten an obige Orte oder wie 2015 zu den Friedhöfen Nordfrankreichs mit den Gefallenen des ersten Weltkrieges oder seit der Corona-Pandemie durch die wöchentlichen Impulse; und anderseits in Kampagnen wie „Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel“, „Menschenrecht statt Moria“, „atomwaffenfrei – jetzt“, „Sicherheit neu denken“ oder „Unter 18 nie“; im Engagement in der Friedensbewegung oder nicht zuletzt in der kritischen Analyse der kapitalistischen Gesellschaft.

 

Ein umfassendes Friedensverständnis

 

Mit Bezug auf das biblische Verständnis von ‚Schalom‘ gehen wir von einem Friedensverständnis als komplexem Zusammenhang von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung aus. (siehe Kapitel II.

 

Dabei liegt dieses Verständnis auf der Linie erster kapitalismuskritischer Ansätze in pax christi, die in den Positionspapieren „Gewaltverhältnis Nord-Süd. Herausforderung für die Friedensarbeit“ (1993) sowie „Frieden durch Gerechtigkeit. Friedensarbeit vor der Frage wirtschaftlicher Macht“ (1998) formuliert wurden. Die Papiere sind im Zusammenhang mit der Nord-Süd-Kommission entstanden, die vor einigen Jahren abgewählt wurde, auch weil die darin diskutierte Fetischismuskritik, die zwar essentiell für das Verständnis von Krieg und Frieden ist, mehrheitlich von pax christi abgelehnt wurde. Dass diese Papiere ihre deutlichen Schwächen hatten, indem sie nicht die weiter unten erläuterte Fetischkritik thematisierten, sondern einen fast ausschließlichen Fokus auf den Markt und teilweise seine Verbindungen mit der Funktion des Staates reflektierten, soll nicht verschwiegen werden.

 

Friedensarbeit nach Auschwitz in einer kapitalistisch geformten Welt

 

 

Zum Kapitalismus und seiner Modernisierungsgeschichte gehört  – wie Moishe Postone in seinem Aufsatz „Antisemitismus und Nationalsozialismus“ (1979) sowie Robert Kurz im „Schwarzbuch Kapitalismus“ (1999) ausgeführt haben – gerade in Deutschland auch der Antisemitismus. Auschwitz steht dabei für den deutschen „eliminatorischen Antisemitismus“ (Robert Kurz). Darüber hinaus steht dieser Ort des Grauens nach Johann Baptist Metz auch für die „Katastrophengeschichte“ (Walter Benjamin) der Menschheit im Allgemeinen. In der Moderne bedeutet dies, dass also „[w]er […] vom Kapitalismus nicht reden will, […] auch vom Faschismus schweigen [sollte]“ wie es Max Horkheimer 1939 formulierte – und das gilt auch für pax christi. In Anlehnung an diesen Horkheimer-Satz erkennen wir, dass in historischer Perspektive Friedensarbeit nicht ohne Bezug auf die Grundprobleme des Kapitalismus und dessen kritischer Reflexion möglich ist. Dies zeigt sich angesichts der dramatischen Entwicklung des globalisierten Kapitalismus sowie seiner Krisen und Katastrophen der letzten Jahrzehnte heute umso mehr (siehe Kapitel I).    

 

Friedensarbeit in Deutschland kann also auch nicht ohne Bezug auf die Katastrophe des Nationalsozialismus und des Holocaust erfolgen. Die historische Verantwortung, dass Auschwitz sich nicht wiederholen darf, ist Leitbild christlicher Friedensarbeit, die sich in all unserem Denken und Handeln widerspiegeln muss:

 

-        „Die Frage, ob es zu einer Reformation, zu einer Umkehr aus der Wurzel im Verhältnis zwischen Christen und Juden kommt, entscheidet sich zumindest in diesem Land letztlich immer wieder daran, wie wir Christen uns zu Auschwitz verhalten, wie wir Christen es für uns selbst einschätzen. Ob wir es also wirklich das Ende, die Unterbrechung sein lassen, die es war, die Katastrophe unserer Geschichte, aus der man nur durch eine radikale Wende, anhand von neuen Maßstäben herausfindet, oder ob es uns doch nur als ein monströser  Betriebsunfall in dieser Geschichte gilt, der ihren Lauf nicht berührt.“ (Johann Baptist Metz: Christsein und Juden nach Auschwitz, 1980).

 

-        Spreche ich von der Erziehung nach Auschwitz, so meine ich zwei Bereiche: einmal Erziehung in der Kindheit (...), dann: allgemeine Aufklärung, die ein geistiges, kulturelles und gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht zuläßt, ein Klima also, in dem die Motive, die zu dem Grauen geführt haben, einigermaßen bewußt werden“ (Theodor W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz, 1966/67).

 

Diese Verantwortung christlicher Friedensarbeit drückt sich auch aus in der Beurteilung und im Umgang mit der konfliktbeladenen und ungelösten Nahost-Frage mit Blick auf „die paradoxe Singularität des Staates Israel“. „Paradox deswegen, weil er einerseits ein Staat wie jeder andere ist und auch sein will (zionistischer Grundgedanke), mit all seinen katastrophalen Auswirkungen sowohl für die vertriebenen Palästinenser_innen und die aktuell besetzten Gebiete als auch inner-israelisch ungleich und immer zerrissener (…); und andererseits ist dieser Staat eben auch einmalig, singulär, nämlich eine Zufluchtsstätte für verfolgte Juden/Jüdinnen, hervorgegangen aus dem singulären Ereignis des Holocaust und weiterhin von außen stark bedroht“  (Dominic Kloos: Die paradoxe Singularität des Staates Israel, 2017). Diese Formulierung ist wiederum nur vor dem Hintergrund eines Krisenkapitalismus zu verstehen, der als letzten Ausweg immer den Antisemitismus als Ventil bereit hält – und dieses auch konkret nutzt, sei es als struktureller Antisemitismus, der sich falsch unmittelbar gegen Schuldige und vermeintlich Schuldige richtet, ohne den „eisernen Käfig“ (Max Weber) des Kapitalismus, in dem sich diese Schuldigen (seien es Banker, Manager oder auch Waffenproduzenten) bewegen auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Unmittelbar wird dieser Antisemitismus nicht nur bei Corona-Verharmloser-Demonstrationen und der Nutzung des Judensterns, sondern auch in einer Kritik am Staat Israel, die doppelte Standards im Vergleich zum Verhalten anderer Staaten setzt – oder ihm sogar ganz sein Existenzrecht abspricht.

 

 

 

I. Unfrieden, Ungerechtigkeit und Schöpfungszerstörung -

kritische Gesellschaftsanalyse

 

 

1. In welcher Welt leben wir? – sichtbare Phänomene von globalen Zerstörungsprozessen in einer unversöhnten Welt

 

Unfrieden, Ungerechtigkeit und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen zeigen sich in vielen unterschiedlichen Phänomenen als Krisen überall auf der Welt (vgl. 2, S. 5ff), insbesondere

 

-        in Erderwärmung und Klimawandel und deren schon heute katastrophalen Folgen,

 

-        in zunehmender Zerstörung von Natur- und Artenvielfalt,

 

-        in kriegerischen Auseinandersetzungen, militärischer Logik von „Konfliktlösungen“ sowie als Folge zerfallender Staaten,

 

-        in Migrationsbewegungen sowie Repression und geschlossenen Grenzen gegenüber Menschen auf der Flucht aus Armut und Kriegen,

 

-        in der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich,

 

-        in einer „Realwirtschaft“, die nicht in der Lage ist, allen Menschen die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse wie gesunde Ernährung, gute Gesundheitsversorgung, qualifizierte Bildung oder gutes Wohnen zu ermöglichen – in ‚einer Wirtschaft, die tötet‘ (Papst Franziskus),

   

-        in psychischen Krisen der Individuen, die ihr Leben in der zerbrechenden Subjektform als HandlungsträgerInnen der ‚abstrakten Arbeit‘ durch ‚Selbstoptimierung‘ vollziehen müssen, 

 

-        in zunehmender verbaler und tätiger rassistischer, sexistischer, antisemitischer und antiziganistischer Gewalt sowie Menschenfeindlichkeit,

 

-        in der Abwertung und Ausbeutung von Frauen.

 

pax christi Trier erkennt in diesen Einzelphänomenen als auch in deren Zusammenhang strukturelle Gewaltverhältnisse, nach deren systemischen Ursachen es zu fragen gilt. Was verhindert eine Welt des „Schalom“ – in der Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung herrschen? Wie kann Versöhnung von Menschen untereinander und von Menschen mit der Natur gelingen?

 

In der Wert-Abspaltungs-Kritik (vgl. die Werke von Robert Kurz und Roswitha Scholz sowie www.exit-online.org) liegt ein theoretisches Instrument der Analyse und Reflexion der globalen kapitalistisch geprägten Verhältnisse vor. Das Ökumenische Netz Rhein-Mosel-Saar, in dem Pax Christi Trier Mitglied ist, hat mit Bezug auf diesen theoretischen Ansatz im Februar 2020 nach mehrjähriger Diskussion das Papier „Den Kapitalismus als Ganzes überwinden!“  verabschiedet. Hierauf beziehen wir uns in den folgenden Kapiteln.

 

 

3.     Was steckt hinter den Phänomenen von Ungerechtigkeit, Unfrieden und Schöpfungszerstörung? – Nachdenken über gesellschaftliche Zusammenhänge

 

Die Welt zu bebauen und zu bewahren, den Reichtum an Ressourcen solidarisch zu teilen, kooperativ-solidarisch und gewaltfrei als Menschheit untereinander und mit der Natur zu leben, diese humanistische und christliche Vorstellung steht im Grundwiderspruch zum global entwickelten Kapitalismus unserer Zeit.

 

pax christi Trier schließt sich den Analysen des Ökumenischen Netzes Rhein-Mosel-Saar über die Ursachen der Krisenphänomene an und erkennt diese in einer global kapitalistisch geprägten Wirtschafts- und Lebensweise, die es als komplexes ‚Ganzes‘ zu begreifen gilt:

 

-        Verwertung der Welt – äußere und innere Schranken der Waren-Welt 

 

Die kapitalistische Ökonomie beruht auf der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und der Spaltung der Gesellschaft in Produktionsmittelbesitzer und produktionsmittellose LohnarbeiterInnen. Hierdurch ist die Kapitalseite in der Lage, angekaufte Arbeitskraft täglich länger zu beschäftigen, als sie für ihre Reproduktion in Form des Lohnes benötigt. Den dabei entstehenden Mehrwert (in absoluter Form mittels Verlängerung der Tagesarbeitszeit oder in relativer Form durch Steigerung der Produktivität der Arbeitskraft) eignet sich die Kapitalseite an. So werden die LohnarbeiterInnen von der Verfügung über den gesellschaftlich produzierten Reichtum ausgeschlossen und das Lohnarbeitsverhältnis auf Dauer gesetzt. Die Lohnarbeit bleibt absolut und relativ arm. Soziale Ungleichheit verewigt sich. Dies geschieht in einem Fetischzusammenhang, in dem die Verausgabung von Arbeit als Grundlage des Reichtums gleichzeitig immer weiter durch Technologieeinsatz schwindet und durch kreditfinanzierte Produktion und in allen Sektoren immer prekärer werdende Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. Soziale Gleichheit oder die gemeinsame Organisation von ökologisch und sozial sinnvoller Produktion kann aufgrund der schwindenden Arbeitssubstanz des Kapitals nicht durch Stärkung des Arbeitsstandpunkts erreicht werden, sondern nur durch die Überwindung von Kapital und damit Arbeit, weil der Fetischzusammenhang Arbeit und Kapital als Grundlage hat.

 

Der Zweck kapitalistischer Produktion ist nicht die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse mit Hilfe von Gebrauchsgütern (konkreter Reichtum), sondern der, aus eingesetztem Geld mehr Geld bzw. Profit zu machen. Das wiederum begründet die Produktion eines maßlosen auf sich selbst bezogenen abstrakten Reichtums ohne Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse und Ziele und die Grenzen der Natur.

 

Diese Grenzen sind angesichts der unübersehbaren globalen ökologischen Krise längst überschritten worden. Hier zeigt sich, dass ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, welches auf ‚unendliches‘ Wachstum angewiesen ist, unvereinbar mit begrenzten, endlichen Naturressourcen ist. Daher kommt kapitalistisches Wirtschaften einem permanenten Krieg gegen die Natur und ihre Gesetze gleich.

 

Mit dem Fortschreiten kapitalistischer Produktion macht sich zunehmend ein grundlegender Widerspruch innerhalb der auf dem Wert bzw. auf abstrakter Arbeit beruhenden Produktionsweise geltend. Marx bezeichnete diesen als „prozessierenden Widerspruch“, der die kapitalistische Produktionsweise insgesamt in Frage stellt. Hintergrund ist, dass sich nur diejenigen Kapitalisten in der Konkurrenz auf dem Markt durchsetzen, die produktiver arbeiten als andere und deshalb ihre Waren billiger anbieten und besser absetzen können. Dies erreicht man nur mit den Methoden des relativen Mehrwerts, d.h. durch verstärkten Einsatz arbeits- und zeitsparender Maschinen bzw. Technologie. Das bedeutet aber, immer mehr Arbeit aus der Produktion herauszunehmen und damit die Quelle des Werts und Mehrwerts zum Versiegen zu bringen. Das Kapital beraubt sich so seiner eigenen Substanz, womit es gleichzeitig an seine innere (Wert-)Schranke und an seine äußere (Natur-)Schranke stößt. Mit gesteigertem Maschineneinsatz wird zwar der stoffliche Output gesteigert, aber zugleich auch die in den Waren enthaltene Mehrwertmasse verringert. Dabei handelt es sich um die Wertmasse aller hergestellten Waren, nicht einfach im Bezug auf die Einzelware. Dem Wert als gesellschaftlichem Verhältnis geht sozusagen die Luft aus oder der Mutterboden verloren. Das Handeln der Einzelkapitalien kann die sinkende Wertmasse auch nicht durch noch so starke Markterweiterung und Finanzialisierung auf den Finanzmärkten kompensieren, sondern schlittert mit dem ganzen Gesellschaftssystem zusammen in die Krise. Die Halterungen von Politik und Ökonomie, die entweder in Richtung mehr oder weniger Regulierung tendieren, bestimmen das Handeln der Akteure innerhalb des kapitalistischen Zusammenhangs, werden aber mit jeder Krise haltloser, unmöglicher und wirrer, wie nicht zuletzt in der Coronakrise in dem Hin und Her von Lockdown Light und Lockerungen zu sehen war. 

 

Da es dem Kapital nur auf die Mehr-Wert-Produktion ankommt, die immer krisenhafter wird, müssen noch mehr Waren erzeugt werden, um den Wertverlust auszugleichen. Das aber bedeutet vermehrten Ressourcenverbrauch bei verschärfter Automatisierung und Rationalisierung, was wiederum einen weiteren Verlust an Wertsubstanz zur Folge hat. Diese blinde und selbstzerstörerische Dynamik untergräbt zusehends die Grundlagen allen Reichtums und allen Lebens.

 

Der inhärente Wachstumszwang des Kapitals hat infolge seiner Eingebundenheit in staatliche Zusammenhänge auch geopolitische Auswirkungen, wie nicht zuletzt am aktuellen Krieg Russlands in der Ukraine zu erkennen ist (vgl. Ein Krieg um die zerfallende Weltordnung, März 2022):

Dort, wo für die Warenproduktion notwendige Ressourcen (Arbeitskräfte, Rohstoffe, Handelswege, Anbauflächen) nicht unmittelbar zugänglich sind, werden sie durch ‚Weltordnungs-Kriege“ (Robert Kurz) mit militärischen Mitteln verfügbar gemacht (militärisch-ökonomischer Komplex).

Darüber hinaus frisst die Produktion und der Export von Rüstung, Kriegsgerät und Waffen - vom Gewehr über Minen, Panzer und Flugzeuge bis zu Atomwaffen - gigantische Summen an öffentlichen Geldern, die für die Förderung gewaltfreier Initiativen sowie für soziale und umweltverträgliche Zwecke nicht mal ansatzweise verwendet werden. 

 

Und schließlich geht die Krise des Kapitalismus auch durch alle Einzelpersonen, die als Subjekte im kapitalistischen Zwangsverhältnis stehen: Als „unternehmerisches Selbst“ (Ulrich Bröckling) versuchen sich alle immer schneller an die zunehmende Krisenhaftigkeit in Politik, am Arbeitsplatz und in Familien anzupassen, was geradezu gesamtgesellschaftlich zu einer permanenten Erschöpfung (Depression) führt.

 

 

-        Patriarchale Abspaltung der Reproduktion sowie Abwertung und Ausbeutung von Frauen

 

Die patriarchalen Strukturen sind kein Restbestandteil der Geschichte, sondern noch einmal anders durch den global entwickelten Kapitalismus bestimmt, indem die Bereiche der Reproduktion von der ökonomischen Produktionssphäre abgespalten und gesellschaftlich minderbewertet werden.

 

Die weiblich konnotierten reproduktiven Tätigkeiten (Erziehung, Pflege, Hauswirtschaft) sind aber Voraussetzung für die Existenzmöglichkeit der wertförmigen Produktionsweise. Da sie jedoch als „unproduktive Tätigkeiten“ abgewertet werden, ist das Abspaltungsverhältnis Ausdruck struktureller Gewalt zwischen den Geschlechtern (vgl. Roswitha Scholz, Das Geschlecht des Kapitalismus, 2011).

 

Im kollabierenden Kapitalismus, der Arbeit und Familie einbrechen lässt, sind es gerade Frauen, die als Krisenmanagerinnen in Familien an ihre Grenzen kommen, ebenso wie sie als ‚Trümmerfrauen’ in Wirtschaft und Politik zwar aufsteigen, um dann auch dort die unbewältigbare Krise vermeintlich ‚gleichberechtigt’ zu verwalten.

 

Als Fazit unserer Analyse der beschriebenen gesellschaftlichen Verhältnisse, deren Dramatik sowie ihrer Ursachen, erkennen wir, dass innerhalb des kapitalistisch geprägten Systems keine Lösungen der wesentlichen Menschheitsprobleme möglich sind.

Es bedarf eines radikalen Bruchs mit der Logik dieses Systems, wir brauchen dringend Alternativen zum Kapitalismus. 

 

 

 

 

II. Schalom und pax christi –

theologische Reflexion in jüdisch-christlicher Tradition

 

1. Reich Gottes

Schon in den ersten Kapiteln der Bibel (Gen 1-4) werden nach den Schöpfungserzählungen die zerstörerischen Elemente der Menschen und ihrer Gesellschaften aufgezeigt. Ihr Verhältnis zu allem Geschaffenen und den Mitmenschen ist vergiftet. Statt der Zusammengehörigkeit (Gen 2 Adam und Adamah, das heißt die Erde) von Mensch und Erde wird die Nahrung der Erde abgezwungen, und der Brudermord und die Gewalteskalation (Gen 3-5) erweisen sich als ständiges Potential zur gegenseitigen Vernichtung. Richten diese ersten Kapitel der hebräischen Bibel den Blick auf die menschen-gemachten Gegebenheiten der irdischen Existenz in historisch je verschiedenen Kontexten, so lassen sich die anschließenden Darstellungen und Geschichten als immer neuen Versuch Gottes/“JHWHs“ lesen, den Menschen Leben in Fülle, im Heil, im Schalom zu ermöglichen – wenn er die Götzen von Gott unterscheidet. Das beginnt mit dem Noah-Bund, geht weiter mit dem Abraham-Segen, dem Auszug aus Ägypten und dem Bundesschluss mit Israel, dem Neuanfang nach dem Exil in Babylon. Magna Charta sind die zehn göttlichen Gebote – in Stein gemeißelt. Eine wesentliche Rolle in dieser Entwicklung spielen die Propheten, die die gesellschaftliche und politische Praxis des Nord- wie des Südreiches vehement kritisieren und ein Verhalten gemäß der Tora einfordern. Kanaäische Landesgottheiten mit ihren Kultbildern werden genauso verehrt wie der Gott der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens. Die Propheten angefangen von Elija treten gegen die Götzen an und fordern die Treue zu „JHWH“ ein. Die politische und religiöse Katastrophe, die die Zerstörung Jerusalems und das Exil für die Oberschicht Judäas bedeuten, führt zur Neubesinnung. „JHWH“ schafft nicht Heil und Wohlergehen, weil er der starke Kriegsherr ist, der die anderen Völker unterwirft, sondern weil er sein Volk anleitet, die Tora zu verwirklichen und so zum Zeichen werden lässt, das die anderen anzieht (Jes 2,1-5):

 

Diese Prophetie enthält die Vision von der Verwirklichung des Schalom: Es wird zur letzten Zeit, der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: „Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“

 

Dies ist auch die zentrale Botschaft Jesu, dass das Reich Gottes, seine Herrschaft nahe gekommen ist und die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten und ihre Gewaltverhältnisse durchbricht. In seinem Umgang mit den kranken, unterdrückten und diskriminierten Menschen wird sein Wort, dass das Reich Gottes „mitten unter euch“ ist, sichtbar. Dennoch steht seine Vollendung noch aus, wie Jesu Gleichnis vom Senfkorn aufzeigt. So beten wir im „Vater unser“ um diese Vollendung: „Dein Reich komme“.

Die Entscheidung für diese Botschaft, sein Leben in seiner unmittelbaren Gottesbeziehung festzumachen und sich hinrichten zu lassen, ist grundlegend für den Anbruch dieser Gottesherrschaft, die durch seine Auferweckung besiegelt wird.

Johannes der Täufer sagt von Jesus, dass er zeitlich nach ihm kommt, ihm aber „voraus ist“. Er ist ihm deshalb voraus, weil er – wie es in Mk 1,15 heißt – „der erste“ ist. Für den Evangelisten ist der Messias deshalb der „erste“, weil er den Weg der Solidarität bis ans Kreuz der Römer gegangen ist und auf diesem Weg Gott selbst als das fleischgewordene Wort (1,14) zeigt. Er kommt zur Geltung als Gott derer, die gefoltert werden und verbluten.

So wird sichtbar, dass Befreiung sich nicht auf dem Weg der Herrschaft über Menschen ereignet, sondern auf den Wegen der Macht und Stärke Gottes, die sich in der Ohnmacht zeigt. Diese wird in der Auferweckung des Gekreuzigten sichtbar, in der Roms Macht negiert wird.

In der Bergpredigt pointiert Jesus dieses Wandeln im Lichte des Herrn, im Blick auf die nahe Herrschaft Gottes. Der Wandel auf den Wegen des Herrn wird offenbar in einer versöhnungsbereiten Brüderlichkeit/Geschwisterlichkeit, im einem nicht durch das Patriarchat geprägte Verhältnis zu den Frauen, in einer selbstverständlichen Wahrhaftigkeit, in der aktiven Gewaltfreiheit und in einer Nächstenliebe, die die Feindesliebe ermöglicht. Ein Miteinander auf dieser Basis gewährt Schalom, Leben in Fülle, umfassendes Heil. In der Seligpreisung „Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ eröffnet sich für pax christi auf dem Grund des Lebens und Sterbens des Messias Jesus für Gewaltlosigkeit und Solidarität mit allen Menschen (Feindesliebe) einzutreten.

 

2. Befreiung und Widerstand

 

Mit dem Ökumenischen Netz Rhein-Mosel-Saar teilen wir die Perspektiven, wie sie in dessen Beschluss „Den Kapitalismus als Ganzes überwinden!“ in Blick auf die biblischen Grundlagen entfaltetet werden.

Als kritischer Maßstab erweist sich dabei der Blick auf die Unterdrückten und Leidenden, wenn dort gesagt wird: „Mit dem Rücken zu denen, die unter dem Unrecht und der Gewalt der Verhältnisse leiden, von Gott zu reden, geht an den Inhalten vorbei, die mit der biblischen Rede von Gott verbunden sind. Der Gottesname steht weder für eine zeitlose Wahrheit noch für die zeitlose Suche nach individuellem Glück noch für eine abstrakte Kontingenzbewältigung. Die Rede von Gott, wie sie sich in der jüdisch-christlichen Tradition artikuliert, ist nicht abstrakt und zeitlos, sondern eingebettet in den Schrei nach Rettung aus dem Erleiden von Unrecht und Gewalt in verschiedenen Systemen von Herrschaft. Er reicht von den Schreien aus dem Sklavenhaus in Ägypten über die Schreie der unter Israels Königen Leidenden, den Schreien der nach Babylon Verschleppten, den von griechischer und römischer Herrschaft Unterdrückten bis hin zum Schrei des Messias am Kreuz. Diese Schreie sind Ausdruck dafür, dass Menschen sich mit der Herrschaft, unter der sie leiden, nicht abfinden und ihr Einverständnis verweigern. Sie sind verwurzelt in einer Tradition, die das Vertrauen stärkt, dass Gott das ‚letzte Wort‘ spricht – ein Wort des Gerichts über alle Herrschaft, die Menschen tötet, erniedrigt und beleidigt, und ein Wort der Rettung, das vor allem den Opfern von Unrecht und Gewalt gilt. Darin gründet die Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde für alle.“

Jesus selbst hat in seiner Hinwendung zu den Opfern der gesellschaftlichen Verhältnisse und Solidarität mit den Unterdrückten der römischen Herrschaft an der Nähe des Reiches Gottes festgehalten und ist dafür in den Tod gegangen. Von der Herrschaft Gottes sprechen, heißt aber, alle Herrschaften wie die Roms als obsolet zu erklären und Widerstand gegen ihre Unterjochungsmechanismen zu leisten. Im Bekenntnis seiner Auferstehung vertrauen wir Christen darauf, dass Gott ihn gerechtfertigt hat. Das dann „auch all den anderen gilt, die wie er Opfer sind und sich gegen Unrecht und Gewalt eingesetzt haben. Damit hat Gott ihm und allen recht gegeben, die sich der Herrschaft von Menschen und Systemen widersetzten (…)“ Diejenigen, die sich dem Messias Jesus anschlossen, taten das in dem Vertrauen darauf, dass Israels Gott wenigstens an seinem Messias hat Wirklichkeit werden lassen, was für alle noch aussteht: die Befreiung aus dem Unrecht und der Gewalt gesellschaftlicher Herrschaft und das Leben im Reich Gottes als einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Darin fanden sie die Widerstandskraft, wenigstens im Leben in ihren messianischen Gemeinden – in aller Gebrochenheit – vorweg zu nehmen, was sie für alle Menschen erhofften. Die Verheißung der Befreiung aus den Sklavenhäusern dieser Welt erfordert, die menschliche Leidensgeschichte nicht auszuklammern.

Die Rede von Gott in den beiden Testamenten der Bibel ist auf den ersten Blick imperial gekennzeichnet: Herrschaft, Königtum, Gewaltanwendung. Dahinter verbirgt sich aber gerade der Kontrast. Jesus selbst hat inmitten Gewalt besetzter Messias-Vorstellungen an seinem, anderen Weg festgehalten und ist dafür in den Tod gegangen. Gott ist Vater und nicht Sieger. Seine Präsenz ist dort, wo die Tora verwirklicht wird.

Diese seine Botschaft bedeutet, die gesellschaftliche Wirklichkeit mit ihren zerstörerischen Kräften kritisch zu hinterfragen und sich davon zu distanzieren. Dies drückt sich aus in der biblischen Unterscheidung von Gott und Götzen, deren Macht darin besteht, dass sich Menschen diesen selbstgeschaffenen Göttern, Idolen unterwerfen, um so Rettung zu erlangen. In Wirklichkeit unterwerfen sie sich einer entfremdenden Herrschaft. Heute gilt es, diese Unterscheidung auf die abstrakte Herrschaft des Kapitals anzuwenden und dessen Fetischzusammenhang zu erkennen, der weltweit seine Opfer fordert. Letztlich stellt der Glaube an Gott alle Herrschaften in Frage. Jesu Eintreten für die Herrschaft Gottes, die von Knechtschaft und Leiden befreit, führt ihn in den Tod. Seine Auferweckung bestätigt ihn. Damit wird er zur Hoffnung, dass die irdischen Herrschaften nicht das letzte Wort haben, dass es trotz ihrer scheinbaren Übermacht Rettung gibt.

 

3. Messianische Alternative

 

Die Geschichte des Einzugs Jesu vor seiner Kreuzigung zeigt (Joh 12,12-19; Mt 21,1-13), worin eben die messianische Alternative besteht. Weder in gewaltsamen Aufständen gegen die Herrschaft Roms, die die Zeit Jesu und die Jahrzehnte danach durchzogen, noch durch Neuinthronisation eines machtvollen Königs wie David, die die Hoffnung vieler Menschen in Judäa beflügelte, zeigt sich das Königtum Gottes. Zur Rettung Israels, zu seiner Befreiung hat Jesus einen Weg gewählt, wie er in Sacharia 9,9f vorgezeichnet ist. „So spricht der Herr: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Gerecht ist er, und Rettung wurde ihm zuteil, demütig ist er und reitet auf einem Esel, ja, auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin. Ausmerzen werde ich die Streitwagen aus Éfraim und die Rosse aus Jerusalem, ausgemerzt wird der Kriegsbogen. Er wird den Nationen Frieden verkünden; und seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Strom bis an die Enden der Erde.“ Die Königsrufe der Menge bei seinem Einzug meinen einen anderen Herrscher als die Potentaten dieser Weltverhältnisse. Die Erfahrungen mit diesem Jesus aus Nazareth in seinem Wirken in der anbrechenden Herrschaft Gottes, seinem Einstehen dafür im Tod am Kreuz und seiner Bestätigung in der Auferstehung sind für die Jünger Unterpfand der zukünftigen Welt.

Der Messias Jesus präzisiert den Weg, auf dem die Gottesherrschaft Wirklichkeit wird. Er ist ein Messias der bedingungslosen Gewaltlosigkeit, der sein Regierungsprogramm der gewaltlosen Feindesliebe verkündet und gelebt hat. Dieses Vermächtnis ist die Basis, die pax christi in seinem Eintreten für die Gewaltlosigkeit den herrschenden Verhältnissen entgegensetzt. Im Blick auf die Geschichte Israels, das durch die erlittenen Katastrophen auf neue Weise verstanden hat, dass „JHWH“ nicht mit noch größerer Gewalt als die Herrscher dieser Welt seinem Volk beisteht, sondern durch die Art des Zusammenlebens es zum Blickpunkt der Völker macht, und auf Botschaft und Leben des Messias Jesus von Nazareth wagt pax christi diesen Weg. Er ist gekennzeichnet durch die Absage jeglicher Unterdrückungs- und Vernichtungsinstrumente, die in besonderer Weise in der Drohung mit militärischen Mitteln, mit Waffen wie die Atombombe, die die Menschheit vernichten könnte, und deren Einsatz die Verhaftung in Doktrinen der Gewalt als Herrschaftsform offenbaren.

 

 

 III. Als Friedens-Bewegung handeln

 

1.     Kritische Reflexion als Grundlage unseres Handelns

 

Grundlage unseres Handelns ist – wie oben beschrieben – eine kritische Gesellschaftsanalyse sowie eine darauf bezogene theologische Reflexion in jüdisch-christlicher Tradition.

 

Wir sind davon überzeugt, dass ohne gründliche Reflexion, die auch zwischen sichtbaren Phänomenen globaler Problemlagen und den dahinter liegenden kategorialen Ursachen dieser Probleme und damit dem Wesen der kapitalistisch geprägten Gesellschaft unterscheidet, Handeln und Aktion in der Gefahr sind, aktionistisch zu sein und den komplexen Verhältnissen nicht gerecht zu werden.

 

 

2.     Gewaltfrei wirkt - Handlungsfelder

 

·       Gewaltfrei diakonisch-samaritanisch handeln: was wir (individuell, kulturell, politisch) jetzt schon tun können!

 

Vor dem Hintergrund der Geschichte von pax christi, unserer Gesellschaftsanalyse und unserer biblisch-theologischen Reflexion erkennen wir, dass Friedenshandeln angesichts der Verhältnisse und unserer menschlichen bzw. gesellschaftlichen Begrenztheiten immer Stückwerk bleibt sowie alle Tätigkeiten im Horizont dieser Grenzen reflektiert werden müssen.

 

Nichtsdestotrotz wollen wir auch hier und jetzt gewaltfrei handeln, insbesondere in den Bereichen

 

-        Versöhnung und Feindesliebe,

 

-        Entwicklung einer (zivilen/gewaltfreien) Friedenslogik statt (militärischer) Kriegslogik, auch durch die Abkehr vom ‚gerechten Krieg‘ hin zum ‚gerechten Frieden‘, 

 

-        zivile Konfliktbearbeitung und Methoden des gewaltfreien Handelns,

 

-        Friedensbildung,

 

-        Initiativen gegen Menschenfeindlichkeit, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus,

 

-        Ökumenische/r und interreligiöse/r Dialog und Kooperation,

 

-        Unterstützung weltweiter freiwilliger Friedensdienste,

 

-        Einforderung von Menschenrechten und Völkerrecht,

 

-        Einsatz für eine humane Politik gegenüber Menschen auf der Flucht,

 

-        Forderung nach weltweiter Abrüstung statt Militarisierung, insbesondere die Ächtung von Atomwaffen.

 

·       Vernetzt handeln in der lokalen, regionalen und weltweiten Bewegung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung

 

Als regionale katholische Friedenbewegung suchen wir die Kooperation mit anderen und handeln vernetzt.

 

Wir bringen unsere Positionen in die deutsche und internationale pax christi - Bewegung ein und handeln gemeinsam.

 

Ebenso suchen wir die christlich-ökumenische als auch die interreligiöse Zusammenarbeit mit allen Kräften, die sich für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen.

 

Wir sehen uns als Teil des 1983 von der ökumenischen Bewegung weltweit ausgerufenen „konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“, der im „Processus confessionis“ noch einmal pointiert die Absage an den Gerechtigkeit, Frieden und die Schöpfung bedrohenden Kapitalismus als Frage des Bekenntnisses und nicht als ethisches Gebot formuliert hat.

 

Und wir schließen in diesem Sinne Aktionsbündnisse mit anderen Gruppen, Organisationen und Netzwerken im Rahmen von Aktionen und Kampagnen: gegen Rüstungsexporte, für die Ächtung und das Verbot von Atomwaffen, für Abrüstung … 

 

Wir verstehen uns insgesamt als Teil einer weltweiten Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

 

 

3.     Das Ganze verändern: den Kapitalismus als gesellschaftliche Totalität verstehen, delegitimieren und überwinden!

 

Im oben beschriebenen Sinne versteht sich pax christi im Bistum Trier als Friedens-Bewegung in einer globalen, kapitalistisch geprägten Gesellschaft.

 

Gemeinsam mit der Katholischen ArbeitnehmerInnen-Bewegung im Bistum Trier und dem Ökumenischen Netz Rhein-Mosel-Saar begreifen wir „Kapitalismus“ als eine gesellschaftliche Totalität, die mehr ist als nur ein Wirtschaftssystem, sondern unser gesamtes gesellschaftliches Leben beeinflusst und bis tief in die menschliche Psyche eindringt.

 

Wir erkennen zunehmend und in vielfältiger Weise, dass die zentralen Probleme der Menschheit innerhalb der kapitalistischen Form nicht lösbar sind, und sehen die dringliche Notwendigkeit, mit diesem kapitalistischen Formzusammenhang zu brechen und Einspruch zu erheben gegen seine ‚geschlossene Immanenz‘:

 „Der Einspruch gegen geschlossene Immanenz hat eine doppelte Dimension. Sie zielt auf das Überwinden geschlossener Systeme und Grenzen in der Geschichte – heute auf das Überschreiten des geschlossenen und tödlichen Systems des in die Katastrophe treibenden ‚warenproduzierenden Patriarchats‘ –, aber auch auf das Überschreiten der Grenzen des Todes als Hoffnung auf die Rettung der Opfer von Unrecht und Gewalt und darin aller Menschengeschwister.“ (Ökumenisches Netz: Den Kapitalismus als Ganzes überwinden!, 2020).  

 

In einem auf Dauer angelegten gemeinsamen Projekt „Kapitalismus verstehen und überwinden. Versuch einer Vereinigung freier Menschen für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“, wollen wir gemeinsam mit KAB und Ökumenischem Netz unser Denken und Handeln auf diesen Horizont ausrichten, uns auf diesem Weg gegenseitig bestärken und den Dialog und die kritische Auseinandersetzung mit den Kirchen und der Gesellschaft suchen.

 

Zum guten Schluss

 

„Er („JHWH“) wird Recht schaffen zwischen vielen Völkern / und mächtige Nationen zurechtweisen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden / und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, / und sie erlernen nicht mehr den Krieg. 

 

Micha 4.3, Einheitsübersetzung, 2016

 

 

 

Diese Positionsbeschreibung wurde am 5. November 2022

von der Diözesanversammlung von pax christi Trier beschlossen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



 




 

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