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pax christi

menschen machen frieden - mach mit.

Unser Name ist Programm: der Friede Christi. 

pax christi ist eine ökumenische Friedensbewegung in der katholischen Kirche. Sie verbindet Gebet und Aktion und arbeitet in der Tradition der Friedenslehre des II. Vatikanischen Konzils. 

Der pax christi Deutsche Sektion e.V. ist Mitglied des weltweiten Friedensnetzes Pax Christi International.

Entstanden ist die pax christi-Bewegung am Ende des II. Weltkrieges, als französische Christinnen und Christen ihren deutschen Schwestern und Brüdern zur Versöhnung die Hand reichten. 

» Alle Informationen zur Deutschen Sektion von pax christi

Karfreitag 2018

4 ausgewählte Stationen

Kreuzweg 2018

Erinnerung des Leidens

statt Gleichgültigkeit und „versteinerte Herzen“

 

Eröffnung

 

V       Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

A       Amen

V       Mit Jesus Christus sind wir auf dem Weg.

A       Mit Jesus Christus gehen wir den Kreuzweg.

 

 

1. Station

Jesus wird gefangen genommen.

 

V      Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.

A      Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

 

LeserIn 1:

Im Evangelium nach Markus lesen wir: [Mk 14,41-46.50.51]

Am Ölberg kam Jesus zum dritten Mal zu den schlafenden Jüngern und sagte zu ihnen...

Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus? Es ist genug. Die Stunde ist gekommen; siehe, jetzt wird der Menschensohn in die Hände der Sünder ausgeliefert.

Steht auf, wir wollen gehen! Siehe, der mich ausliefert, ist da.

Noch während er redete, kam Judas, einer der Zwölf, mit einer Schar von Männern, die mit Schwertern und Knüppeln bewaffnet waren; sie waren von den Hohepriestern, den Schriftgelehrten und den Ältesten geschickt worden.

Der ihn auslieferte, hatte mit ihnen ein Zeichen vereinbart und gesagt: Der, den ich küssen werde, der ist es. Nehmt ihn fest, führt ihn sicher ab!

Und als er kam, ging er sogleich auf Jesus zu und sagte: Rabbi! Und er küsste ihn.

Da legten sie Hand an ihn und nahmen ihn fest.

Da verließen ihn alle und flohen.

Ein junger Mann aber, der nur mit einem leinenen Tuch bekleidet war, wollte ihm nachfolgen. Da packten sie ihn; er aber ließ das Tuch fallen und floh nackt davon.

 

Stille

 

LeserIn 2:

Die Katastrophe spitzt sich zu. Jesus wird der römischen Macht ausgeliefert. Aber die Jünger schlafen in der Stunde der Gefahr. „Steh auf!“ hatte Jesus immer wieder zu Menschen gesagt, die am Boden lagen oder am Rand standen. Er war gekommen um auf-zu-richten. Er wollte, dass Menschen aufstehen, um die konfliktreichen Wege der Befreiung zu gehen – hin zum Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Deshalb hatte er zur Wachsamkeit gemahnt.

 

Nun aber ist alles zu spät. Jesu Aufforderung „Steht auf, wir wollen gehen!“ ist hier keine Ermutigung mehr, sich für Wege der Befreiung aufrichten zu lassen. Jetzt kann sie nur noch heißen: Begeben wir uns in die Gefangenschaft der römischen Macht. Sie richtet nicht auf, sondern führt zur Hinrichtung. Diesen Weg geht Jesus allein. Alle verlassen ihn und fliehen – nackt, der letzte, der noch zur Nachfolge bereit war.

 

Stille

 

LeserIn 1:

Gefangen und allein gelassen sind heute die Menschen, die zu Opfern der kapitalistischen Verhältnisse werden. Dass sich ihre Lage unter der Herrschaft des Kapitalismus verändern könnte, erscheint aussichtslos, je enger das Leben in der Krise des Kapitalismus wird. Im Gegenteil, der Kapitalismus droht für den ganzen Globus zum Gefängnis zu werden, dem nicht einmal durch Flucht zu entkommen ist.

 

Mariana, Brasilien, am 5. November 2015: In der Bergbaustadt brechen die Dämme zweier Rückhaltebecken, in denen die Abwasser einer Eisenerzmine gesammelt wurden. 60 Millionen schwermetallhaltigen Schlamms ergießen sich über das Land und in den Flusslauf des Rio Doce. Der aus dem Becken flutende Klärschlamm begräbt umliegende Bergdörfer und einen Teil der Bewohner unter sich. Der Rio Doce wird zu einem giftigen Strom aus Rückständen von Eisen, Blei, Quecksilber, Zink, Arsen und Nickel. Rund 25.000 Menschen sind vom Trinkwasser abgeschnitten.

 

LeserIn 2:

Diese ökologische Katastrophe ist jedoch keine Naturkatastrophe. Ihre Hintergründe sind alles andere als 'natürlich': Sie liegen in der Struktur des Kapitalismus begründet, der die Länder der Peripherien und große Teile ihrer Bevölkerung gefangen nimmt. Er bedient sich ihrer, um seinen Hunger nach Ressourcen für die industrielle Produktion zu stillen – von zu verarbeitenden Rohstoffen bis hin zu fossilen Brennstoffen, die als Treibstoff für die industrielle Produktion unverzichtbar sind. Während sich die kapitalistischen Zentren Rohstoffe und fossile Brennstoffe einverleiben, wird der Giftmüll in die Peripherien ausgelagert. Auf diese Weise werden Regionen in Asien und Afrika zu Giftmülldeponien der kapitalistischen Produktionsweise.

 

Zudem wurden in den letzten Jahrzehnten Regionen der Zweidrittelwelt als kostengünstige Standorte entdeckt. Was für Konzerne kostengünstig ist, macht die Beschäftigten zu Gefangenen der kapitalistischen Produktion. Sie sind gezwungen für einen Lohn zu arbeiten, von dem sie nicht leben können, und das unter unmenschlichen Bedingungen. Unzählige Beispiele lassen sich dafür aufzählen: Bekleidungsindustrie, Haushaltswarenproduktion, IT-Produktion, Rohstoffförderung usw. Fast alle Produkte, die in den Zentren konsumiert werden, sind ganz oder teilweise unter zerstörerischen Bedingungen global hergestellt worden.

 

LeserIn 1:

Durch die Einverleibung von Ressourcen und die Auslagerung der mit dem Kapitalismus verbundenen Probleme konnten sich die kapitalistischen Zentren über Jahrzehnte reproduzieren und stabilisieren. Auf Kosten anderer ließ sich in den Zentren gut leben. Dies hat wesentlich zu Einverständnis und Identifikation der gesellschaftlichen Mehrheit mit der kapitalistischen Vergesellschaftung beigetragen.

 

In den letzten Jahren wird jedoch immer deutlicher: Der Kapitalismus stößt auf Grenzen, die er nicht mehr überwinden kann: zum einen auf die Grenze, hinreichend Arbeit als Quelle von Wert- und Mehrwert verwerten zu können, aber auch auf die ökologischen Grenzen, die unendliches Wachstum unmöglich machen. Mit der Krise des Kapitalismus erreichen Armut und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, soziale Erosion und ökologische Probleme auch die kapitalistischen Zentren. Die scheinbar an die Peripherie ausgelagerten Probleme schlagen zurück. Klimawandel und Fluchtwanderung machen auch vor den durch Polizei und Militär gesicherten Grenzen nicht halt. Der ganze Globus wird zum Gefangenen des Kapitalismus und seiner zerstörerischen Dynamik. In diesem Gefängnis drohen alle zugrunde zu gehen, wenn es nicht gelingt, das Gefängnis zu überwinden.

 

Stille

 

Wir beten den Psalm 55 im Wechsel:

 

2 Vernimm, Gott, mein Bittgebet, verbirg dich nicht vor meinem Flehen!

3 Achte auf mich und erhöre mich! Klagend irre ich umher und bin verstört

4 wegen des Geschreis des Feindes, unter dem Druck des Frevlers. Denn sie überhäufen mich mit Unheil und befehden mich voller Grimm.

5 Mir bebt das Herz in der Brust; mich überfielen die Schrecken des Todes.

6 Furcht und Zittern erfassten mich; ich schauderte vor Entsetzen.

7 Da dachte ich: Hätte ich doch Flügel wie eine Taube, dann flöge ich davon und käme zur Ruhe.

8 Siehe, weit fort möchte ich fliehen, die Nacht verbringen in der Wüste. 

9 An einen sicheren Ort möchte ich eilen vor dem Wetter, vor dem tobenden Sturm.

10 Entzweie sie, Herr, verwirr ihre Sprache! Denn in der Stadt habe ich Gewalttat und Hader gesehen.

11 Auf ihren Mauern umschleicht man sie bei Tag und bei Nacht, sie ist voll Unheil und Mühsal.

12 In ihrer Mitte herrscht Verderben, Betrug und Unterdrückung weichen nicht von ihren Märkten

21 Der Feind legte Hand an seine Getreuen, seinen Bund hat er entweiht.

22 Glatt wie Butter waren seine Reden, doch in seinem Herzen sann er auf Streit, linder als Öl waren seine Worte und waren doch gezückte Schwerter.

23 Wirf deine Sorge auf den HERRN, er wird dich erhalten! Niemals lässt er den Gerechten wanken.

24 Du aber, Gott, du wirst sie hinabstürzen in die tiefste Grube. Blutgierige Männer und Betrüger erreichen nicht die Mitte ihres Lebens. Ich aber setze mein Vertrauen auf dich.

 

Stille

 

LeserIn 2:

Im Evangelium nach Markus lesen wir: [Mk 6,30-37a]

Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten.

Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen.

Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein.

Aber man sah sie abfahren und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an.

Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.

Gegen Abend kamen seine Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät.

Schick sie weg, damit sie in die umliegenden Gehöfte und Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können!

Er erwiderte: Gebt ihr ihnen zu essen!

 

Stille

 

LeserIn 1:

Die Szene spielt an einem „einsamen Ort“. Nach Markus sucht Jesus immer wieder solche Orte auf. Es sind keine Orte beschaulicher Einkehr, sondern Orte der Verwüstung. Damit spielt Markus auf die Situation an, die der Krieg der Römer gegen die Juden hinterlassen hat: die Verwüstung Israels, Jerusalems und des Tempels. An dieser Verwüstung kann Jesus nicht vorbei gehen. Und seine Jünger müssen genau das lernen: Der Weg des Messias kann nur ein Weg durch die Verwüstungen hindurch sein – nicht an ihnen vorbei oder über sie hinweg.

 

Die Verwüstung hinterlässt hungernde und orientierungslose Menschen. Sie sind „wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (V. 34). In dieser Situation kommt es zu einem Konflikt zwischen Jesus und den Jüngern. Sie wollen das Problem des Hungers mit Geld lösen. Dem tritt Jesus mit der Aufforderung entgegen: „Gebt ihr ihnen zu essen!“

 

 

LeserIn 2:

Was sie haben, sind die fünf Brote der Tora. Von ihr – nicht vom Geld – wird Israel satt, weil sie eine Ordnung des Zusammenlebens vorsieht, in der alle ohne Geld Zugang haben zu dem, was Gottes Schöpfung als Grundlage des Lebens zur Verfügung stellt. Geld dagegen zerstört die Grundlagen des Lebens. Der Tempel, der zur „Räuberhöhle“ (Mk 11,17) verkommen ist, kassiert selbst noch die letzten Münzen armer Witwen für den Tempelschatz ein. Damit raubt er ihnen ihr ganzes Leben. Weil Geld zerstörerisch ist, sollen die Jünger, wenn sie unterwegs sind, um das Evangelium zu verkünden, „kein Geld“ (Mk 6,8) bei sich tragen. Einem Reichen rät Jesus, den Erlös für den Verkauf seiner Güter, den Armen zu geben. So kann er sein Geld auf gute Weise los- werden und ganz für das Reich Gottes zur Verfügung stehen. Wohin Geld gehört, macht Jesus im Streit um die Zahlung der Steuern deutlich: Es soll dem Kaiser zurück gegeben werden. Dann endlich kann Gott gegeben werden, was Gottes ist. Wo dies geschieht, können Menschen leben, weil sie in der Tora in Gottes Weisungen zu einem befreiten Leben Orientierung finden. Das Leben der Menschen, die Frage ob sie satt werden oder hungrig bleiben müssen, darf nicht vom Geld abhängig sein.

 

LeserIn 1:

In die völlige Abhängigkeit vom Geld haben sich die kapitalistischen Gesellschaften begeben. Ihre Grundlage ist die Vermehrung des Geldes als irrationaler Selbstzweck. Deshalb muss alles Leben bis hin zur Zerstörung aller Grundlagen des Lebens diesem verrückten Selbstzweck geopfert werden. Umso größere Opfer sind zu bringen, je weiter die Krise voranschreitet. Dies gilt als realistisch, während eine Gesellschaft ohne Geld als utopische Schwärmerei erscheint.

 

Stille

 

Lied: Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr... (Gl 422)

 

Gebet

 

V Gepriesen bist du Herr Jesus Christus,

der du das Kreuz der Gedemütigten getragen hast.

A Wir bitten dich:

Erbarme dich über uns und über die ganze Welt.

   

 

2. Station

Jesus wird zum Tod verurteilt.

 

V      Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.

A      Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

 

LeserIn 1:

Im Evangelium nach Markus lesen wir: [Mk 15,11-15]

Die Hohepriester aber wiegelten die Menge auf, lieber die Freilassung des Barabbas zu fordern.

Pilatus wandte sich von Neuem an sie und fragte: Was soll ich dann mit dem tun, den ihr den König der Juden nennt?

Da schrien sie: Kreuzige ihn!

Pilatus entgegnete: Was hat er denn für ein Verbrechen begangen? Sie aber schrien noch lauter: Kreuzige ihn!

Darauf ließ Pilatus, um die Menge zufriedenzustellen, Barabbas frei. Jesus lieferte er, nachdem er ihn hatte geißeln lassen, zur Kreuzigung aus.

 

Stille

 

LeserIn 2:

Das römische Imperium sicherte seine Macht dadurch, dass es gnadenlos gegen Menschen und Gruppen vorging, die sich seiner Herrschaft widersetzten. Nach der Logik von Brot und Spielen kam es dabei immer wieder zum Zusammenspiel zwischen den Vertretern der Herrschaft und dem Volk, das unter der römischen Herrschaft zu leiden hatte. Der Versuch, „die Menge zufriedenzustellen“ (V. 15) und so ruhig zu halten, ist eine Strategie, die Loyalität der Massen sicher zu stellen. Wer dabei geopfert oder begünstigt wird, entscheidet das wechselhafte Kalkül der Macht. Dem Kalkül der Macht und ihrem populistischen Zusammenspiel mit der Menge wird Jesus zu Folter und Kreuzigung ausgeliefert. Darin teilt er das Schicksal so vieler, die zu Opfern in den Kalkülen der Macht werden oder heute den Mechanismen eines zerbrechenden und durchdrehenden Systems ausgeliefert sind.

 

Stille

 

LeserIn 1:

In den Zerfallsprozessen des Kapitalismus wird es immer weniger möglich, das Leben von Menschen in den Strukturen von Markt und Staat zu sichern. Märkte und Staaten zerfallen und hinterlassen verwüstete Orte, in denen Menschen im Krieg aller gegen alle – in Plünderungs- und Terrorbanden – um ihr Überleben kämpfen. Geschieht dies in Regionen, die für das kapitalistische Weltsystem von ökonomischer und strategischer Bedeutung sind, kommt es zu Kriegen, in denen das Militär versucht, Ordnung zu schaffen und die jeweiligen Interessen – ohne Rücksicht auf das Leben von Menschen – durchzusetzen. Menschen, die dem im Wege stehen, sind zum Tode  verurteilt. Zu den jüngsten Beispielen, da militärisch Ordnung zu schaffen, wo ökonomische und strategische Interessen auf dem Spiel stehen, gehört der Krieg gegen Rojava.

 

Mitte Januar begann die „Operation Olivenzweig“ des türkischen Militärs im Norden Syriens gegen die dortigen kurdischen Selbstverwaltungsgebiete. Beim Angriff auf Afrin wurden bewusst zivile Ziele von türkischen Flugzeugen angegriffen. Beim Angriff auf Afrin wurden bewusst zivile Ziele von türkischen Flugzeugen angegriffen. Mitte März wurde die Stadt begleitet von nationalistisch-chauvinistischem Siegesgeheul eingenommen. 150.000 Menschen befinden sich auf der Flucht, mindestens 1500 kurdische Kämpfer wurden getötet.

 

Militärisch werden die kurdischen Gebiete in der Region Rojava von der YPG-Miliz verteidigt, die als Ableger der in den USA, Deutschland und der Türkei als Terrororganisation eingestuften PKK gilt. Bis vor kurzem wurden sie noch von den USA und Deutschland militärisch ausgerüstet. Sie sollten im Kampf gegen den ‚Islamischen Staat’ die amerikanischen (und russischen) Offensiven unterstützen. Für Deutschland und die USA gilt die YPG nicht als Terrororganisation; für die Türkei hingegen wird sie als kurdische Terrororganisationen seit den 1980er Jahren militärisch bekämpft – mit Panzern aus deutscher Produktion. Möglich gemacht wurde der aktuelle türkische Angriff erst dadurch, dass Russland den von ihm kontrollierten Luftraum freimachte. Die Türkei holte sich sozusagen die russische Erlaubnis, um die kurdischen Versuche zu beenden, ihr Zusammenleben in kritischer Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus durch Stärkung von Partizipation auf eine neue Grundlage zu stellen.

 

LeserIn 2:

Der ‚imperialistische’ Feldzug der Türkei ist Ausdruck eines auf Ausgrenzung und Sicherheit zielenden paradoxen ‚Zerfallsimperialismus’. Genauso wenig wie die USA als bisherige politisch-militärische Hegemonialmacht wird es der Türkei gelingen, nach den ethnischen Säuberungsaktionen ein ihren Interessen konformes regionales ‚Regime’  aufzubauen. Obwohl die Türkei über die zweitgrößte Armee im NATO-Bündnis verfügt, bleibt ihr ‚imperialer Fiebertraum’ einer Wiedererrichtung des Osmanischen Reiches ohne Grundlage in der Realität. Aufgrund der schwindenden Arbeit als Substanz kapitalistischer Verwertung kann er sich nur als das erweisen, was es ist: ein irrationaler, fieberhafter Wahn.

 

Die im Krieg gegen Rojava handelnden Akteure verfolgen wirtschaftliche und politische Interessen, um ihre Position in der kapitalistischen Konkurrenz zu stärken. Dazu gehören die Sicherung der Rohstoffzufuhr ebenso wie der Handelswege. In die in kapitalistischer Logik rationalen Interessen mischen sich Irrationalitäten wie der 'Fiebertraum' der Türkei von einer Wiederkehr des Osmanischen Reiches. Die Verrücktheiten und Widersprüche, die sowohl im Handeln von staatlichen wie nicht-staatlichen Akteuren deutlich werden, sind eine Art Spiegelbild für die perverse, zerstörerische Verrücktheit und Leere der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie, die umso brutaler über Leichen geht, je mehr sie auf ihre Grenzen stößt. Einen Ausweg kann nur die Infragestellung des kapitalistischen Weltsystems aufzeigen.

 

Stille

 

Wir beten den Psalm 69 im Wechsel:

 

14 Ich aber komme zu dir mit meinem Bittgebet, HERR, zur Zeit der Gnade. Gott, in deiner großen Huld erhöre mich, mit deiner rettenden Treue!

15 Entreiß mich dem Sumpf, damit ich nicht versinke, damit ich meinen Hassern entkomme, den Tiefen des Wassers,

16 damit die Wasserflut mich nicht fortreißt,/ mich nicht verschlingt der Abgrund, der Brunnenschacht nicht über mir seinen Rachen schließt!

17 Erhöre mich, HERR, denn gut ist deine Huld, wende dich mir zu in deinem großen Erbarmen!

18 Verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Knecht, denn mir ist angst, eile, erhöre mich!

19 Sei mir nah und erlöse mich! Befreie mich meinen Feinden zum Trotz!

 

Stille

 

LeserIn 2:

Im Evangelium nach Markus lesen wir: [Mk 1,21-28]

Sie kamen nach Kafarnaum. Am folgenden Sabbat ging er in die Synagoge und lehrte.

Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.

In ihrer Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien:

Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes.

Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn!

Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei.

Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl.

Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.

 

Stille

 

LeserIn 1:

Die erste Tat, die Jesus nach Markus vollbringt, ist die Heilung eines Menschen, „der von einem unreinen Geist besessen war“ (V. 23). In dem, was mit einzelnen geschieht, spiegelt sich immer auch das Ganze. Insofern macht der einzelne Besessene die Situation Israels deutlich. Israel ist von Rom besetzt. Eine fremde Macht, ein unreiner Geist hat es in Besitz genommen. Die Fremdherrschaft ist da umso fester, wo sie nicht nur auf äußerem Zwang beruht, sondern wo es ihr gelingt, auch die einzelnen Menschen in ihren Wahrnehmungen und Orientierungen so zu besetzen, dass sie von der Herrschaft besessen sind. Dann denken, reden und handeln sie von sich aus, aus ihrem Innern heraus aus der Logik der Herrschaft. Ihren Geist haben sie sich zu eigen gemacht. Weil auch „die Menge“ sich Befreiung nur in der Logik einer neuen Herrschaft vorstellen kann, schreit sie, als Jesus vor Pilatus steht: „Kreuzige ihn!“ (Mk 15,15). 

 

Auch Besessene können fromme Reden im Mund führen. Bei Markus sprechen Dämonen das christliche Bekenntnis aus. So weiß der Besessene in der Synagoge von Kafarnaum, dass Jesus „der Heilige Gottes“ (V. 24) ist. Im Munde von Menschen, die sich Geist und Logik der römischen Herrschaft zu eigen gemacht haben, kann das Bekenntnis zu Jesus nur pervers und damit falsch sein. Deshalb droht Jesus dem Dämon und befiehlt im zu schweigen und den Besessenen zu verlassen. Die Befreiung von Besessenheit ist kein sanfter, sondern ein äußerst  konflikt-trächtiger Prozess, der damit ein-her-geht, dass Menschen hin und her gerissen werden.

 

LeserIn 2:

Aufgeklärte Menschen mögen in den Geschichten von der Austreibung von Dämonen lediglich ein vormodernes Weltbild erkennen, mit dem heute kaum noch jemand etwas anfangen kann. Aber gerade sie haben sich „Geist und Logik“ des Kapitalismus so zu eigen gemacht, dass sie sich eher den Weg in eine globale Katastrophe als ein Zusammenleben von Menschen ohne Geld und Kapitalismus vorstellen können. Geist und Logik des Kapitalismus prägen nicht nur die gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen, sondern auch die Herzen und das Denken von Menschen. In ihrer Besessenheit erscheint ihnen der Weg in die Katastrophe als realistisch und alternativlos, die Überwindung des Kapitalismus als utopische Träumerei.

 

Jesu „neue Lehre mit Vollmacht“ hat Macht über die unreinen Geister. Aufgeklärte Menschen lassen sich nicht gerne belehren. Sie sind Selber-Denker. In ihnen selbst stecken aber Geist und Logik des Kapitalismus, den sie immer wieder neu als ihr eigenes Denken reproduzieren. Befreiung kann es nur durch eine kritische Reflexion geben, die erkennt, von was das eigene Selbst beherrscht ist. Jesu Lehre ist die Unterscheidung zwischen Gott und Götzen. Er hat sie nicht „aus sich selbst“, sondern weil er sich hat belehren lassen – vom Gesetz und von den Propheten, von Israels Geschichte mit seinem Gott, der herausführt aus der Unterwerfung unter Systeme der Macht und deren Götzen.

 

Stille

 

Lied: Gl 266

 

Gebet  

V Gepriesen bist du Herr Jesus Christus,

der du das Kreuz der Gedemütigten getragen hast.

A Wir bitten dich:

Erbarme dich über uns und über die ganze Welt.

 

 

       3. Station

 Jesus wird verspottet.

 

V      Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.

A      Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

 

 

LeserIn 1:

Im Evangelium nach Markus lesen wir: [Mk 15,25-32]

Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten.

Und eine Aufschrift gab seine Schuld an: Der König der Juden.

Zusammen mit ihm kreuzigten sie zwei Räuber, den einen rechts von ihm, den andern links.

Die Leute, die vorbeikamen, verhöhnten ihn, schüttelten den Kopf und riefen: Ach, du willst den Tempel niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen?

Rette dich selbst und steig herab vom Kreuz!

Ebenso verhöhnten ihn auch die Hohepriester und die Schriftgelehrten und sagten untereinander: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten.

Der Christus, der König von Israel! Er soll jetzt vom Kreuz herabsteigen, damit wir sehen und glauben. Auch die beiden Männer, die mit ihm zusammen gekreuzigt wurden, beschimpften ihn.

 

LeserIn 2:

Die Leute, die Hohenpriester und die Schriftgelehrten“ finden zusammen im Spott gegenüber dem Opfer römischer Herrschaft. Ihr Herz hängt an der Macht. Hohepriester und Schriftgelehrte stehen auf der Seite Roms. Sie wollen an den Verhältnisse nichts ändern. „Die Leute“ – selbst Opfer der Machtverhältnisse – wollen einen machtvollen Retter – nicht eine gekreuzigte Elendsgestalt. Sie wollen nach oben, dahin wo die Herren schon sind. Nicht Überwindung der Machtverhältnisse, sondern Teilhabe an der Macht ist ihr Ziel. Die Herrschaft Roms soll durch die Herrschaft eines wieder hergestellten Reichs Davids ersetzt werden. Ein solcher „König von Israel!“ wäre ihnen willkommen. Für einen ohnmächtigen König am Kreuz haben sie nur Spott und Hohn übrig. Das hat er nun von seinen utopischen Schwärmereien vom Ende der Macht. Als humanitärer Träumer hat er anderen geholfen. Was das wert war, ist jetzt zu sehen. Hilflos hängt er am Kreuz der Römer. Ihm ist nicht zu helfen. Und selbst helfen kann er sich schon gar nicht.

 

Wenn die Herzen an Macht hängen, werden sie hart. Sie verschließen sich gegenüber dem Leid der Opfer. Statt empfindsam für ihr Leid zu sein, werden die Opfer abgewehrt. Die Vertreter der Ordnung und „die Leute“ sind sich darin einig, dass Herrschaft erhalten werden muss. Sie unterscheiden sich lediglich in der Frage, wer sie denn ausüben soll.

 

Stille

 

LeserIn 1:

Die Opfer der Krise des Kapitalismus stoßen auf Abwehr sowohl bei den Trägern politischer Verantwortung als auch bei den sog. „kleinen Leuten“. Als bedrohlich erscheint nicht die zerstörerische Dynamik des Kapitalismus, sondern deren Opfer, die vor den Toren der westlichen Gesellschaft stehen. Gegen sie schließen sich politischer und medialer Rechtspopulismus, vom Abstieg bedrohte Mittelschichtler und „kleine Leute“, die selbst Opfer der Krisenprozesse sind, zusammen. Ihr gemeinsames Feindbild sind „die Fremden“.

 

Während „Fremde“ aggressiv abgewehrt werden, finden ihre Feinde gesellschaftliche Anerkennung – so auf der Leipziger Buchmesse, die sich Respekt, Toleranz und Vielfalt auf ihre Fahnen geschrieben hat. Genau dies ist die Begründung dafür, dass auch rechte Verlage sich auf der Buchmesse präsentieren dürfen. Der Chef des Börsenvereins verteidigte die Zulassung mit den Worten: „Wenn wir Meinungsfreiheit ernst nehmen, müssen wir sie auch jenen zugestehen, deren Wertvorstellungen und Meinungen wir nicht teilen, ja deren Ansichten wir sogar für gefährlich halten.“[1]

 

LeserIn 2:

Während sich auf der Buchmesse unter dem postmodernen Leitwert der Vielheit rechte Verlage tummeln dürfen, teilt der Zentralrat der Muslime mit, dass seine Geschäftsstelle in der Kölner Innenstadt bis auf Weiteres geschlossen wird. Grund dafür ist eine Morddrohung, die bei der Geschäftsstelle in einem Brief eingegangen war, in dem sich als bedrohliche Zugabe weißes Pulver befand. „In dem Brief … wird unmissverständlich mit der Ermordung des Vorsitzenden des Zentralrats gedroht, wenn er es nicht unterlasse, 'die Afd zu beleidigen'.“[2] Der Vorgang ist umso mehr Besorgnis erregend als es nur wenige Wochen zuvor einen Anschlag auf die Moschee in Halle gegeben hatte. Zudem gab es an einem Wochenende im März in mehreren Städten zwei weitere Brandanschläge auf Moscheen und Angriffe auf muslimische Kultureinrichtungen.

 

Von all dem ungetrübt erklärt der neue Heimatminister, der Islam gehöre nicht zu Deutschland – und bekommt Beifall von der AfD. Damit wird jener Rechtsruck befestigt, der mit der Wahl der AfD in fast alle Länderparlamente und in den Bundestag seinen bisher deutlichsten Ausdruck fand. Verbale wie manifeste Gewaltakten gegen Flüchtlinge und Muslime sowie die verschärften Abschottungspolitik Europas gegen Migranten und Flüchtlinge bringen ans Tageslicht, dass die Selektion in für die Verwertung des Kapitals Verwertbare und Überflüssige ebenso wie die Selektion durch Konkurrenz zu den Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft gehört.

 

LeserIn 1:

Mit der Krise des Kapitalismus verschärft sich die Konkurrenz, während zugleich das soziale Netz abgebaut wird. Was die kapitalistische Gesellschaft nicht mehr schafft, Menschen über Strukturen eines sozialen Netzes einen Platz in der Gesellschaft zu sichern, soll jeder für sich allein leisten. Als Ich-AG soll er sich diesen Platz erkämpfen und sich den Zwang zu ständiger Selbstoptimierung und Selbstinszenierung angesichts wachsender Konkurrenz zu eigen machen.

 

Das überfordert die einzelnen und produziert Angst: die Angst, nicht mithalten zu können und sozial abzustürzen. Angst macht die Herzen eng und lässt sie versteinern. Sie werden – wie es der Psychologe Götz Eisenberg formuliert – „'abgehärtet' im physischen und psychologischen Sinn. Ihre Kälte ist eines ihrer prägnantesten Merkmale – kalt fremdem Leiden, aber auch sich selbst gegenüber. Aus der Härte gegen sich selbst leiten sie die Berechtigung ab, hart gegen andere sein zu dürfen.“[3]  

 

Von Überforderungs- und Abstiegsängsten durchsetzte Arbeitswut verbindet sich mit Überfremdungsangst und Wut auf Fremde. Wo Strukturen der Solidarität abgebaut werden, Menschen allein gelassen und auch noch für ihr Scheitern an der kapitalistischen Gesellschaft, verantwortlich gemacht werden, muss sich niemand über die eskalierenden Ausbrüche von Wut und Hass, Terror und Gewalt wundern. Das Perfide an der sich in der Krise ausbreitenden aggressiven Konkurrenz ist, dass Menschen, die im globalen Kapitalismus auf der Seite der Verlierer stehen, gegeneinander ausgespielt werden: die Menschen, die vor sozialen und ökologischen Verwüstungen, vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen, gegen diejenigen, die in den kapitalistischen Zentren arm und überflüssig gemacht und dabei gedemütigt werden, oder gegen solche, die sich verzweifelt gegen den drohenden sozialen Abstieg wehren.

 

Stille

 

Wir beten den Psalm 12 im Wechsel:

 

2 Hilf doch, HERR, der Fromme ist am Ende, ja, verschwunden sind die Treuen unter den Menschen.

3 Sie reden Lüge, einer zum andern, mit glatter Lippe und doppeltem Herzen reden sie.

4 Der HERR tilge alle glatten Lippen, die Zunge, die Vermessenes redet,

5 die da sagten: Mit unserer Zunge sind wir mächtig, unsere Lippen sind mit uns. - Wer ist Herr über uns?

6 Wegen der Unterdrückung der Schwachen, wegen des Stöhnens der Armen stehe ich jetzt auf, spricht der HERR, ich bringe Rettung dem, gegen den man wütet.

7 Die Worte des HERRN sind lautere Worte,/ Silber, geschmolzen im Ofen, von Schlacken gereinigt siebenfach.

8 Du, HERR, wirst sie behüten, wirst ihn bewahren vor diesem Geschlecht auf immer,

9 auch wenn ringsum Frevler umhergehn und die Gemeinheit groß wird unter den Menschen.

 

Stille

 

LeserIn 2:

Im Evangelium nach Markus lesen wir: [Mk 10,35-45]

Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.

Er antwortete: Was soll ich für euch tun?

Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen!

Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?

Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde.

Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die es bestimmt ist.

Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes.

Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen.

Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein,

und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

 

Stille

 

LeserIn 1:

Jakobus und Johannes wollen Teilhabe an Herrschaft – sogar in privilegierter Stellung. Das ärgert die anderen. Auch sie sind von dem Wunsch besessen, an der neuen Herrschaft eines davidischen Großreichs teil-zu-haben. Genau damit aber folgen sie einer Logik der Herrschaft, der Logik derer, die „ihre Völker unterdrücken“ (V. 42).

 

Markus setzt sich in immer neuen Anläufen damit auseinander, dass der Messias Jesus nicht als neuer Herrscher zu verstehen ist. Ein solcher Messianismus hatte ja in die Katastrophe des Krieges der Römer gegen die Juden und seine Folgen geführt. Der Messias kann nicht in der Logik von Macht und Herrschaft verstanden werden. Er ist gekommen, „um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (V. 45). Dass der Messias kein strahlender Sieger, sondern ein Verlierer sein soll, das ist so schwer zu verstehen. Deshalb trat ja bereits Petrus Jesus entgegen, als er deutlich zu machen versuchte, dass sein Weg an das Kreuz der Römer führen werde. Petrus wird scharf zurück gewiesen. Er soll sich Jesus nicht in den Weg stellen, sondern hinter ihn treten.

 

LeserIn 2:

In immer wieder neuen, fast verzweifelten Anläufen versucht Markus deutlich zu machen, was Jesu Dienst bedeutet. Er ist als Dienst des Gottesknechtes zu verstehen. Als Knechte Gottes gelten diejenigen, die sich ganz in den Dienst der Befreiung aus den Sklavenhäusern der Geschichte stellen. Das führt nicht zu Triumphzügen nach Art der römischen Sieger in den vielen Kriegen, sondern zu Kreuzwegen. Sie führen in die Konfrontation mit den herrschenden Verhältnissen und deshalb an die Seite der Opfer und in die Ohnmacht des Kreuzes. Auf diesem Weg bleibt Jesus seinem Gott treu und darin seiner Sache der Befreiung. In der Tradition der Gottesknechte kann dieser Weg und die Bereitschaft, sein Leben als „Lösegeld“ hin zu geben, verstanden werden. Lösegeld wird gezahlt, um Sklaven oder Kriegsgefangene auszulösen. Was Jesus zahlt, ist kein Geld. Das gehört den römischen Herren. Das Lösegeld, das er einsetzt, ist sein Leben als Knecht Gottes, ein Leben, das ganz im Dienst von Israels Gott der Befreiung steht. Das Schicksal seines Lebens steht für die Hoffnung, dass der Dienst all derer, die sich in Gottes Dienst der Befreiung stellen, Früchte der Befreiung hervorbringen werden.

 

Lied: Das könnte den Herren der Welt ja so passen...

 

 

Gebet:

 

V Gepriesen bist du Herr Jesus Christus,

der du das Kreuz der Gedemütigten getragen hast.

A Wir bitten dich:

Erbarme dich über uns und über die ganze Welt.

 

 

4. Station

Jesus stirbt am Kreuz

 

V      Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.

A      Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

 

 

LeserIn 1:

Im Evangelium nach Markus lesen wir: [Mk 15,33-39]

Als die sechste Stunde kam, brach eine Finsternis über das ganze Land herein - bis zur neunten Stunde.

Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloï, Eloï, lema sabachtani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Einige von denen, die dabeistanden und es hörten, sagten: Hört, er ruft nach Elija!

Einer lief hin, tauchte einen Schwamm in Essig, steckte ihn auf ein Rohr und gab Jesus zu trinken. Dabei sagte er: Lasst, wir wollen sehen, ob Elija kommt und ihn herabnimmt.

Jesus aber schrie mit lauter Stimme. Dann hauchte er den Geist aus.

Da riss der Vorhang im Tempel in zwei Teile von oben bis unten.

Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.

 

LeserIn 2:

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (V. 34). Jesu Schrei nach Gott ist sein letztes Gebet. Darin können wir einen Leitfaden des Evangeliums nach Markus erkennen. Angesichts der Katastrophe des Krieges ringt Markus mit der Frage: Hat Gott sein Volk verlassen? Jetzt, wo Jesus am Kreuz mit dem Tode ringt, wäre es Zeit zur Rettung. Aber die Stimme aus dem Himmel, die Jesus als „geliebten Sohn“ angesprochen (1,11) und verkündet hatte (9,7), schweigt.

 

Stattdessen lässt sich die Stimme des Hauptmanns vernehmen: „Dieser Mensch war Gottes Sohn.“ (V. 38). In ihr artikuliert sich kein Glaubensbekenntnis. Sie bleibt die Stimme eines Römers, dazu die eines römischen Henkers. In seiner Perspektive kann nur der Kaiser „Gottes Sohn“ sein. Ein an der Macht Roms in Elend und Verzweiflung gescheiterter Messias soll „Gottes Sohn“ gewesen sein? Die Stimme des Hauptmanns konstatiert das Scheitern und die Absurdität einer Hoffnung, die sich an einem solchen „Sohn Gottes“ fest machen will.

 

Markus spricht davon, dass der Hauptmann „Jesus gegenüberstand“ (V. 38). Jesus gegenüber stehen bei Markus die Gegner Jesu. Zu ihnen zählen nicht zuletzt die Dämonen als Ausdruck dafür, dass Israel von Rom besetzt ist und viele so von der römischen Herrschaft besessen sind, dass sie sich ihr unterwerfen. Dämonen können ein wörtlich korrektes Bekenntnis zu Jesus artikulieren wie „Du bist der Heilige Gottes“ (1,24).

 

LeserIn 1:

Und dennoch ist dieses Bekenntnis falsch und dämonisch. Erkennen, wer Jesus ist, kann nur, wer mit der Herrschaft Roms bricht. Als Messias ist Jesus nur für die erkennbar, die ihn nicht als strahlenden Sieger jenseits aller Katastrophen sehen, sondern ihn als Knecht Gottes verstehen lernen, der seinen Weg nicht über die Katastrophen hinweg, sondern durch sie hindurch geht. Der Glaube an den Messias muss den Katastrophen stand-halten können. Denjenigen, die dem Messias Jesus vertrauen, ist der Weg verwehrt, jenseits der Katastrophen Glück und Erfüllung zu suchen. Es wäre ein Glück, das sich zwanghaft und illusionär vom Unglück der anderen abgrenzt und vor der Wirklichkeit der Katastrophen flieht. Rettung kann es aber nur geben, wenn die Letzten zu ihrem Recht kommen und darin alle. 

 

Stille

 

LeserIn 2:

 „In ihren Gesichtern stehen Erschöpfung und Verzweiflung, einige der Frauen, Männer und Kinder weinen. Die Menschen schleppen, was sie an Habseligkeiten tragen können – Decken, Taschen und Körbe. Andere haben Kleinkinder auf dem Rücken oder schieben gebrechliche Verwandte in Schubkarren durch die Ruinenlandschaft... 'Es gibt kein Wasser, keine Medikamente, kein Essen nichts mehr', berichtet ein Mann dem Sender 'Al Dschasira'.“[4]

 

Die Rede ist von der Flucht aus der umkämpften Rebellenenklave Ost-Ghuta, in der Menschen aus zerstörten Gebieten und vor russischen und syrischen Luftangriffen fliehen. Ähnliches spielt sich in Rojava, Afghanistan, Myanmar und vielen anderen Orten auf dem Globus ab. Der Globus zerbricht als Ort des Lebens. Viele können es nicht mehr sehen, schauen weg und flüchten sich in Innerlichkeit und 'positives Denken'. Kaum zu ertragen ist nicht nur das Leid der anderen, sondern auch die Angst, selbst auf einem Pulverfass zu sitzen und auf der Straße der Verlierer zu landen. Und so suchen viele Zuflucht im Verdrängen und Verleugnen der Krisen. Aggressiv wehren sie sich gegen die Einsicht, die Krisen könnten etwas mit dem zusammenbrechenden Kapitalismus zu tun haben.

 

Zudem sind die vereinzelten Individuen in den sog. reichen Ländern immer größeren Belastungen ausgesetzt, weil die Krise des Kapitalismus auf die einzelnen abgeladen wird. Was politisch und gesellschaftlich im Rahmen des Kapitalismus nicht zu lösen ist, sollen jetzt die einzelnen in Eigenverantwortung tun - und das bei einbrechender sozialer Sicherung und gesellschaftlicher Infrastruktur. Sie sollen sich fit machen und halten für einen immer schärferen Konkurrenzkampf.

 

LeserIn 1:

Angesichts wachsender, kaum noch auszuhaltender Belastungen und psychisch kaum zu bewältigender Überforderungen suchen die Vereinzelten nach Entlastung. Auf den Märkten esoterischer Ratgeber wird Rettung in Strategien 'positiven Denkens“ und in der Suche nach einem vermeintlich heilen Inneren, nach einem authentischen Selbst angeboten. Menschen sollen die werden, die sie in den Tiefen ihrer Seele angeblich bereits sind. Solche Angebote sind illusionär, da es unabhängig von den ‚äußeren’ Verhältnissen kein Heil in einem vermeintlich heilen Inneren gibt.

 

Die Wirklichkeit von Krisen und Katastrophen lässt sich weder positiv weg denken noch tiefenpsychologisch weg therapieren. Auch in sich selbst stoßen Menschen auf all jene Probleme, die von außen auferlegt sind, auf Probleme, die nieder drücken und depressiv machen: Zeit- und Leistungsdruck, finanzielle Sorgen und die Angst, abzustürzen. Befreiung führt über die kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Rettung kann es nur in Perspektiven geben, die der Wirklichkeit stand-halten. Rettung kann es zudem nicht unabhängig von den anderen geben, vor allem nicht unabhängig denen, die als „die Letzten“ im gesellschaftlichen Gefüge am meisten unter der zerstörerischen Dynamik des Krisenkapitalismus zu leiden haben und daran zugrunde gehen.

 

Stille

 

Wir beten den Psalm 22 im Wechsel:

2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bleibst fern meiner Rettung, den Worten meines Schreiens?

3 Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort; und bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe.

4 Aber du bist heilig, du thronst über dem Lobpreis Israels.

5 Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut und du hast sie gerettet.

6 Zu dir riefen sie und wurden befreit, dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden.

7 Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet.

8 Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf:

9 Wälze die Last auf den HERRN! Er soll ihn befreien, er reiße ihn heraus, wenn er an ihm Gefallen hat!

10 Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog, der mich anvertraut der Brust meiner Mutter.

11 Von Geburt an bin ich geworfen auf dich, vom Mutterleib an bist du mein Gott.

12 Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe und kein Helfer ist da!

 

Stille

 

LeserIn 2:

Im Evangelium des Markus lesen wir: [Mk 9,2-10]

Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihnen verwandelt;

seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann.

Da erschien ihnen Elija und mit ihm Mose und sie redeten mit Jesus.

Petrus sagte zu Jesus: Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija.

Er wusste nämlich nicht, was er sagen sollte; denn sie waren vor Furcht ganz benommen.

Da kam eine Wolke und überschattete sie und es erscholl eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören.

Als sie dann um sich blickten, sahen sie auf einmal niemanden mehr bei sich außer Jesus.

Während sie den Berg hinabstiegen, gebot er ihnen, niemandem zu erzählen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei.

Dieses Wort beschäftigte sie und sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen.

 

LeserIn 1:

 

Die Jünger wollen den Himmel, die Erfüllung ihrer Sehnsüchte in drei Hütten fest-halten. Die Flucht aus der Wirklichkeit aber ist ihnen verwehrt. Sie sollen das tun, was für alle Juden die Grundlage ihres Glaubens ist: „Höre, Israel!“ heißt das erste Gebot. So sollen auch die Jünger auf die Stimme Gottes hören, die sich in Mose und Elija Gehör verschafft und sich nun im Weg des Messias an das Kreuz der Römer zum Ausdruck bringt.

 

Israels Gott konfrontiert mit der Wirklichkeit, mit den Sklavenhäusern in der Geschichte. Deshalb führt der Weg des Messias mitten hinein in die Konfrontation mit den Verhältnissen des römischen Reiches und darin in Leid und Tod. Durch das Leiden an der Wirklichkeit hindurch bahnt sich der Weg zur Auferstehung. Wer den Himmel jedoch in Hütten bannen will, bleibt in Illusionen und Selbstbetrug gefangen. Es ist der Selbstbetrug, der sich und andere glauben machen will, die Flucht aus der Wirklichkeit könne trösten und beständiges Glück sichern.

 

Wer sein Glück in Hütten bannen will, kann mit der Botschaft von der Auferweckung des gekreuzigten Messias und der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nichts anfangen, weil sie die Fixierung auf ein kleines abgeschottetes Glück überschreitet und als illusionär erscheinen lässt. Solche Illusionen des Glücks können der Wirklichkeit nicht standhalten.

 

LeserIn 2:

Angesichts des Trugs von Illusionen rät Markus zur Wachsamkeit. Gemeint ist die Wachsamkeit angesichts von geschichtlichen Katastrophen, die Menschen sozial und in ihrer Seele erleiden. Wer wachsam ist, sucht nach der Überwindung von Grenzen, der Grenzen des eigenen Ego, der Grenzen einer Gesellschaft, die in Krisen und Katastrophen treibt und nicht zuletzt der Grenzen, die der Tod setzt.

 

Wachsamkeit verbindet Markus mit Beten. Mit der Aufforderung „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet.“ (Mk 14,38) weckt Jesus die am Ölberg schlafenden Jünger auf. Jesus selbst betet an „einsamen“, d.h. an wüsten und leeren Orten. Sein Beten flieht nicht vor Verwüstung und Zerstörung, sondern nimmt sie 'ins Gebet', in sein Bedenken der Wirklichkeit vor seinem Gott, im Gespräch mit Mose und Elija, das heißt mit den Traditionen des Glaubens. Solches Gebet macht wach. Es lässt auf-stehen, den Weg in die Konfrontation mit den Verhältnissen gehen und darin zur Auferstehung.

 

Und so spricht Jesus inmitten der Katastrophe und angesichts seines gewaltsamen Todes sein letztes Gebet: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“? (Mk 15,34). Und weil Jesus seine Verlassenheit nicht hinaus in die Leere, sondern Gott ins Angesicht schreit, hält er auch noch angesichts des Scheiterns an seinem Gott und der Hoffnung fest, dass er an ihm und allen Gescheiterten wahr mache, was er mit seinem Namen versprochen hat: Aufstehen gegen den Tod und dagegen, dass der Tod das 'letzte Wort' haben soll.

 

Lied: Gl 289,1-3

 

Gebet:

 

V Gepriesen bist du Herr Jesus Christus,

der du das Kreuz der Gedemütigten getragen hast.

A Wir bitten dich:

Erbarme dich über uns und über die ganze Welt.

  

 


[1]      Kölner Stadt-Anzeiger vom 15.3. 2018.

[2]      Ebd.

[3]      Götz Eisenberg, Die Versteinerung der Herzen. Die sich in immer Lebensbereichen ausbreitende Logik des Kapitalismus schafft einen psychopathischen Sozialcharakter. Über den Ursprung und die Ausbreitung sozialer Kälte, in: junge welt, 2016.

[4]      Marten Gehlen, Exodus aus der umkämpften Rebellenenklave Ost-Ghuta, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 17./18.3.

 

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