2. Rundbrief 2017
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!
Vor 35 Jahren habe ich als Student und kirchlich beauftragter Berater für Kriegsdienstverweigerer die pax christi-Basisgruppe Saarbrücken mit gegründet. Nach meiner Kriegsdienstverweigerung (KDV) und meinem Engagement für andere Kriegsdienstverweigerer, war ich davon beseelt, mich dauerhaft für den Frieden einzusetzen. Das war innerhalb der damals an vielen Orten erstarkenden katholischen Friedensbewegung gut möglich. Gut 30 Menschen trafen sich damals in Saarbrücken wöchentlich um Themen wie KDV, (Nach)rüstung, Gewaltlosigkeit, ziviler Friedens-dienst und immer wieder die Frage nach Gerechtigkeit weltweit, zu bearbeiten. Dabei gab es verschiedene Aktionsformen, Gruppendiskus-sionen, Gottesdienste, Friedensgebete, Wege für den Frieden, Demos, Mahnwachen, Infostände auf dem Altstadtfest, dem Friedens- und Umwelttag, und manches mehr. Nach weiteren Gruppengründungen im Bistum in Trier, Koblenz, Wittlich und Hunsrück übernahm ich dann im folgenden Jahr auch Verantwortung für pax christi im Bistum als Diözesanvorsitzender und lernte so auch auf zahlreichen Treffen die Bundesebene von pax christi kennen. Der damalige Trierer Diözesan-bischof Hermann-Josef Spital wurde dann pax christi Präsident. Mit ihm hatten wir auch schon vorher die Frage erörtert, ob wir als christlichen Beitrag zum Frieden auch unter freiem Himmel am Stationierungsort für Mittelstreckenraketen, z.B. in Bell, zu Friedensgebeten einladen dürfen. Solch öffentliches Beten sah er kritisch und verwies auf die Kirchen als Orte für Gebete. Immerhin konnten wir auf die Fronleichnamsprozes-sionen verweisen.
Aktuell konnten wir den Trier Diözesanbischof Stephan Ackermann dazu gewinnen mit uns am Bildstock auf der Friedenswiese in Büchel, dem einzig verbliebenen Ort mit Atombomben in Deutschland, für den Frieden zu beten. Ein für viele von uns herbei gewünschtes, aber bisher einmaliges Ereignis.
So gibt es also auch in der Folge unseres Engagements eine Weiterent-wicklung in Kirche und Gesellschaft, immerhin sind die Atomwaffen in Deutschland reduziert worden.
Unser pax christi Engagement im Bistum ist aber unter anderem auch heute noch für die Abschaffung aller Atombomben gefragt und wir sind immer wieder in Büchel präsent.
Unsere Arbeit ruht inzwischen auf weniger Schultern. Die Intensität der Anfangsjahre war nicht zu halten, ebenso nicht die Mitgliederzahl. So gibt es die Gruppe Hunsrück inzwischen nicht mehr und die anderen Gruppen haben weniger Treffen und engagierte Menschen. Auch die Bistumsebene konnte keinen Vorsitzenden und keine Vorsitzende mehr wählen. Die Geschäftsführung musste laut Satzung von einem der 4 gewählten Mitglieder des Vorstandes übernommen werden. Mit auf dem Weg gab uns die letzte Mitgliederversammlung in Koblenz zu überlegen wie es mit pax christi im Bistum weitergeht. Zur Mitwirkung zu diesen Überlegungen sind alle Mitglieder eingeladen und es wird Thema bei der nächsten Diözesanversammlung sein.
Ich hoffe beim Engagement für den Frieden und bei der Stabilisierung unserer Arbeit weiter auf Euer aller Unterstützung
Euer Hope
Diakon Horst-Peter Rauguth, Geistlicher Beirat und Geschäftsführer von pax christi im Bistum Trier
Berichte und Hinweise
Die nächste Mitgliederversammlung unserer Bistumsstelle wird am 17/18.11.2017 stattfinden. Einladungen und nähere Informationen werden den Mitgliedern rechtzeitig zugesandt.
Wie schon berichtet, wurden bei der Bistumsversammlung am 11.11.2016 die Vorstandsämter nur teilweise besetzt. In der ersten Vorstandssitzung am 17.01.17 wurde folgende Aufgabenverteilung vorgenommen:
Geschäftsführung und Protokolle: Hope Rauguth
Vorstandssitzungen(Einladung, Leitung): Joachim Willmann
Veranstaltungen: Werner Schwarz
Öffentlichkeitsarbeit: Albert Hohmann
Michael Koob und Dominic Kloos haben zugesagt, den Vorstand bei seiner Arbeit zu unterstützen.
Ein weiterer Auftrag an den Vorstand lautete, sich mit der Zukunft der Bistumsstelle zu befassen. Ein erster Schritt wurde am 12.07. in Wittlich getan. Es wurde unter anderem darüber diskutiert, wie wir unsere Themen verorten und wie wir Personen für unsere Arbeit gewinnen können,. Neben dem Vorstand waren Josef Freise, Hans Wax und Egbert Wisser dabei.
Unter dem Titel „Wir schaffen das!“ Mit Ausgrenzungsimperialismus und Ausnahmezustand gegen die Flüchtlinge fand das diesjährige Wirtschaftsseminar vom 27. — 29.01.2017 in Kyllburg statt. Der Paulinus veröffentlichte einen ersten Bericht. Eine ausführlichere Version findet sich in dieser Ausgabe.
Mitglieder der Bistumsstelle Trier waren besonders an den Ostermär-schen in Saarbrücken und Büchel beteiligt. In dieser Ausgabe wird auch über die Protestaktion “ Krieg beginnt hier — Stoppt den Rüstungs-Diehl“ am 25.03. berichtet. Diese Aktion war der Beginn der Kampagne „Krieg beginnt hier“ in 2017. Vgl. unter anderem die Ostermärsche und auch der Protest gegen das öffentliche Gelöbnis in Trier am 24.05.2017.
Vor dem Referendum zur türkischen Verfassung haben Franz-Joseph Hassemer und Rudi Kemmer, die schon Jahr im christlich-islamischen Dialog in Wittlich mitarbeiten, Leserbriefe zur Entwicklung in der Türkei veröffentlicht. Diese sind weiter unten abgedruckt.
Eine gelungene Pfingstveranstaltung von pax christi war der Friedens-radweg, der bei sommerlichen Temperaturen 30 Radlerinnen und Radler aus Mainz, Limburg, Fulda, dem Saarland und Rheinland-Pfalz durch das Saarland führte. Gestaltet und begleitet wurde er von Volker Jung (Frie-densNetz Saar und Waltraud Andruet (pax christi Saar). Am Beispiel des Saarlandes und seiner bewegten Geschichte sollte die Notwendigkeit des Friedens in Europa aufs Neue verdeutlicht werden. Die Route ging von Ramstein über Homburg, das UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau, den Europäischen Kulturpark Bliesbrück-Reinheim, Blieskastel, Saar-gemünd, Saarbrücken, dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Saarlouis, dem Atelier Mario Andruet und Wallerfangen bis zur Saarschleife. Das Eintauchen in die Landschaft, Besichtigungen, Information und auch das gemeinsame Feiern gehörten zum Programm.
Bischof Ackermann hat zusammen mit der Bistumsstelle Trier am 06.07. 2017 einen Wortgottesdienst am Bildstock in der Nähe des Atomwaffen-stützpunktes bei Büchel abhalten. Über 80 Teilnehmer hatten sich zu der Andacht eingefunden. Darunter waren zahlreiche Vertreter der Presse, Rundfunk und Fernsehen. So gab es in der Folge zahlreiche, durchaus umfangreiche Veröffentlichungen.
Beim diesjährigen Flaggentag des weltweiten Bündnisses der Mayors for Peace in Trier hat Werner Schwarz pax christi vertreten. In diesem Jahr lag die besondere Bedeutung darin, dass das Hissen der Flaggen mit dem Abschluss der Verhandlungen in New York zum weltweiten Verbot der Atomwaffen zusammenfiel.
Dominic Kloos hat auf der Homepage des Ökumenischen Netzes einen umfangreichen und bedenkenswerten Artikel unter dem Titel „Neuer Exodus und neue Landnahme?“ veröffentlicht. Der Untertitel lautet: „Eine theologische Reflexion der paradoxen Singularität des Staates Israel“. In seiner Einleitung beschreibt er seine Ausführungen so: „Im Folgenden werden zunächst die Entstehungsgeschichte des modernen Israel und seiner Konflikte im Nahen/Mittleren Osten dargestellt. Was diese Geschichte und das mit ihr verbundene Leid für die Theologie bedeuten und wie in diesem Zusammenhang das Buch Josua verstanden werden könnte, soll im Anschluss reflektiert werden. Im Fokus stehen dabei zwei theologische Ansätze: Zum einen die Leid- und Zeitem-pfindlichkeit, die insbesondere J.B. Metz im Kontext des Holocaust in seiner ‚Neuen Politischen Theologie’ herausgearbeitet hat; zum anderen das Verständnis einer ‚doppelte Transzendenz’ (H. Böttcher) im Sinne eines Transzendierens der bestehenden, immanenten Gesellschafts-formation und ihrer Kategorien sowie eines Transzendierens der Menschheitsgeschichte als Ganzer verbunden mit der Hoffnung auf universelle Gerechtigkeit im Reich Gottes.“
Erklärung des Vorstandes von pax christi im Bistum Trier 28.12.2016
Mit Bestürzung und Entsetzen hat der Vorstand von pax christi im Bistum Trier von dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in der Nähe der Gedächtniskirche in Berlin gehört. Vorsätzlich wurden zwölf Menschen getötet und viele mehr verletzt. Den Opfern und ihren Familien und Freunden drücken wir unser Mitgefühl aus und begleiten sie in unseren Gedanken und Gebeten.
Die Gewalttat von Berlin reiht sich ein in Anschläge und Kriegs-handlungen auf der ganzen Welt, bei denen gewollt Menschen sterben und leiden, wie aktuell in Istanbul, Kairo oder Kabul und Aleppo.
Wir halten daran fest: „Solche Aktionen des Terrors, die das Leben vieler Unschuldiger zerstört haben, sind Angriffe auf das menschliche Zusammenleben, die wir mit Entschiedenheit verurteilen.“
Angesichts dieser neuen von Hass und Zerstörungswut getragenen Tragödie setzen wir uns weiter ein für ein Handeln des gegenseitigen Respekts, aus Mitgefühl und Mitleid und der Anerkennung der Würde eines jeden Menschen. Wir glauben, dass nur eine Kultur der Gewaltlosigkeit dem Leben der Menschen dient und der Gewaltspirale ein Ende bereiten kann.
Und wieder stellen wir mit Bedauern fest, dass das Verbrechen durch Aktionismus und verbale Aufrüstung der Verantwortlichen und die mediale Aufbereitung Aggressionen, Kontrollwahn und Vorurteile befördert. Selbstverständlich sind Mittäter und potentielle Attentäter ausfindig zu machen und zur Verantwortung zu ziehen - wie bei allen organisierten kriminellen Gewalttaten. Aber das notwendige Nachdenken über Ur-sachen und gesellschaftliche Zusammenhänge darf nicht vernachlässigt werden. Nur wer sich der Frage stellt, was den Hass und die Wut bei den Attentätern ausgelöst hat, wer sich emphatisch zeigt, wer dieses Unverstehbare doch zu verstehen sucht, hat eine Chance den Gewalt-kreislauf zu durchbrechen. Sind es nicht die Wut und der Hass, die durch das gierige Streben nach Geldvermehrung, dem Ziel des Wirtschaftens der kapitalistischen Welt, in Armut, Hunger und Ohnmacht Getriebenen, die sich hier zeigen?
Als Christen haben wir in diesen Tagen die frohe Botschaft vom Frieden auf Erden gehört. Dieser Zuspruch ist angesichts der Gewalttaten auf dieser Erde kaum zu glauben, aber dennoch ein Hoffnungszeichen wider alle Hoffnung, da er Gott ins Spiel bringt, der einen Frieden verheißt, den die Welt nicht geben kann. So rufen wir dazu auf, in die Botschaft der Weihnachtsevangelien hinein zu hören, die von irdischen Machthabern, ihren Ansprüchen und ihren Gewalttaten und gleichzeitig vom Kontrast-programm des im Stall geborenen Kindes sprechen. Die Themen der Kindheitsgeschichten Jesu kennzeichnen die Gegenwart und durchbre-chen mit ihrer Friedensbotschaft des menschgewordenen Messias gleichzeitig die realen Verhältnisse. Lasst uns von Bethlehem lernen.
Nur nicht hinsehen – ein Kommentar zu den Migrationsparnterschaften
Millionen Menschen sind besonders in Afrika und in Teilen Asiens auf der Flucht, weil sie zu Hause keine Chancen zum Überleben sehen. Sie machen deutlich die Krise der gegenwärtigen Welt sichtbar. Gleich ob die Bedrohung durch Hunger oder durch Krieg verursacht ist, diese Menschen suchen nach Orten, an denen sie leben können.
Im Wirtschaftsseminar 2017 des Ökumenischen Netzes und pax christi-Trier wurde die Reaktion der westlichen Staaten so beschrieben: „Die Antwort auf diese Krise ist ein Ausgrenzungsimperialismus. Statt die Grenzen der kapitalistischen Warenproduktion zur Kenntnis zu nehmen, versucht das System durch gewaltsame Strategien der Ausgrenzung die für den Kapitalismus überflüssigen Menschenmassen in Schach zu hal-ten. Die Flüchtenden werden zum Sicherheitsproblem. Die Grenzsiche-rung wird vorangetrieben, Staaten schotten sich ab. In Afrika sollen Mi-grationszentren begleitet von Auflösung des Rechts entstehen – siehe die Zusammenarbeit mit den Milizen Libyens. Abschiebung ist das Gebot der Stunde. Menschen mit Nutzen für die Gesellschaft werden gefördert, Überflüssige‘ abgeschoben.“
Seit 2015 wird in Deutschland heftig darüber gestritten, wieviel das Land aufnehmen kann und wer bei uns Asyl erhält. Inzwischen setzt die Bundesrepublik und ebenso die EU alles daran, sich vor den Flüchtlingen abzuschotten und diese in großem Maße abzuschieben. Der Migrationsforscher Oltmer sagt im Deutschlandfunk hinsichtlich eines Vergleichs mit der amerikanischen Abschottungspolitik: „Das, was die Europäische Union in diesem Kontext aufgebaut hat, ist zwar keine Mauer, keine Mauer aus Zement, aber es ist eine Mauer aus Verträgen und ist eine Mauer, die im Mittelmeer verläuft.“
Sicherheitspolitik und Sicherheitstechnik haben Konjunktur. Die letzten Reisen von Kanzlerin Merkel in den afrikanischen Raum dienten vor allem dem Zweck, diverse Staaten dafür zu gewinnen, dass sie Ihre Grenzen sichern. Kennzeichnend für die Situation ist ein Prospekt des Presse- und Informationsdienstes der Bundesregierung zum sechzigjährigen Bestehen der Römischen Verträge unter den Begriffen „Chaos? – Chance, Frust? – Frieden, Krise? – Kraft“. Die erste Doppelseite bringt zum Ausdruck, dass in der EU Frieden herrscht; die zweite spricht von den wirtschaftlichen Vorteilen und die dritte sagt: „Wir sichern die Seewege und gehen gegen Schleuser vor“. Eine Landkarte zeigt Länder mit abgeschlossenen —Äthiopien, Niger, Nigeria, Mali und Senegal — und möglichen Migrations-partnerschaften — Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten.
Das Ganze wird vollzogen im Rahmen der Migrationspartnerschaften, die die EU mit den genannten afrikanischen Staaten anstrebt. In einem Bericht des ARD(Karin Bensch 18.01.2017) heißt es dazu: „Die EU gibt afrikanischen Regierungen Geld und Unterstützung, damit sie ihre Staatsbürger von der Flucht nach Europa abhalten, etwa durch mehr Grenzschutz, und Migranten ohne Bleiberecht in der EU wieder zurückzunehmen.“ Und weiter: „Doch es gehe auch um die Entwicklung in den afrikanischen Staaten selbst“, betont Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Die Migrationspartnerschaften dienen einerseits der Unterstützung der Länder, andererseits natürlich auch der Unterstützung von UN-Organisationen." Mit dem Geld sollen keine Mauern gebaut werden, ist aus deutschen Regierungskreisen zu hören. Es gehe vielmehr darum, illegale Migration zu verhindern, durch Grenzschutz, aber auch durch Ausbildungsplätze. Entwicklungshilfe und Migrationspartnerschaft überlappen sich. Ein weiteres Ziel sind schnellere Abschiebungen. Die EU arbeitet bereits an einem Rücknahmeabkommen mit der nigerianischen Regierung. Nigeria soll seine Staatsbürger, die aus Europa abgeschoben werden, wieder aufnehmen und die notwendigen Papiere schneller ausstellen als bislang.“ Das Ziel, Migration zu verhindern, verdeutlicht auch ein Kommentar von Kommissionspräsiden Juncker (18.10.2016): „Der heutige erste Fortschrittsbericht zeigt, dass der neue Ansatz wirkt, im Interesse beider Seiten, der EU und ihrer Partner. Nun geht es darum, unsere Anstrengungen zu erhöhen und dauerhafte Änderungen beim Umgang mit Mobilität und Migration mit unseren afrikanischen Partnern und Nachbarstaaten zu erreichen“.
Auch wenn von Angela Merkel betont wird, dass es bei der Mittel-verteilung keine Verschiebung zwischen Sicherheit und Entwicklung geben solle, sprechen die Berichte von ihren Besuchen in Mali, Niger und Äthiopien eine andere Sprache. „Auf der Agenda von Merkel stand (in Mali) die Kohärenz von Entwicklung und Sicherheit in Gestalt der UN-Friedensmission MINUSMA, an der sich Deutschland mit 650 Soldaten beteiligt, ebenso wie an den beiden EU-Ausbildungsmissionen für die malische Armee und Polizei. Merkel hob speziell den deutschen Beitrag zur Unterstützung im Bereich Polizeiausbildung hervor, "… die gerade auch der Grenzsicherung dienen soll, um gegen Schmuggel vorzugehen – sei es Drogenschmuggel, sei es aber auch die illegale Migration". Ähnlich zu den Vereinbarungen in Niger: „Hier versprach Merkel, Deutschland werde im nächsten Jahr zehn Millionen Euro einsetzen, um die nigrischen Sicherheitskräfte mit Fahrzeugen und Kommunikations-technik bei der Bekämpfung illegaler Migration zu unterstützen.“ Zum Besuch des nigerianischen Präsidenten Buhari in Berlin hieß es: „Bei der geplanten Migrationspartnerschaft mit Nigeria gehe es um die Bekämp-fung der Schlepperkriminalität, um die Schaffung von Zukunftsperspek-tiven für junge Menschen in Form von Trainings- und Ausbildungsmög-lichkeiten in Nigeria und um ein Rückführungsabkommen für abgelehnte Asylbewerber.“ Auch die jüngste Reise der Bundeskanzlerin nach Ägyp-ten und Tunesien war von den Schwerpunkten der Verhinderung von Flucht über das Mittelmeer und der Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern bestimmt.
Auch wenn Projekte der Entwicklungshilfe in diesen Ländern geplant sind, ist das vorrangige Ziel der europäischen und deutschen Politik, wie schon bei den Verhandlungen mit der Türkei, die Fluchtwege abzuschneiden, wie Journalisten der taz nach ihren Recherchen zur neuen Flüchtlings-politik der EU feststellen. Ihr Fazit lautet: Statt Demokratie und Menschen-rechten mache die EU künftig Grenzsicherung zum Hauptförderkriterium für Afrika. Auf der Agenda stehen angefangen von biometrischen Dokumenten (Personalausweise gekoppelt mit einer Visa- oder Master-Card) bis hin zu hochtechnologischen Grenzsicherungen. Diese Maßnah-men erweisen sich als Konjunkturprogramm für die entsprechenden (Rüstungs)Firmen. Hören wir noch mal zusammenfassend Kommissions-präsident Juncker, der die umfangreichen Investitionspläne der EU in den Zusammenhang mit der Bekämpfung der Fluchtursachen stellt. „Wenn all dies klappt und wenn wir zügig weiterkommen, wird es uns auch gelingen, zu einem funktionierendem Schengen- und Dublin-System zurückzu-kehren.“ Erinnern wir uns, mit diesem System wurden hohe Hürden für das Asyl geschaffen. Der Migrationsforscher Oltmer weist daraufhin, dass diese Strategie der Externalisierung, die dafür sorgen soll, dass möglichst wenig Menschen Europa erreichen, schon seit den neunziger Jahren maßgebend ist. Er stellt fest: „Externalisierung ist nicht nur in gewisser Weise Weghalten von Schutzsuchenden, sondern es ist auch eine Strategie – ein Stück weit scheint es ja zu funktionieren –, dieses Thema einfach schlichtweg auch aus der Diskussion in Europa zu holen.“
Hören wir dazu eine Stimme aus Marokko. Mohamed Talbi von der Hilfsorganisation ABCDS äußert: „Marokko ist zu einem Gendarm der EU geworden" So wie damals Gaddafi in Libyen oder Ben Ali in Tunesien. Die EU heuchelt eine Migrationspolitik vor, dabei unterstützt sie repressive und häufig auch rassistische Maßnahmen in den Staaten des Südens, um Migranten abzuschrecken. Die Migranten, die einfach nur ein besseres Leben suchen und hier sozusagen stecken bleiben, werden hier miss-handelt. Das nimmt die EU in Kauf. Genauso, wie sie Kauf nimmt, dass je-des Jahr tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken. Es gibt in Marokko eine aktive Zivilgesellschaft, die sich dem entgegenstellt. Aber der Weg zum Schutz der Migranten und Flüchtlinge ist noch weit. Sehr weit."
Diese Politik der Externalisierung führt dazu, das Menschen dem Tod auf der Flucht überantwortet oder mehr oder weniger recht- und schutzlos in Lager(unter welcher Bezeichnung auch immer) eingesperrt werden. Der Eifer der Regierenden richtet sich darauf, die Flüchtenden fern zu halten. Da entdeckt man dann in einem Land wie Afghanistan sichere Regionen und das Elend in griechischen Internierungslagern wird nicht wahr-genommen. Der Ausnahmezustand rechtfertigt (fast) alles. Wenn die Dramen nicht mehr in Europa stattfinden, kann man sich die Suche nach tieferen Ursachen, angefangen von der EU-Handelspolitik über die Ausbeutung der Bodenschätze afrikanischer Staaten bis hin zur Systemlogik unseres Wirtschaftssystems, sparen. Man kann sich der Illusion hingeben, dass das alles zu schaffen ist, ohne dass man selbst nass wird, dass man alles regeln kann, ohne etwas grundlegend zu ändern. Erklärung der Bistumsstelle Trier
„Wir schaffen das!“
Unter diesem Titel veranstalteten das Ökumenische Netz Rhein-Mosel-Saar, die Bistumsstelle Trier und die Globalisierungskommission von pax christi in Kooperation mit der katholischen Erwachsenenbildung (KEB Westeifel) ein Seminar zu Flucht und Migration. Der Untertitel „Mit Aus-grenzungsimperialismus und Ausnahmezustand gegen die Flüchtlinge“ dokumentierte schon die Blickrichtung. Eine Darstellung des Journalisten Georg Restle, die vor kurzem erschien (Monitor vom 19.01.), dokumentiert Kernpunkte der Diskussion. Es heißt in dem Beitrag: „Flüchtlingsdeal mit Libyen: Brutale Milizen als Partner Europas“: „Obergrenzen, Ab-schiebehaft, sichere Herkunftsländer. Die Flüchtlingsdebatte kannte in den letzten Wochen nur noch eine Richtung: Hauptsache raus! Worüber wir kaum noch sprechen, der grausame Tod tausender Menschen im Mittelmeer. Erst letzte Woche starben wieder Hunderte vor der Küste Libyens. Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl einen traurigen Höhepunkt - mehr als 4.000 Menschen wurden 2016 auf der Flucht im Mittelmeer geborgen. Um den Fluchtweg Libyen zu blockieren, ist der Kanzlerin und der Europäischen Union jetzt offenbar jedes Mittel Recht - sogar ein Deal mit hochkriminellen Vereinigungen...“
Seitdem immer mehr Flüchtlinge Deutschland erreicht haben, scheinen zwei Blickrichtungen im Vordergrund zu stehen: die „Willkommenskultur“ und der Fremdenhass. Beides sind unmittelbare, aber gegensätzliche Reaktionen im Blick auf die Ankommenden. Ein Teil der Bevölkerung will helfen, ein anderer fühlt sich bedroht, ist anfällig für rechtsextreme Parolen und geht im schlimmsten Fall mit Gewalt gegen Flücht-lingsunterkünfte vor. Selbstverständlich wurde die Notwendigkeit der Hilfe bejaht, aber im Seminar ging es vorrangig nicht um diese unmittelbaren Reaktionen, sondern um den Entstehungszusammenhang der Flucht-ursachen, der leider auch häufig von Helfern und Helferinnen nicht reflektiert wird.
Dazu wurden vier Aspekte dargestellt und diskutiert:
1. Das kapitalistische System steckt in einer Krise, die es nicht mehr lösen kann. Die kapitalistische Konkurrenz zwingt dazu, Arbeit durch Techno-logie zu ersetzen. Damit untergräbt es seine eigenen Grundlagen, weil nur über die Verausgabung von Arbeit Wert und Mehrwert produziert werden können. Zugleich werden immer mehr Menschen für die kapitalistische Produktion überflüssig, weil ihre Arbeitskraft nicht verwertbar ist. Ohne Arbeit können Menschen im Kapitalismus ihr Leben nicht sichern. Hier liegt der entscheidende Grund dafür, dass Menschen in die Regionen fliehen, in denen das noch möglich erscheint.
2. Die Antwort auf diese Krise ist ein Ausgrenzungsimperialismus. Statt die Grenzen der kapitalistischen Warenproduktion zur Kenntnis zu nehmen, versucht das System durch gewaltsame Strategien der Ausgrenzung die für den Kapitalismus überflüssigen Menschenmassen in Schach zu halten. Die Flüchtenden werden zum Sicherheitsproblem. Die Grenz-sicherung wird vorangetrieben, Staaten schotten sich ab. In Afrika sollen Migrationszentren begleitet von Auflösung des Rechts entstehen – siehe die Zusammenarbeit mit den Milizen Libyens. Abschiebung ist das Gebot der Stunde. Menschen mit Nutzen für die Gesellschaft werden gefördert, ‚Überflüssige‘ abgeschoben.
3. Der Ausgrenzungsimperialismus geht einher mit immer neuen Situ-ationen des Ausnahmezustandes. Dies macht offenkundig, was sonst in den Regeln und Rechtsnormen verborgen ist. Wird der Ausnahme-zustand geschaffen, wird das Leben recht- und schutzlos. Menschen werden auf „nacktes Leben“ reduziert, er wird – wie der italienische Rechtsphilosoph Giorgio Agamben auf der Grundlage einer altrömischen Rechtsfigur analysiert zum „homo sacer“ (bezeichnet). Schutz- und rechtlos kann er im Mittelmeer ertrinken oder unter den Maßnahmen der Internierung leiden – für Agamben wird das Lager zum Kennzeichen der Moderne. Eine Rechtsentscheidung des Souveräns hat ihn vogelfrei gemacht und dadurch rechtlich sowohl aus- wie auch gleichzeitig einge-schlossen – in den globalen Kapitalismus.
4. Hier zeigt sich das Vernichtungspotential des kapitalistischen Systems. Es entzieht allen, die nicht nützlich sind, die Lebensgrundlagen. Ein System, das auf der abstrakten Vermehrung des Geldes beruht läuft perspektivlos ins Leere. In der Krise lässt sich diese Leere ideologisch aufladen z.B. mit Nation, Rassismus, Antisemitismus etc. Die Fremden bieten die Projektionsfläche für gefühlte Bedrohung und bieten sich als Zielscheibe der gewaltsamen Affekte an. In einer Gesellschaft, die unter der Maßgabe der Konkurrenz ein narzisstisches Subjekt hervorbringt, wurde gleichzeitig die Ermöglichung von Zuwendung, Solidarität und Reflexionsfähigkeit über die Lage der Welt erheblich zurückgedrängt. Letztere erfordert eine Distanz, die ein Narzisst kaum aufbringen kann.
Eine ausführliche Darstellung der ökonomischen und gesellschaftlichen Zustände Nigerias beleuchtete die obigen Überlegungen auf dem Hintergrund eines gespaltenen und zerfallenden Staates.
Wenn der Titel des Seminars die Formulierung „Wir schaffen das“ aufgenommen hat, haben die Überlegungen das Gegenteil nahe gelegt. Wir in Deutschland können und müssen Flüchtlinge aufnehmen, aber angesichts des krisenhaften Verlaufs des Systems kann das nicht verhindern, dass sich deren Zahl potenziert. Das Leben von Menschen und die Schöpfung als Grundlage des Lebens können nur gesichert werden, wenn der Kapitalismus und seine alles vernichtende Leere überwunden wird.
Der Gottesdienst mit seinen biblischen Texten, besonders mit einer Peri-kope aus dem 1. Korintherbrief, eröffnete noch einmal einen neuen Zugang zu den Inhalten des Seminars. Es heißt dort im Vers 28: „Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt; das was nichts ist, um das was etwas ist, zu vernichten.“ Wir müssen wohl so übersetzen: Der Recht- und Schutzlose ist von Gott erwählt. Von ihm her zu denken, führt mitten hinein in die Kritik eines Systems, das mit den für den Kapitalismus Überflüssigen schutz- und rechtlose Menschen schafft. „Wir schaffen das!“
Afghanen brauchen eine Perspektive
Dr. Matin Baraki
Der hier abgedruckte Beitrag von Dr. Baraki verdeutlicht, dass die Perspektiven auf die Flüchtlinge aus Afghanistan unterschiedliche Aspekte in den Mittelpunkt stellen können. Innerhalb der Friedens-bewegung werden die Chancen der Geflüchteten, in Afghanistan einigermaßen sicher leben zu können, in den Mittelpunkt gerückt. In dem nachfolgenden Artikel wird von der Zukunft des Landes und dem Beitrag, den die Menschen Afghanistans dazu leisten können, argumentiert. Am Beispiel von Kabul zeigt sich das dann konkret. Blickt man auf die dortigen Attentate, gibt es nur eine geringe Sicherheit für die Menschen, auch wenn dort keine Kämpfe stattfinden. Dr. Baraki legt aber den Schwerpunkt nicht auf die Möglichkeit des Abschiebens, sondern auf die Förderung der geflüchteten Afghanen(A.H.)
Flucht ist in der afghanischen Geschichte ein neues Phänomen. Erst als 1973 die Monarchie gestürzt wurde, kam es zu Flüchtlingsströmen nach Pakistan. Nach der Machtübernahme der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) 1978 verließen auch viele Fachkräfte das Land. Mit der sowjetischen Intervention 1979 flohen etwa drei Millionen Menschen nach Pakistan, zwei Millionen nach Iran und weitere 100 000 nach Indien, nach Europa und nach Übersee. Nach dem Abzug der sowjetischen Trup-pen 1989 wurde der Bürgerkrieg fortgesetzt, und es kam zu neuen Flücht-lingswellen. Bis zur Kapitulation der DVPA-Regierung 1992 stellten die Afghanen mit 38 % der weltweiten Flüchtlinge die größte Gruppe. Als die Islamisten 1992 in Kabul ans Ruder kamen, setzten sie den Krieg gegen-einander fort. Dadurch vergrößerte sich die Zahl der Flüchtlinge weiter und setzte sich auch unter dem Taliban-Regime ab 1996 fort. Anfang der 80er Jahre gelangten meist Angehörige der Oberschicht nach Europa und in die USA. 1980 flohen 5500 Personen nach Deutschland. Mit der Einführung einer Visumspflicht für Deutschland 1987 wurde die Einreise zwar erschwert, dennoch zählte Afghanistan weiterhin zu den zehn Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen. Als 1989 die sowjetischen Truppen das Land verließen, stieg die Anzahl der nach Deutschland flüchtenden Afghanen wieder an, diesmal waren es Anhänger der DVPA-Regierung.
Seit den 80er Jahren erhielten in die Bundesrepublik eingereiste Flücht-linge aus Afghanistan problemlos Asyl. So lag die Anerkennungsquote zwischen 1984 und 1986 zwischen 61 und 72 %. Die Einführung der Visumspflicht 1987 und der Verweis auf innerstaatliche Fluchtalternativen führten zu einem Rückgang der Antragstellungen. Die Anerkennungs-quote sank infolgedessen 1987 auf 15 %. In den 90er Jahren war vor allem die Definition der „staatlichen Verfolgung“ und ihr Fehlen der Hauptgrund für die Ablehnung vieler von Afghanen gestellter Asylanträge. Auch die unter dem seit 1996 herrschenden Taliban-Regime einsetzende Verfolgung wurde bis 2001 von deutschen Behörden nicht als staatliche Verfolgung anerkannt. Eine Einschränkung des Rechts auf Asyl war 1993 vorgenommen worden. Seitdem gilt die „Drittstaatenregelung“, die besagt, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag in dem Land stellen müssen, das sie als erstes erreichen. Ende der 90er Jahre gingen die Anerkennungsquoten immer weiter zurück, von 3,7 % (1998) über 2,6 % (1999) auf 0,9 % im Jahr 2000. Im Frühsommer 2001 erging ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Verfolgung durch die Taliban als quasi-staatliche Verfolgung de-finierte. Infolgedessen stieg die Anerkennungsquote 2001 wieder auf 60 % an. Diese Praxis kam durch den Zusammenbruch des Taliban-Regimes im Oktober 2001 und den NATO-Militäreinsatz in Afghanistan zum Erliegen. Allerdings erhielten 20 bis 30 % der ca. 90 000 in der Bundesrepublik lebenden Afghanen eine Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen.
Ab 2003 verstärkte sich die Rückführung afghanischer Flüchtlinge. Aus Iran und Pakistan kehrten 2005 freiwillig 750 800 Personen nach Afghanistan zurück. Auch einige Bundesländer hatten bereits mit Abschiebungen begonnen. Von der Innenministerkonferenz wurden 2004 Grundsätze zur Rückführung beschlossen, nach denen Personen zurückkehren sollten, die wegen Straftaten verurteilt wurden, gegen die Ausweisungsgründe vorliegen oder die eine Gefährdung für die innere Sicherheit Deutschlands darstellen. Die Notwendigkeit der Rückführungen wurde auch mit der allgemein sicheren Lage in Afghanistan durch die NATO-Präsenz und durch die neue Regierung begründet. Darüber hinaus wurde auf den Bedarf an gut ausgebildeten Afghanen für den Wiederaufbau des Landes hingewiesen. Mit Verweis auf die Rückkehr-förderungsprogramme der International Organization for Migration (IOM) wurde die Rückkehr nach Afghanistan als erfolgsversprechend charak-terisiert. Auch die afghanische Administration war an qualifizierten Bürgern aus der Diaspora interessiert.
Bis zur Änderung des Aufenthaltsrechts 2005 wurde als asylrelevante Verfolgung nur die staatliche Verfolgung anerkannt. Seit Anfang dieses Jahres konnte explizit auch Asyl erteilt werden, wenn eine Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren ausging.
Während 2012 insgesamt 26 250 Afghanen in Deutschland Asylanträge stellten, darunter 5675 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, schnellte die Gesamtzahl auf 154 000 im Jahr 2015. Im vergangenen Jahr machten die afghanischen Jugendlichen 47 % aller minderjährigen Asylbewerber aus.
Für die deutschen Besatzer haben bis zu 3000 Afghanen im Auftrage des Auswärtigen Amtes, der Bundeswehr und des Bundesinnenministeriums gearbeitet. „Wir waren Ohren und Augen der Deutschen“, sagte Abdul Sakhizada, der für die Bundeswehr tätig war. Darüber hinaus habe er auch bei Freunden und Nachbarn Informationen für die Bundeswehr gesammelt. Diese „Ohren und Augen“ der Deutschen werden von der afghanischen Bevölkerung als Spione, Kollaborateure und Vaterlands-verräter angesehen. Inzwischen sind sie fast alle in die BRD gebracht worden. Die Kabuler Administration war dagegen, weil sie als gutausgebildete Fachkräfte beim Wiederaufbau gebraucht würden.
Im Oktober 2016 hat die EU ein Abkommen mit Afghanistan geschlossen. Das Land wird stärker finanziell unterstützt, soll im Gegenzug aber Flücht-linge zurücknehmen. Es ist geplant, 80 000 Afghanen abzuschieben. Auch die Bundesregierung hat ein Rücknahmeabkommen mit Kabul geschlos-sen. Zurzeit sind 12 539 Afghanen ausreisepflichtig, davon verfügen 11 543 über eine Duldung. Aktuell haben von den 247 000 in Deutschland lebenden Afghanen 6,6 % ein unbefristetes, ca. 23 % ein befristetes Aufenthaltsrecht, und 22 % waren geduldet. Bis September 2016 wurden 27 und am 15. Dezember weitere 34 Afghanen in ihr Heimatland abge-schoben. Unter ihnen waren etwa ein Drittel Straftäter, verurteilt wegen Diebstahls, Raubes, Drogendelikten, Vergewaltigung oder Totschlags.
Man sollte das Problem realistisch und auch aus der Perspektive Afgha-nistans analysieren. Die Grenze für alle Afghanen zu öffnen, kann weder für das Gastland noch für Afghanistan eine Alternative sein. Wäre die allgemeine unsichere Lage am Hindukusch alleiniger Maßstab, müssten ca. 80 % der Afghanen hierher geholt werden. Darüber hinaus sind seit der Grenzöffnung im September 2015 jene Afghanen eingereist, die zwischen 6000 und 160 000 Dollar für ihre Einreise nach Deutschland bezahlen konnten. Hält dieser Prozess an, verbleiben am Hindukusch die Armen, Alten, Kranken, Ungebildeten, Warlords, Kriegsverbrecher, Drogenhändler, die Islamisten und eine weitgehend korrupte Adminis-tration. So ein Land hat auf unabsehbare Zeit keine Zukunft.
Ist Afghanistan ein sicheres Land, wie einige westeuropäische Regierun-gen behaupten?
Diese Frage kann man nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantworten. Denn, zum einen ist Sicherheit relativ, und zum anderen kommt es darauf an, wie man Sicherheit definiert.
In Afghanistan gibt es im Allgemeinen keine absolute Sicherheit und zwar für niemanden. Ist man gerade am falschen Ort zu einer falschen Zeit, kann man Opfer einer militärischen Auseinandersetzung oder Opfer eines Selbstmordattentates werden. Ziele des Widerstands sind in der Regel militärische und polizeiliche oder mit dem Militär in Verbindung stehende Objekte. So gesehen ist Afghanistan kein sicheres Land.
Aber es gibt Provinzen, wie Bamyan (Zentralafghanistan), Herat (im Westen), Panjschir (nördlich von Kabul), Masar-e Scharif (im Norden) und die Hauptstand Kabul, um nur einige Regionen zu nennten, wo keine militärischen Auseinandersetzungen stattfinden. Dort kann man jeweils von einer sicheren Region sprechen.
Aber was bedeutet diese Sicherheit für einen afghanischen Staatsbürger, der aus dem Osten stammt, den eine europäische Regierung in die westafghanische Stadt Herat oder nach Kabul abzuschieben beab-sichtigt? Man könnte mit Fug und Recht sagen, er ist dann faktisch nur auf sich gestellt und damit sozusagen vogelfrei. Ihm kann alles passieren. Afghanistan ist ein Land mit starker sozialer und familiärer Bindung. Ohne diese Bindung gibt es faktisch kaum Sicherheit, vor allem für allein stehende Personen. Solche Menschen können auch Opfer von kriminellen Personen bzw. Gruppen werden. Oder wenn sie keine andere Möglichkeit für sich sehen, um zu überleben, können sie sich als Söldner bei der einen oder anderen Gruppe anbieten.
Nicht abschieben, sondern ausbilden, wäre die bessere Alternative. Selbst von der Ausweisung bedrohte junge Menschen sollten im Rahmen der Entwicklungspolitik eine Fachausbildung nach den afghanischen Arbeitsmarktbedürfnissen erhalten, um sich anschließend mit 20 000 Euro ausgestattet, projektgebunden in Zusammenarbeit mit einer der 6000 am Hindukusch tätigen NGOs in Afghanistan eine Existenz aufzubauen. Das wäre sowohl für Europa als auch für Afghanistan von nachhaltigem Nutzen.
Büchel 2017
Im Jahr 2017 werden entscheidende Weichen bei der Entwicklung und Verbreitung der Atomwaffen gestellt. Am 27.März begannen in New York Verhandlungen der Vereinten Nationen (UNO) über das weltweite Verbot von Atomwaffen. Die Verhandlungen wurden durch eine Resolution in der Generalversammlung der UNO im vergangenen Jahr ermöglicht. Diese Resolution haben Österreich, Brasilien, Irland, Mexiko, Nigeria und Süd-afrika eingebracht. Dahinter steckt eine größere Bewegung, die schon seit mehreren Jahren gewachsen ist. Einerseits auf Regierungsseite wird sie getragen durch atomwaffenfreie Staaten, die seit 2013 mehrere interna-tionale Konferenzen zu den humanitären Auswirkung von Atomwaffen, zur Krisenreaktion in solchen Fällen und zur Frage der völkerrechtlichen Regelungen von Atomwaffen veranstaltet haben. Die atomwaffenfreien Staaten sind bei diesen Konferenzen zu dem Schluss gekommen, dass nicht nur die Atomwaffenstaaten selber von den Auswirkungen betroffen wären und dass es keine angemessenen Krisenreaktionsmechanismen gibt. Atomwaffen sind aus ihrer Sicht mit dem humanitären Völkerrecht nicht vereinbar und es besteht für sie deshalb dringender Handlungs-bedarf, hier eine völkerrechtliche Lücke zu schließen, um Atomwaffen als letzte noch nicht verbotene Massenvernichtungswaffen zu ächten. Auf der anderen Seite werden sie von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis unterstützt.
Die deutsche Bundesregierung hat es abgelehnt, an diesen Verhandlun-gen teilzunehmen. Dies wird von Friedens- und Abrüstungsinitiativen scharf kritisiert.
Nach der ersten Verhandlungsrunde rückt ein internationales Verbot von Atomwaffen in greifbare Nähe. Der erste offizielle Vertragsentwurf wurde inzwischen bei den Vereinten Nationen in Genf veröffentlicht. Die Friedensorganisationen ICAN und IPPNW Deutschland bewerten das Dokument als Fortschritt auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt. „Der Entwurf ist eine gute Grundlage für die Verhandlungen im Juni und Juli“, erklärt Xanthe Hall von der Internationalen Kampagne zur Abschaf-fung von Atomwaffen (ICAN). „Wir hoffen, dass am Ende der Konferenz ein starkes Abkommen beschlossen wird.“ Sollten sich die rund 130 Staaten nicht einigen, wird es noch eine weitere Verhandlungsrunde geben.
Laut dem Entwurf würden sich die Unterzeichnerstaaten verpflichten, unter keinen Umständen Atomwaffen zu entwickeln, herzustellen, ander-weitig zu beschaffen, zu besitzen oder zu lagern. Auch der Transfer sowie die Weitergabe der Verfügungsgewalt werden umfassend verboten, sodass auch die nukleare Teilhabe innerhalb der NATO nicht vertrags-konform wäre. Der Einsatz von Atomwaffen wird ebenfalls untersagt. Zudem dürfen die Vertragsparteien keiner anderen Partei helfen, diese verbotenen Aktivitäten durchzuführen.
Für Deutschland ist insbesondere Absatz 2a des Artikels 1 wichtig, wonach jegliche Stationierung von Atomwaffen untersagt wird. Diese Bestimmung bedeutet, dass die US-Atomwaffen in Büchel abgezogen werden müssen, bevor Deutschland unterzeichnen kann.
Der Friedensforscher Sascha Hach kommentiert bei Telepolis die Erwar-tungen an die Verhandlungen folgendermaßen: „Zum einen würde es einen Gegenpol zur aktuellen Debatte schaffen. Denn momentan geht es ja stark in Richtung Aufrüstung und Modernisierung. Die Atomwaffen-staaten fahren die Investitionen rauf, aber auch die Rhetorik, auch die Drohung mit ihren Atomwaffenarsenalen. Das heißt, wenn es die anderen Staaten schaffen, einen Ächtungsvertrag zu beschließen, dann zeigen sie in dieser Debatte um Atomwaffen nochmal in eine ganz andere Richtung. Und können damit auch die aktuelle Aufrüstungs- und Eskalationsdyna-mik bremsen. Das ist unsere Erwartung. Darüber hinaus ist so eine völ-kerrechtliche Ächtungsnorm hilfreich, um diplomatischen und politischen Druck für nukleare Abrüstung auszuüben. Das heißt, die Atomwaffen-staaten, wenn sie nicht beim Vertrag dabei sind, davon gehen wir jetzt mal aus, wären als solche delegitimiert. Wenn eine UN-Konferenz einen Verbotsvertrag macht, dann ist das natürlich ein spürbarer Angriff auf die Reputation und die Legitimität der Atomwaffenstaaten und ihren privilegierten Status.“
Juristen von IALANA fordern ebenfalls ein Atomwaffenverbot ein: „Als Juristen unterstreichen wir, dass die Abschaffung von Kernwaffen eine völkerrechtliche Verpflichtung darstellt, die in Artikel VI des Nichtverbrei-tungsvertrages enthalten sowie in der UN-Praxis zu finden ist, zurück-gehend auf die allererste Resolution der Generalversammlung aus dem Jahre 1946. …Wir betonen ebenfalls, dass der Einsatz von Kernwaffen gegenwärtig mit dem die Kriegführung regelnden Humanitären Völker-recht unvereinbar ist. Insbesondere durch ihre unkontrollierbaren Druckwellen-, Hitze-, Feuer- und Strahlungseffekte können Kernwaffen nicht das Erfordernis erfüllen, zwischen Zivilbevölkerung und Kombattan-ten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen zu unter-scheiden. Tatsächlich überschreiten die katastrophalen Folgen des Ein-satzes von Kernwaffen in erheblichem Maße die gewöhnlichen Grenzen bewaffneter Konflikte, haben negative Auswirkungen auf die Bevölke-rung in neutralen Staaten, die für das menschliche Leben erforderliche natürliche Umwelt sowie künftige Generationen. Der Einsatz von Kern-waffen verletzt demgemäß auch Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Leben. Wenn die Anwendung von Gewalt nach UN-Charta oder humanitärem Recht illegal ist, dann ist auch die Androhung der Anwendung solcher Gewalt illegal. Die Kernwaffenstaaten lehnen jedoch die Anerkennung dieser offenkundigen Rechtswahrheiten ab; folglich besteht die Notwendigkeit, die Illegalität des Einsatzes und der Drohung des Einsatzes von Kernwaffen im Rahmen eines globalen Verbots zu kodifizieren.“
Vor diesem Hintergrund hat die Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ eine 20-wöchige Aktionspräsenz vom 26. März bis zum 09. August beschlossen, die auch durch die Modernisierungspläne der dort lagernden Atombomben durch die Regierung der USA und die Haltung der Bundesregierung besonderes Gewicht erhält.
Seit der Auftaktveranstaltung am 26.03. haben unterschiedliche Gruppen und Aktivisten schon in Büchel demonstriert. Besonders der diesjährige Ostermarsch soll durch Wort und Bild dokumentiert werden. In der Rhein-Zeitung heißt es: „Büchel. Es nieselte leicht, es wehte ein frischer Wind und die Temperaturen stiegen nicht über fünf Grad. Doch davon ließen sich die Friedensaktivisten nicht schrecken. Etwas mehr als 200 Teilnehmer waren zum traditionellen Ostermarsch nach Büchel gekommen, um ihre Stimme zu erheben für eine atomwaffenfreie Welt. „Von deutschem Boden soll doch kein Krieg mehr ausgehen. Aber Deutschland ist in viele kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt“, kritisierte Dr. Elke Koller von der Regionalgruppe Cochem-Zell des Internationalen Versöhnungsbundes und verwies auf die boomenden deutschen Rüstungsexporte. Vielleicht weigere sich die Bundesregierung deshalb, an der UN-Konferenz zur Ächtung von Atomwaffen teilzuneh-men. „Helfen wir der Bundesregierung auf die Sprünge. Denn wir wollen nicht länger Atombomben hier haben. Und wenn diese Bundesregierung nicht handelt, dann müssen wir im Herbst eine andere wählen. Denn Atomwaffen gehören abgerüstet, verschrottet und verboten!“, betonte sie.
Kathi Müller, Praktikantin beim Netzwerk Friedenskooperative, berich-tet: „Atomwaffen sind scheiße! – Bei diesem Satz meiner Protestrede bekam ich am Montag in Büchel besonders viel Applaus. Kein Wunder, denn genau aus diesem Grund waren Menschen aus allen Ecken Deutsch-lands in die Eifel gereist. Am Eisregen, den frostigen Temperaturen und dem unverhältnismäßig großen Polizeiaufkommen störte sich niemand der Teilnehmer. Viele kamen trotzdem zum Ostermarsch 2017 in Büchel, um gegen die dort stationierten 20 US-Atomsprengköpfe zu demonstrieren.“ Und weiter: „Trotz des eisigen Wetters war die Stimmung toll. Ältere und junge Leute kamen auf dem Weg zum Tor des Fliegerhorstes ins Gespräch und diskutierten über aktuelle politische Themen, während bunte Fahnen und viele verschiedene Protestbanner an den grauen Stacheldrahtzäunen des streng bewachten Militärstützpunktes vorbeiwehten. Das bunte Fahnenmeer, das sich friedlich und leise an den Militärabsperrungen und Wachposten vorbeibewegte, ließ die Einschüchterungsversuche und Posen der Bundeswehrsoldaten, die sich demonstrativ hinter dem Zaun aufstellten und im Schritttempo mit ihren Riesentrucks neben uns herfuhren, albern und absurd aussehen.“
In der zweiten Hälfte der 20-wöchigen Aktionspräsenz lädt pax christi im Bistum Trier zu einer Friedensandacht mit Bischof Dr. Ackermann am 6. Juli am Bildstock vor dem Gelände des Fliegerhorstes Büchel ein. Dieser hat als Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax unlängst die Bundesregierung für ihre Nichtteilnahme an den UN-Verhandlungen zu einem Atomwaffenverbot kritisiert. Der Bildstock wurde im vergange-nen Jahr errichtet. Er zeigt das Motiv „Christus zerbricht das Gewehr“ und mahnt, dass „Atomwaffen ein Verbrechen an Gott und der Menschheit“ sind. Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, finden in der zweiten Hälfte der Aktionspräsenz bis zum 9. August weitere Aktionen statt wie ein internationales Symposium vor dem Haupttor des Fliegerhorsts, organisiert von der Ärzteorganisation IPPNW, der Besuch einer 12-köpfige Delegation aus den USA zum internationalen Camp nach Büchel oder am 15. Juli ein Aktionstag mit Livemusik mit zahlrei-chen Musikern aus der Region und Konstantin Wecker. Albert Hohmann
Friedensandacht in Büchel
Die Friedensandacht unserer Bistumsstelle mit Bischof Dr. Ackermann und unserem Geistlichen Beirat Horst Peter Rauguth am 06.07. begann vor der Zufahrt zum Fliegerhost in Büchel. Von dort zogen die Versammelten mit Lied und Gebet zur Friedenswiese. Mitgetragen wurde ein Transparent mit dem Konterfei von Papst Franziskus und seiner Mahnung zum diesjährigen Weltfriedenstag, in der es heißt: „Die atomare Abschreckung und die Drohung der gesicherten gegenseitigen Zerstörung können kein Fundament für eine Ethik der Brüderlichkeit und der friedlichen Koexistenz zwischen Menschen und Völkern sein.“
Bei der Andacht wurde dann ein weiteres Zitat von Papst Franziskus verlesen:
„Eine Ethik und ein Recht, die auf der Drohung gegenseitiger Zerstörung – und möglicherweise der Vernichtung der ganzen Menschheit – beruhen, widersprechen dem Geist der Vereinten Nationen.
Daher müssen wir uns für eine Welt ohne Atomwaffen einsetzen, indem wir den Nichtverbreitungsvertrag dem Buchstaben und dem Geist nach gänzlich zur Anwendung bringen. …
Zieht man die Hauptbedrohungen für Frieden und Sicherheit mit ihren vielen Aspekten in dieser multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts in Betracht — wie zum Beispiel Terrorismus, asymmetrische Konflikte, Cyber-Sicherheit, Umweltprobleme, Armut, dann kommen einem nicht wenige Zweifel aufgrund der Unangemessenheit nuklearer Abschreckung als wirksamer Antwort auf diese Herausforderungen. Diese Sorgen werden noch größer, wenn wir an die katastrophalen humanitären und ökologischen Konsequenzen denken, die der Einsatz von Atomwaffen haben würde, mit verheerenden, in Zeit und Raum unkontrollierbaren Folgen für alle. Ähnlichen Grund zur Sorge gibt die Ressourcen-verschwendung für Atomenergie zu militärischen Zwecken, Ressourcen, die stattdessen für angemessenere Prioritäten eingesetzt werden könnten, wie zum Beispiel für die Förderung des Friedens und die ganzheitliche Entwicklung des Menschen wie auch für den Kampf gegen Armut und die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Wir müssen uns auch die Frage stellen, wie nachhaltig eine auf Angst gegründete Stabilität sein kann, insofern sie die Angst noch vergrößert und vertrauensvolle Beziehungen zwischen den Völkern untergräbt.“ (aus Botschaft von Papst Franziskus An die UNO-Konfe-renz zu Verhandlungen über ein Atomwaffen-Verbot vom 23.3.17)
In seiner anschließenden Predigt bezog sich Bischof Ackermann auf diese Aussagen und auch den Text aus dem Johannesevangelium(Joh 14,15-17,26-26). Gerade die Zusage des Geistes Gottes gebe die Hoffnung, dass auch dort, wo Situationen verfahren erscheinen, sich überraschende Auswege auftun. In zentralen Aussagen folgte er dabei auch seiner Presseerklärung von Justitia et Pax unter der Überschrift: „Es ist Zeit, die Gewöhnung an Nuklearwaffen zu überwinden. Gesprächs-verweigerung ist keine Lösung“. Diese wird deshalb hier abgedruckt:
„In diesen Tagen beginnt die zweite UN-Vorbereitungskonferenz für ein Verbot von Nuklearwaffen. Obwohl die Bundesregierung erklärt, das Ziel der Ächtung von Atomwaffen zu teilen, wird sie sich auch an dieser zweiten Verhandlungsrunde nicht beteiligen. Ihr Argument, Deutsch-land verfüge über keine Atomwaffen, kann nicht überzeugen, da die Bundeswehr aufgrund der so genannten nuklearen Teilhabe in das System der atomaren Abschreckung eingebunden ist. Die Regierung schwächt mit ihrem Fernbleiben ihre Glaubwürdigkeit in Fragen nuklearer Abrüstung und die Verhandlungen im Zusammenhang der humanitären Initiative gegen Nuklearproliferation.
Die katholische Bischofskonferenz hat in ihrem Hirtenwort „Gerechtig-keit schafft Frieden“ in der Zeit des Ost/Westkonflikts die nukleare Abschreckung im Sinne einer Art Notstandsethik unter dem Vorbehalt für moralisch verantwortbar erklärt, dass alle Anstrengungen unternommen werden, auf Atomwaffen verzichten zu können. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde deren Zahl zwar tatsächlich deutlich verringert, gleichzeitig jedoch wurden neue Waffen mit größerer Einsatzfähigkeit entwickelt und die vorhandenen Arsenale in jüngster Zeit moder-nisiert. Die Proliferationsrisiken sind mit der Miniaturisierung der Atomwaffen zusätzlich gestiegen. Die bekannten Risiken der atoma-ren Abschreckung zeigen sich gegenwärtig erneut deutlich im Zusammenhang der Krise in den Beziehungen zwischen Nordkorea und Südkorea sowie den USA. Die Frist, die uns ohne einen Unfall mit Atomwaffen, einen nuklearen Konflikt oder Atomwaffen in Händen von Terroristen gegeben wurde, dauert nicht ewig und muss dringend zum Aufbau einer internationalen Sicherheitsarchitektur genutzt werden, die ohne Atomwaffen auskommt. Es ist höchste Zeit, die weithin eingetretene Gewöhnung an diese moralisch bedenkliche und gefährliche Form der Friedenssicherung zu überwinden.
Wir sehen in der bevorstehenden Konferenz einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung und fordern die Bundesregierung auf, sich entschiedener als bisher in diesem Prozess zu engagieren. Wir sind uns der Schwierigkeiten bewusst, die sich auf dem Weg zu einer weltweiten Ächtung der Atomwaffen stellen. Wir wiederholen aber, dass die Akzeptanz der Atomwaffen moralisch und sachlich nur so lange zu verantworten ist, als ernsthaft darauf hingewirkt wird, sie gänzlich aus der Sicherheitspolitik zu verbannen.“
„Krieg beginnt hier- Widerstand dagegen auch“
Die Kampagne ist in diesem Jahr wiederum durch Aktionen und Informa-tionen präsent. Bei den Informationsveranstaltungen richtete sich der Blick mehrfach auf die Bundeswehr, z.B. auf das neue Weißbuch. Die Aktionen erstrecken sich von den Ostermärschen bis hin zum Antikriegs-tag. Der Start war die Protestaktion „Krieg beginnt hier — Stoppt den Rüstungs-Diehl“.
Im Aufruf zu der Protestaktion am 25.03. in Mariahütte wird folgendes zur Firma Diehl gesagt: „Diehl ist einer der wichtigsten Rüstungsbetriebe in unserer Region. Diehl BGT Defence fertigt an den Standorten der ehemaligen Diehl Munitionssysteme in Braunshausen (Nonnweiler) und Röthenbach an der Pegnitz Anzündmittel, Mittel-, Großkaliber- und Pioniermunition, sowie pyrotechnische Nebelmunition. Am Standort in Überlingen werden Flugkörperkomponenten wie Suchköpfe und Steuereinheiten gefertigt. 2012 machte Diehl Defense mit 3.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 611 Mio. EUR.“
Waltraud Andruet gibt dazu folgenden kurzen Bericht :
Bei herrlichem Sonnenschein traf sich am Samstag den 25. März eine kleine Gruppe engagierter Menschen (9 Personen und 1 Hund) vom FriedensNetz Saar und pax christi Trier vor dem Werkstor der Firma Diehl in Mariahütte/Nonnweiler um eine Mahnwache abzuhalten.
Erst einmal galt es, die Polizei, die bei unserer Ankunft schon vor Ort war, davon zu überzeugen, dass wir diese Mahnwache vor dem Eingang der Firma Diehl abhalten durften. Aus der Anmeldung ging dies nicht klar hervor. Da sowohl mit der Firma Diehl als auch mit der Ortspolizeibehör-de 2 mögliche Standorte für diese Mahnwache abgesprochen waren, ließ die Polizei uns gewähren.
Ein Fotograf der Saarbrücker Zeitung schoss ein Pressebild von uns, das irgendwann veröffentlicht wird.
Während der Mahnwache fuhr ein Auto vor, aus dem ein Mann ausstieg. Dieser ging mit raschen Schritten auf den älteren Mann, der am Rande stand zu, und sprach mit ihm ein paar Sätze.
Wir, die wir mit Bannern und Fahnen auf der Straße standen, konnten noch verstehen wie er sagte „Da arbeiten schließlich 350 Menschen, ist Ihnen das egal?“ Daraufhin entfernte er sich. Darauf war zu hören: „Das sind Mörder, Mörder sind das.“
Noch besonders zu erwähnen ist dieser ältere Mann, der auf dem Bild zu sehen ist. Mit ihm unterhielten wir uns sehr lange. Es handelte sich um Kurt Baron von Hammerstein, der in dem alten Herrenhaus der Familie Gottbiells wohnt und schon seit vielen Jahren gegen die Firma Diehl prozessiert. Nach eigener Aussage hat er dafür sein ganzes Vermögen ausgegeben.
Hans-Magnus Enzensberger hat in seinem Buch. „ Hammerstein oder Der Eigensinn“, die sehr interessante Geschichte der Familie Hammerstein niedergeschrieben. Kurt Baron von Hammerstein ist ein hochgebildeter Mann mit umfangreichem Insiderwissen. Allein für diese Bekanntschaft hätte sich die Kundgebung schon gelohnt.
Soweit die Geschichte von der Kundgebung.
Öffentliches Gelöbnis
Im Rahmen der diesjährigen Veranstaltungen der Kampagne „Der Krieg beginnt hier“ gab es deutlichen Protest gegen das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr am 24. Mai 2017 in den Trierer Kaiserthermen.
Die Kampagne konnte das Bundeswehrgelöbnis in Trier nicht als ver-meintlich harmlosen Akt der Vereidigung sehen, sondern wies darauf hin, dass es direkt und indirekt steht für:
· das Anwerben von Jugendlichen für den Militärdienst
· eine zunehmende Militarisierung der deutschen und europäischen Außenpolitik
· das Verwenden von Steuergeldern für das Militär, für Rüstung und Krieg, während für Bildung, Soziales, Umweltschutz und Infrastruktur das Geld fehlt.
Im Trierischen Volksfreund vom 24.05.2017 wurde die Kritik der CDU an den Protesten gegen das öffentliche Gelöbnis der Rekruten veröffentlicht. In der Darstellung des TV wird der stellvertretende Kreisvorsitzende folgendermaßen zitiert: „Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Umso mehr stehen wir als CDU Trier dankbar und solidarisch hinter unseren Soldaten und deren Angehörigen.“
Wie die Kampagne „Krieg beginnt hier“ kann man durchaus eine Reihe von Aspekten eines solch öffentlichen Gelöbnisses herausstellen. Diese reichen von der unhinterfragten Existenznotwendigkeit der Soldaten über ihre Überhöhung bis hin zum Werbeeffekt.
In einem Schreiben an den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU habe ich drei andere Aspekte in den Vordergrund gestellt. Dort heißt es: „Ich hoffe, die CDU Trier steht hinter den Soldaten – besser noch, stellt sich vor sie – wenn
· sie durch die jeweilige Regierung(an der die CDU oft beteiligt ist) leichtfertig, unter Vortäuschung falscher Tatsachen oder völker-rechtlich mehr als fragwürdig eingesetzt werden;
· wenn sie schikaniert, gedemütigt oder den Launen von Kameraden und dem Machtmissbrauch von Vorgesetzten ausgesetzt werden,
· wenn sie verwundet oder traumatisiert von ihren Einsätzen zurück-kehren und die Hilfe und Unterstützung der Bundeswehr unzu-reichend und bürokratisch ist.“
Unabhängig davon, ob man die Existenz einer Armee für richtig hält oder nicht, wollte ich darin meine Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass es völlig unzureichend ist, sich so allgemein hinter die Soldaten der Bundes-wehr zu stellen. Zu den drei Stichpunkten möchte ich kurze Hinweise geben.
Wenn es Soldaten gibt, geht ein Staat und damit eine Regierung und in der Bundesrepublik auch das Parlament ihnen gegenüber eine besondere Verpflichtung ein, da ihr Einsatz im Krieg oder kriegsähnlichen Situationen nach sich zieht, dass sie töten oder getötet werden, das sie andere verwunden oder selbst verwundet werden. Soldaten müssen sich darauf verlassen können, dass nicht voreilige oder unzureichende Beschlüsse den Einsatz ihres Lebens erfordern. Machtpolitische, bündnispoliti-sche(NATO) oder interessengeleite(Freiheit der Handelswege) Begrün-dungen reichen meines Erachtens dafür bei weitem nicht. Vor allem dürfen die Gründe für den Einsatz nicht vorgetäuscht sein. Schon im Jugoslawienkrieg wurde der Schutz von Menschen als Begründung vorgetäuscht. Und auch der gegenwärtige Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den Terror der IS ist mehr als fragwürdig, da weder ein wirklicher Schutz der dort lebenden Menschen im Vordergrund steht noch offengelegt wird, welches Ziel die Kämpfe dort haben. Die Rede vom Kampf gegen den Terror und Regimewechsel verdecken nur machtpolitisches Pokern. Wer wird eigentlich aus welchen Gründen unterstützt? Der Einsatz in Afghanistan, dessen Sinnhaftigkeit selbst beim Militär umstritten war, erfolgte mehr oder weniger aus Bündnistreue zu den Vereinigten Staaten und nicht zur Verteidigung der Bundesrepublik. Es ist nicht zu erkennen, dass er den Menschen dort gedient hat.
In diesem Jahr ist mehrfach ans Tageslicht gekommen, was junge Menschen manchmal erdulden müssen, wenn sie sich in die Obhut des Militärs begeben. Schikane, sexuelle Übergriffe und menschenverach-tende Initiationsriten wurden aus dem Ausbildungszentrum Pfullendorf beschrieben In Coesfeld wurden bei einem Geisel-und Verhörtraining Rekruten geschlagen, getreten und mit Stromstößen traktiert. In Sondershausen wurden Soldaten mit Plastikmunition beschossen und als „genetischer Abfall“ bezeichnet. Das Prinzip des Befehls und das Training von kämpferischer Stärke öffnen sehr schnell die Tür dazu, sich Menschen gefügig zu machen. Einerseits wird in diesem Zusammenhang ein falscher Korpsgeist kritisiert, andererseits aber soldatische Härte gefordert(so ein Offizier in der FAZ). Allerdings, gerade dieser Anspruch von Härte hat im letzten Krieg auch Soldaten morden lassen. Die Aufdeckungen im Fall eines Oberleutnants, der eine nationalistische und rassistische Masterarbeit abgeliefert hat, offenbart zudem, dass Rekruten — manchmal sind sie noch nicht volljährig — antidemokratischen und menschenverachtenden Ideologien ausgesetzt sein können. Dieser Fall ist nicht singulär. Beispielsweise finden sich rechte Kräfte auch in einflussreicher Stellung in den Streitkräften, beispielsweise an der Münchener Bundeswehr-Universität sowie in deren Umfeld, wie dies exemplarisch ein Vorfall im Jahr 2011 zeigt, als die Studierenden-zeitschrift der Hochschule rechte Thesen verbreitete. Angesichts der diesjährigen Fälle ist ebenfalls deutlich geworden, dass trotz eines Traditionserlasses der Bundeswehr die Traditionen der Wehrmacht teilweise unhinterfragt gepflegt werden.
Während des Einsatzes in Afghanistan wurde deutlich, dass die Bundes-wehr als Institution erst mühsam lernen musste, dass Tod und Trau-matisierung von Soldaten eine sehr professionelle Fürsorge — nicht zuletzt auch nach dem Ausscheiden aus dem Dienst — verlangen. Diese darf nicht im bürokratischen Alltag untergehen. Zunächst einmal fühlten sich viele Betroffene allein gelassen. Vieles ist inzwischen in der Bundes-wehr besser geworden beim Umgang mit PTBS – aber noch immer fehlen Mittel. In Berlin liege die Wartezeit auf ein Bett in seiner Station bei drei Monaten, sagt Zimmermann(Zeit online). "Wenn wir mehr Geld zur Verfügung hätten, dann könnten wir mehr tun." Er zeigt auf das Fenster in seinem Büro. Inzwischen können frühere Bundeswehrangehörige, die an PTBS leiden, wieder eingestellt werden. Dann sind sie finanziell versorgt, bekommen eine freie Heilfürsorge und werden intensiv behandelt. Leider dauere es nach der Diagnose eines Bundeswehrfacharztes oft über zwei Jahre, bis über eine Wiedereingliederung in die Bundeswehr entschieden werde.
Im öffentlichen Gelöbnis verpflichten sich die Soldaten zum besonderen Dienst und zur treuen Pflichterfüllung dem Staat gegenüber. Damit haben sie aber Anspruch darauf, dass dieser seine Verpflichtungen ihnen gegenüber ebenfalls treu erfüllt. Wer zu den Soldaten steht oder sich vor sie stellen will, hat, wie in den kurzen Abschnitten oben angedeutet wurde, hinreichend Gründe, staatliches Handeln gegenüber seinen Soldaten zu hinterfragen, auf die Mängel an Vor- und Fürsorge aufmerk-sam zu machen und deren Behebung zu fordern. Albert Hohmann
Die pax christi-Mitglieder Franz Hassemer und Rudi Kemmer sind seit Jahren führend im christlich-islamischen Gesprächskreis Wittlich tätig und haben aus Sorge über die Entwicklung in der Türkei vor dem Verfassungsreferendum jeweils einen Leserbrief im Trierischen Volksfreund veröffentlicht. Wir drucken beide ab.
Gefährdung der deutsch-türkischen Freundschaft durch die Angriffe Erdogans
Es ist im Grunde unfassbar: ein Staat, der seit mehr als 100 Jahren mit einem anderen Staat befreundet ist, der traditionell gute Beziehungen wirtschaftlicher, kultureller, menschlicher Art zu diesem hatte, der Hundert-tausende Gastarbeiter mit ihren Familien aufnahm und eingliederte, wird vom Oberhaupt dieses anderen Staates seit Monaten beschimpft und verleumdet, und das in einer Weise, wie man es privat nicht hinnehmen würde.
Wie sollen denn nach der Volksabstimmung vom 16. April 2017 diese Beleidigungen und Unterstellungen wieder gut gemacht werden können? Wie soll der Eindruck, dass jeder Türke in Deutschland, der für den Umbau der türkischen Verfassung zu einem Präsidialsystem stimmt, auch den Beleidigungen der deutschen von einer Mehrheit gewählten Regierung seitens Herrn Erdogans zustimmt, verhindert oder vergessen werden?
Es ist ein Jammer, dass auch Erdogan und seine Partei wie so viele Politiker weltweit im Kampf um die Stimmen der Mehrheit nicht beachtet haben: seine Mitmenschen, gleich welcher Farbe, Religion und politischer Meinung, zu achten, und immer als höchsten Wert den Frieden, im Inneren und nach außen, im Auge zu halten.
Franz Joseph Hassemer, Wallscheid
Warnen, nicht provozieren
Zur Berichterstattung über die Türkei und zum Interview mit der Bundes-kanzlerin (TV vom 17. März):
Kern der Aussagen von Angela Merkel ist, dass sie Drohungen von außen nicht für sinnvoll hält, sondern dafür plädiert, dass sich die türkischen Wähler ihre eigene Meinung bilden und frei entscheiden. Dabei sollte klar sein, wofür die EU steht. Diese Einschätzungen möchte ich unterstützen. Dabei ist ein kritischer Punkt, dass vielen Wahlberechtigten für ihr Votum die Loyalität zu momentanen Autoritäten Vorrang hat vor der Frage, was dem türkischen Staat und den Menschen in der Türkei zum Wohl dient.
In den letzten Wochen mache ich im Gespräch mit langjährig in Deutsch-land lebenden Deutschen türkischer Abstammung die irritierende Erfahrung, dass viele ungeachtet der Vorgänge in der Türkei Erdogan und sein Referendum unterstützen, auch mit religiöser Begründung unter Berufung auf Koranverse. Umgekehrt erleben diese Deutschtürken, dass zahlreiche Menschen in ihrem Umfeld „böse" über Erdogans Reden und Verhalten urteilen, aber seine Verdienste und was Türken an ihm schätzen ausblenden. Alle Argumentationsversuche weisen sie ohne inhaltliche Diskussion als Verschwörungen zurück.
Es hat den Anschein, dass sie auch nach vielen Jahren des Lebens in Deutschland wichtige Grundprinzipien unserer Demokratie — Meinungs- und Pressefreiheit, die Unschuldsvermutung gegenüber Terrorverdächtigen, Anspruch (aufgrund von Gefahr im Verzug) Inhaftierter auf unverzüglichen, rechtsstaatlichen Prozess — nicht nachvollziehen. Ich stelle mir nach Jahren christlich-islamischer Gespräche die Frage: Wo haben wir aus falscher Toleranz schwierige Themen und Fragen zurückgestellt, was haben wir übersehen, wo waren wir einseitig?
Unsere freiheitlich-demokratischen Werte werden von uns und den Zuwanderern als selbstverständlich beansprucht. Im Spiegel augenblick-licher Ereignisse und Debatten und angesichts des Agierens von Populisten und Hasspredigern und Wahrheitsverdrehern wird deutlich: Jeder Bürger hat auch die Aufgabe, sich dieser Werte bewusst zu werden und diese zu vertreten und gegebenenfalls als Christ oder Muslim zu seinen religiösen Überzeugungen zu stehen.
Schon vor dem Putschversuch im Juli 2016 hat Präsident Erdogan gegen die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit und die noch gültige Verfas-sung deutlich verstoßen. Uns Deutsche erinnert das an die Anfänge von antidemokratischen Veränderungen nach 1930, die dann zu einer für uns heute kaum noch vorstellbar schlimmen Menschheitskatastrophe führten,
aus der Deutschland sich ohne Hilfe von außen nicht mehr befreien konn-te. Auch weitere Beispiele aus der Geschichte und unserer Gegenwart machen uns sehr skeptisch gegenüber Erdogans Politik und seinem Referendum.
Ich will aus Solidarität mit unseren türkischen Freunden und Mitbürgern mahnen, aber nicht provozieren.
Rudi Kemmer, Wittlich
Auslegungen der Bibel in Gottesdiensten
Ester Fastensonntag 2017
Erste Lesung: Gen 2,7-9; 3,1-7; Hinführung: Die Österliche Bußzeit konfrontiert uns mit der Frage nach Schuld und Erlösung, nach Tod und Leben. Die erste Lesung erzählt, wie sich Adam und Eva verführen lassen, Früchte vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ zu es-sen. Diese Früchte versprechen Macht. Gut ist dann, was im Dienst der Macht steht, böse, was der Macht widerspricht. Wenn Menschen von den Früchten der Macht essen – so die Schlange – werden sie sein „wie Götter“, die über andere herrschen. Israels Gott aber seht in striktem Gegensatz zu „Göttern“, die Herrschaft rechtfertigen und Unterwerfung fordern. In dem menschlichen Versuch, sein zu wollen „wie Götter“, zeigt sich in der Geschichte der Menschheit die zerstö-rerische Macht der Sünde. Sie wird zum Widerspruch gegen Gott.
Zweite Lesung Röm 5,12-19; Hinführung: Die Tat Adams steht für alle Menschen, die sich Götzen der Herrschaft unterwerfen und so Systeme des Todes schaffen. So kann Paulus sagen: Durch Adam kam die Sünde in die Welt. Doch zugleich weist Adam auf den kommenden Messias hin. So macht er deutlich, dass diese Sünde vor Gott nicht das letzte Wort ist. In seinem Messias schenkt Gott der Welt einen Menschen, der den Götzen des Todes widersteht - bis in seinen gewalt-samen Tod am Kreuz der Römer. In der Auferweckung setzt Gott den gekreuzigten Messias ins Recht. Die Gerechtigkeit, die er diesem einen widerfahren lässt, soll für alle Wirklichkeit werden, die eingeschlossen sind in die Macht der Sünde, die Unrecht und Gewalt, Unmenschlichkeit und Tod schafft.
Evangelium: Mt 4,1-11 Auslegung (Heri Böttcher)
„Kein Rost erforderlich, die Hölle, das sind die anderen.“ So heißt es in Sartres Drama „Die Eingeschlossenen“. Den Satz spricht eine von drei Personen, die in einen Raum eingeschlossen sind, aus dem es kein Entrinnen gibt. In diesem Raum büßen sie für ihre Schuld. Das Leben der Eingeschlossenen wird zur Hölle, weil sie unfähig sind, menschliche Beziehungen zueinander aufzubauen. Jede Person sehnt sich danach, geliebt zu werden. Aber unfähig geworden, menschlich miteinander umzugehen, reden sie, leben sie und lieben sie aneinander vorbei. Jede Person ist mit sich selbst beschäftigt,
gleichsam noch einmal in sich selbst eingeschlossen. So wird das Leben zur Hölle. Dazu braucht es weder Rost noch ewiges Feuer. Es reicht eine geschlossene Gesellschaft, in der jeder für sich allein einen Weg sucht, um damit fertig zu werden, dass es keinen Ausgang und keinen Ausweg gibt.
Die moderne Gesellschaft versteht sich nicht als geschlossene, sondern als 'offene Gesellschaft'. Die Wirklichkeit zeigt aber, dass sie sich ver-schließt: gegen Menschen, die in ihrer Not aus ihrer Heimat fliehen, gegen Menschen, die fremd und anders sind, gegen Arme in der eigenen Gesell-schaft. Die Ressourcen für Wohlstand und Teilhabe aller scheinen er-schöpft. Das löst Ängste aus. Da liegt die Versuchung nahe, sich abzu-schließen: Jeder ist sich selbst der Nächste. Ich selbst, die eigene Familie, die eigene Heimat, das eigene Land kommen zuerst.
Im Kern sind dies Reaktionen auf die Krise des Kapitalismus – eines Sys-tems, das alles Leben unter den Zwang einschließt, Geld zu vermeh-ren. Es stößt auf Grenzen, weil ihm die produktive Arbeit ausgeht, die für die Vermehrung des Geldes notwendig ist. So drohen Menschen immer mehr zu „Eingeschlossenen“ zu werden: eingeschlos-sen in den Kreislauf von Arbeit und Konsum, in dem sie isoliert vonein-ander funktionieren müssen. Menschen können eingeschlossen sein in eine Welt, in der sie dauernd berieselt und beschallt werden durch Werbung und Ratgeber, eingeschlossen in soziale Medien und Vernet-zungen, die aber das Alleinsein nicht durchbrechen können, weil in ihnen keine Begegnung von Angesicht zu Angesicht geschehen kann. Für die Eingeschlossenen kann es zwar vorübergehend Entlastung durch Unterhaltung und Events, durch Wellness-Angebote und Therapie gegen erkaltete Gefühlswelten geben. Aber dann heißt es wieder, als „Eingeschlossene“ in einer „geschlossenen Gesellschaft“ zu funktionieren – eingeschlossen in die eigene kleine Welt, in die Angst, abzustürzen und den Anschluss zu verlieren.
Psychologen sprechen von einem narzisstischen Sozialcharakter. Er beschreibt Menschen, die vor allem um sich selbst kreisen. Sie sind so in sich selbst eingeschlossen, dass der Blick nach draußen gestört ist. Es zählt nur, was für das eigene Ego und die eigene kleine Welt nützlich ist, was sie bestätigt und absichert. Abgewehrt und ver-drängt werden Probleme, die das eigene Ich herausfordern, übersteigen,
gar in Frage stellen. Dazu gehören die Probleme von Welt und Gesellschaft ebenso wie die Auseinandersetzung mit Fragen, die nicht leicht und schnell zu lösen sind, sondern intensiveres Nachdenken erfordern.
Menschen, die - „eingeschlossen“ in sich selbst – verlernen, über sich selbst hinaus hin auf andere, auf Fremde, auf das gesellschaftliche und globale Leben zu sehen und zu denken, drohen zu Unmenschen zu werden, die ihr Leben und das Leben auf dem Globus zur Hölle werden lassen. Auch Gott gerät aus dem Blick; denn er bestätigt nicht geschlossene Welten, sondern will sie überschreiten, um die in gesellschaftliche Systeme oder in sich selbst „Eingeschlossenen“ zu befreien.
Die Österliche Bußzeit konfrontiert uns mit den alten Fragen nach Schuld und Erlösung. Am heutigen Sonntag begegnen sie uns vor allem in der Geschichte vom Sündenfall und in den Versuchungen, die Jesus zu bestehen hat. Das Essen vom Baum der Erkenntnis verspricht eine Allmacht, die Menschen gleichsam zu Göttern macht. Wenn der Text von der Erkenntnis von Gut und Böse spricht, meint er Gut und Böse nicht als moralische Orientierung. Es geht um das, was für Zwecke der Macht nützlich und schädlich ist. Menschen, die sich dieser Logik unterwerfen, verraten Israels Gott und seine Wege der Befreiung. Vor dem Hintergrund des Bildes einer „geschlossenen Gesellschaft“ könnte das heute heißen: Menschen haben ein System geschaffen, in dem sie zu Eingeschlossenen“ unter der Herrschaft des Geldes geworden sind. Der Götze Geld regiert die Welt. Von ihm sind alle abhängig. In dieser „geschlossenen Gesellschaft“ haben diejenigen eine Chance, die erkennen, was nützlich oder schädlich für die Vermehrung des Geldes ist. Als nützlich erscheint es, sich gegen andere zu behaupten, als schädlich, solidarisch zu handeln.
Das Evangelium erzählt uns, wie Jesus in der Wüste vom Teufel versucht wird. Er soll Steine zu Brot machen. In einer spektakulären Selbstinszenierung sollen die Massen einmal satt werden – getreu der römischen Parole 'Brot und Spiele'. Jesus weist diese Versuchung ab; denn Israel lebt von Gottes Wort. Gemeint ist jenes Wort der Schrift, das darauf besteht, dass es keine Armen geben darf. Diese Forderung ist nicht durch einmalige Events zu erfüllen, sondern nur im Rahmen einer gesellschaftlichen Ordnung, deren Strukturen so sind, dass sie Armut verhindern.
Die zweite Versuchung zielt auf die Demonstration messianischer Macht. Jesus weist die Versuchung ab, in einem Spektakel seine göttliche Macht zu demonstrieren. Er stellt sich an die Seite der Leidenden; er hält den Opfern der Herrschaft und damit seinem Gott die Treue. So wird er selbst zum Opfer der römischen Herrschaft.
Schließlich verspricht der Teufel die Herrschaft über alles, wenn Jesus ihn anbetet. Dann aber wäre Jesus wie Adam der Versuchung erlegen, sein zu wollen „wie Götter“. Wo Menschen oder von ihnen geschaf-fene Systeme zu Göttern gemacht werden, da werden Menschen zu Sklaven, zu „Eingeschlossenen“ ihrer Systeme. Gegen den Teufel und seine Versuchungen verweist Jesus auf die Schrift. Sie erzählt davon, wie Gott sein Volk herausgeführt hat aus Situationen, in denen es unter fremder Herrschaft eingeschlossen war. Israels Gott steht in striktem Gegensatz zu „Göttern“, die Unterwerfung fordern und Menschen zu „Eingeschlossenen“ machen.
„Eingeschlossene“ befinden sich in einer Situation, die ihnen vorge-geben ist. Sie sind von einer fremden Macht beherrscht. In diesem Sinn spricht Paulus von der Macht der Sünde. Er meint die Herrschaft des römischen Imperiums, das Unterwerfung verlangt und jede Befreiung im Keim erstickt. Heute sprechen wir von struktureller Sünde. Darin drückt sich die Erfahrung aus, dass wir aus gesellschaftlichen Strukturen und ihrer Dynamik der Zerstörung als einzelne nicht einfach aussteigen können. Sie prägen uns sogar bis hinein in unser Fühlen, Denken und Handeln.
Die alten Fragen nach Erlösung, nach Schuld und Umkehr sind nicht erledigt: sie sind angesichts der globalen Dynamik der Zerstörung zu Fragen nach Leben und Tod, nach Menschlichkeit und Unmenschlichkeit geworden. Wir haben allen Grund, ihnen in der Österlichen Bußzeit Raum zu geben. Zu fragen ist dabei nach der strukturellen Sünde, die uns zu „Eingeschlossenen“ macht, aber auch nach den persönlichen und kirchlichen Verstrickungen in diese strukturelle Sünde. Obwohl Strukturen uns einschließen, sind wir nicht einfach schuldlos. Wir können solche Strukturen bejahen oder kritisieren. Wir können uns damit abfinden, als „Eingeschlossene“ zu leben, die sich aggressiv noch einmal gegenüber denen verschließen, die zu Opfern werden. Wir können aber auch die Leiden der Opfer wahrnehmen, humanitär handeln und für eine andere Gesellschaft eintreten. Wir müssen nicht zu Unmenschen werden. Wir stärken unsere Menschlichkeit, wenn wir uns denen öffnen, die unter Unrecht und Gewalt leiden und nach Wegen der Überwindung einer geschlossenen Gesellschaft suchen.
Sich diesen Fragen zu stellen, wäre eine gute Vorbereitung auf das Osterfest, auf die neue Begegnung mit Israels Gott und seinem aufer-weckten Messias. Er hat das getan, was Adam, der für die Menschheit steht, nicht getan hat. Stellvertretend für die Menschheit hat Jesus dem Gott Israels die Treue gehalten, den Götzen widerstanden und Gottes Wegen der Befreiung vertraut. In Jesu Auferweckung hat Gott den Weg seines Messias bestätigt und die Macht Roms und alle Mächte des Todes durchbrochen. Daher sieht Paulus in dem Messias Jesus den neuen Menschen, den neuen Adam, und in seiner Auferweckung den Anfang von Gottes neuer Welt: geschlossene Gesellschaften des Todes, in sich verschlossene Menschen und verschlossene Gräber werden geöff-net, damit für alle Wirklichkeit werden kann, was für den Messias schon Wirklichkeit geworden ist: Auferstehung, ein neuer Himmel und eine neue Erde. Und das alles beginnt schon auf Erden.
Gottesdienst zum 1.Mai 2017(3. Sonntag nach Ostern)
Zum DGB – Motto: Wir sind viele. Wir sind eins... (Edith Sauerbier)
Ich spreche heute hier als Gewerkschaftssekretärin des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Wir vertreten in erster Linie die Arbeitnehmenden und ihre Rechte. Wir machen auf soziale Missstände aufmerksam und fordern die Teilhabe aller am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Das Mai-Motto dieses Jahres ist: Wir sind viele. Wir sind eins.
Mit drei Unterthemen: Für soziale Gerechtigkeit. Für eine Integration, die klappt. Für eine Rente, die zum Leben reicht. Alle drei Forderungen sind aktuell und brauchen konkrete Strategien zur Umsetzung.
Wir beziehen Position gegen jede Art von Ausgrenzung, aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung, Nationalität, Religion, Alter, finanzi-eller Situation und was uns Menschen sonst noch so einfällt, um Hierarchien untereinander aufzubauen. Diese Hierarchien können zum einen dazu dienen, unser eigenes Selbstwertgefühl stärken, vor allem aber kommen sie denen zu Pass, die Macht haben, denn wenn wir damit beschäftigt sind, uns gegenseitig abzuwerten und zu beschuldigen, stellen wir nicht mehr das System insgesamt in Frage.
Als Gewerkschaften sind wir wie die Kirchen Teil dieser Gesellschaft. Und wenn es zur Zeit um etwas geht, dann um die Wertschätzung dessen, was wir als freiheitlich demokratische Grundordnung in den letzten 70 Jahren aufgebaut und gelebt haben – und um die Stärkung des Bewusst-seins, dass es uns nur gut gehen kann, wenn es allen gut geht.
Dabei stehen wir an einem interessanten Punkt: auf der einen Seite wol-len wir eine gerechtere Verteilung des Reichtums in unserer Gesellschaft hier in Deutschland, indem wir z.B fordern, dass die Aussetzung der sogenannten Reichensteuer aufgehoben wird und die Spitzensteuersätze für große Einkommen erhöht werden. Damit würde die Einnahmenseite des Staates gestärkt werden und es wäre auch wieder mehr Geld für z.B. die Sanierung von Schulen und Schwimmbädern oder auch kulturellen Einrichtungen vorhanden.
Oder auch indem wir eine sichere Rente für alle fordern! Eine Strategie dafür wäre die Aufwertung der DRV dadurch, dass mehr Menschen Beitragszahler werden und dass nicht nur Erwerbseinkommen als Bemessungsgrundlage dient, sondern auch Kapitaleinnahmen.
Oder indem wir fordern, dass es keine Minijobs mehr geben darf, sondern alle Arbeitsverhältnisse sozialversicherungspflichtig sind, was nichts anderes heißt, als die Arbeitgeber auch hier dazu zu bringen, den Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungen zu zahlen.
Oder wenn wir fordern, dass es Arbeitszeitregelungen geben muss, die Familienleben ermöglichen und gesellschaftliches Engagement in Vereinen, Kirchen und anderen Organisationen, die der Kitt unseres Zusammenlebens sind.
Hier stehen wir als Gewerkschaften ganz klar für eine gerechte Verteilung des Wohlstandes in unserer westlichen Demokratie. Und nach wie vor für die Wertschätzung der Arbeitskraft des Einzelnen, die sich an der Teilhabe am erwirtschafteten Reichtum zeigt.
Allein diese Forderungen verlangen ein Umdenken, verlangen von uns, uns als eine Gemeinschaft zu sehen, der es nur gut geht, wenn es allen gut geht. Und hier geht es mehr als nur um Charité, also Wohlfahrt. Hier
geht es um grundsätzliche Solidarität der Menschen untereinander. Was heißt, die Reichen geben mehr ab als die Armen, um das Gemeinwohl mitzutragen.
Aber damit nicht genug: noch brisanter wird es dadurch, dass wir eine gerechte Verteilung nicht nur für uns hier fordern, sondern für alle Menschen - egal in welchem Land der Erde sie leben. Es gibt ein Recht auf sauberes Wasser, frische Luft, Bildung, Gesundheitsschutz usw. Es wäre für alle genug da. Unser Planet ist groß und reich genug. Eigentlich.
Und das erfordert, diese grundsätzliche Solidarität nicht nur regional zu denken, sondern global.
Das ist unsere Aufgabe und sie hat viel damit zu tun, nicht leise zu werden, sondern für diese Überzeugung immer wieder einzutreten. Sich PartnerInnen zu suchen, wie die anderen nationalen Gewerkschaftsbünde und auch den internationalen Gewerkschaftsbund … und darüber hinaus andere PartnerInnen wie die Kirchen, Umweltorganisationen, Menschen-rechtsorganisationen, …. um laut zu sein und wirksam. Denn: wir sind viele. Wir sind eins. Gelebte Solidarität ist die Voraussetzung für unsere Zukunft. Nur durch sie wird Zukunft möglich. Und hier sind wir alle gefragt.
Zu den Grenzen sozialer Bewegungen (Günther Salz): KAB als AN-Bewegung
Ich spreche als Vertreter der KAB als einer konfessionell geprägten Bewe-gung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ähnlich wie die Ge-werkschaften auf gut 150 Jahre Organisations- und Bewegungsge-schichte zurückblicken kann. Auch wir setzen uns für soziale Gerech-tigkeit, gute Arbeit, Mitbestimmung im Betrieb, anständige Mindestlöhne und eine armutsfeste Rente ein. Vor kurzem haben wir ein neues Leitbild beschlossen, wonach wir in Würde und Solidarität arbeiten und leben wollen. Dafür wollen wir uns als Teil einer internationalen Bewegung einsetzen und konstruktive Kritik an Missständen üben. Wir wollen, dass alle ein gutes Leben haben.
Wenn man das so hört, merkt man, dass wir in unserem Denken und Tun den Gewerkschaften sehr ähnlich sind. Deshalb arbeiten wir ja auch vernünftigerweise mit ihnen zusammen. So konnten wir uns am Aufbau und Erhalt des Sozialstaates erfolgreich beteiligen.
Viele Mitglieder sind mit diesem Zwischenergebnis ganz zufrieden und leben wie auf einer Insel der Seligen. Wenn man aber einen genaueren Blick auf die Welt wirft, drängt sich der Eindruck auf, dass wir uns tatsächlich im Auge eines Taifuns befinden, dessen Zentrum sich wie eine angestrengte Stille, wie eine zum Bersten gefüllte Luftblase anfühlt, die jeden Augenblick platzen und in einen wüsten Sturm übergehen kann. Und dieser Sturm tobt ja bereits um uns herum: Die internationalen Spannungen wachsen genauso wie die soziale Ungleichheit. Millionen Menschen fliehen vor Hunger und Krieg, werden von Konzernen von ihrem Land vertrieben oder bis aufs Blut ausgebeutet und wie Sklaven gehalten. Machen wir uns nichts vor: angesichts der internationalen Verflechtungen können wir nicht mehr so tun, als ob uns das alles nichts anginge. Es hat eine gewisse historische Tragik, dass die vielen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und aus Afrika ausgerechnet nach Europa wollen, gerade in die Weltregion, von der der Sturm des sog. Fortschritts im 16. und 17. Jahrhundert ausging.
Hier begann das, was wir inzwischen „Kapitalismus“ nennen. Eine Produktionsweise, die sich nur erhalten kann, indem sie sich ausdehnt, die sich ausbreitet wie ein Krebs. Ein System, das auf Ausbeutung von Mensch und Natur, universaler Konkurrenz, globalem Herrschaftsstreben und blindem Wachstumszwang beruht. Dabei ist sein Grundprinzip so leer und inhaltslos wie das Auge eines Taifuns: Es geht nicht darum, die Menschen satt und froh zu machen, sondern darum, aus Geld mehr Geld zu machen. Menschen und die von ihnen erzeugten Güter sind nur Mittel zu diesem irrationalen Zweck. Ihm werden Mensch und Natur geopfert.
Papst Franziskus hat diesen Sachverhalt als tiefe Krise des modernen Menschen bezeichnet, als „Fetischismus des Geldes“, der eine „Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel“ zur Folge hat. Diese Wirtschaft leugne den Vorrang des Menschen. Diese Wirtschaft tötet. Aber wenn das richtig ist, dann ist es auch unsere Arbeit, auf die wir so stolz sind, die tötet. In verkehrten und zerstörerischen Verhältnisse kann es keine „gute Arbeit“ geben, selbst dann nicht, wenn der Vorrang der Arbeit vor dem Kapital durchgesetzt würde, aber der Fetischismus des Geldes bliebe.
Diese Problemstellung wirft grundsätzliche Fragen an die Arbeiterbewe-gung, aber auch an die Kirche und ihre Gläubigen auf. Sind wir gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst Komplizen und Diener der Zerstörung? Haben wir unsere einstigen Visionen einer Gesellschaft ohne Klassen und Ausbeutung und ohne jede Unterdrückung vergessen? Oder waren es von vornherein zu kurz gegriffene Vorstellungen, die sich nur im System bewegten? Gehen die biblischen Befreiungstraditionen darüber hinaus? Falls ja, warum ist so wenig davon im gewöhnlichen Kirchenleben zu sehen und zu spüren? Es wird Zeit, diese u.a. Fragen zu stellen. Denn der Zustand der Welt drängt zur Umkehr. Wie kann diese gelingen? Stellen wir uns diesen Fragen, nicht nur als lesende Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern auch als Christen und alle Menschen guten Willens.
Lesung: Apg 5,27b-32.40b-41 (3. Sonntag der Osterzeit); Hinführung: Die Botschaft von der Auferweckung des gekreuzigten Messias führt die Apostel in Konflikte. Sie entstehen zwischen Juden, die an den Messias Jesus glauben, und den Leitungen jüdischer Gemeinden. Nach den Ver-wüstungen durch den Krieg der Römer gegen die Juden fürchten sie, die Römer würden erneut zur Gewalt greifen, weil messianische Bewegungen der römischen Herrschaft widerstehen. Theologisch wird der Konflikt im Streit um den Namen Gottes ausgetragen. Den Anhängern des Messias Jesus wird verboten für den Messias und die messianische Bewegung den Namen Gottes zu beanspruchen. Die messianische Bewegung besteht aber gerade darauf: Im Messias Jesus und in der messianischen Bewegung geschieht genau die Befreiung, die mit dem Namen von Israels Gott gemeint ist.
Evangelium: Lk 24,13-55 Auslegung (Heri Böttcher/Ingo Schrooten)
„Ihre Augen waren gehalten...“ So beschreibt unser Evangelium die Emmausjünger. Etwas weniger vornehm formuliert heißt das: Sie waren mit Blindheit geschlagen. Sie waren geblendet von der Unmittelbarkeit der Eindrücke, die mit der Katastrophe verbunden waren. Sie konnten sie nichts erkennen und nichts begreifen.
Beim Lesen des Textes kam mir als Assoziation zu unserer Gegenwart: Der Globus treibt in die Katastrophe und viele sind mit Blindheit ge-schlagen. Blind leugnen die einen Krise und Katastrophen, andere rennen in blindem Aktionismus immer wieder neu gegen die Wand. Irgendetwas muss doch gehen: Und so wird für Forderungen mobilisiert: Umverteilung, gute Arbeit und gutes Leben für alle... Nur eines wird oft nicht gesehen: Das alles geht nur, wenn – wie Papst Franziskus sagt - dem „Fetischis-mus des Geldes“ nicht mehr geopfert wird. Er beruht auf dem Dogma,
dass die Geldvermehrung als Selbstzweck der modernen Gesellschaften akzeptiert werden muss. Dieses Dogma macht blind. Es suggeriert, dass alle Forderungen nur zu verwirklichen sind, wenn die Dynamik der Ver-mehrung des Geldes gelingt. Der Motor der Geldvermehrung läuft aber nur, wenn er genügend Arbeit verbrennen kann. Sie aber muss ihm ent-zogen und im Interesse der Konkurrenzfähigkeit durch Technologie er-setzt werden. Der Motor gerät in die Krise. Er produziert Zerstörung. Gibt es eine Heilung von einer Blindheit, die auch in der Krise davon träumt, der Motor könne auch ohne den Brennstoff der Arbeit funktionieren?
Schauen wir auf die Emmausjünger! Ihre Blindheit wird dadurch geheilt, dass sie mit dem Ganzen konfrontiert werden. Sie müssen lernen, dass sie sich aus der Unmittelbarkeit des Geschehens in Jerusalem lösen, zu diesem reflektierende Distanz gewinnen. Diese Distanz verschafft die Konfrontation mit der Schrift und ihrer Erzählung der ganzen Geschichte der Befreiung. Im Horizont des Ganzen können sie die Erfahrung des gekreuzigten Messias verstehen. Sie beginnen zu erkennen: Das unmittelbare empirische Ereignis der Kreuzigung des Messias sagt: Tot ist tot. Alle Hoffnungen sind gescheitert. Konfrontiert mit dem Ganzen von Gottes Wegen der Befreiung wird aber etwas anderes erkennbar: Die Logik der Schrift legt nahe, dass Israels Gott seinen Messias nicht im Tod lässt, sondern gerade den aufrichtet, der sich der Macht des römischen Systems mit der ganzen Macht seines Leben entgegen gestellt hatte. Im Horizont des Ganzen löst sich eine Blindheit, die auf die Unmittelbarkeit von Ereignissen und Erfahrungen fixiert bleibt.
Wer Auswege aus der Krise sucht, muss das Ganze in den Blick nehmen. Heute wäre es das Ganze der gesellschaftlichen Verhältnisse, die durch den Fetischismus des Geldes bestimmt sind. Es gibt keinen Ort, zu dem sich vor der Herrschaft fliehen ließe, die von der Vermehrung des Geldes als Selbstzweck ausgeht: keine Demokratie, keine Menschenrechte, keine Würde des Menschen. All das steht unter Finanzierungsvorbehalt und ist abhängig von der Vermehrung des Geldes.
Der Weg von der Blindheit zur Erkenntnis führt die Emmausjünger zum gebrochenen Brot. In ihm wird Gottes Alternative zur Herrschaft des Mam-mon sichtbar. Nicht um den Götzen Mammon, sondern um das Brot, um die Bedürfnisse menschlichen Lebens muss sich die Gesellschaft zentrie-ren. Gerade als Zeichen für die Bedürfnisse des menschlichen Lebens ist das Brechen des Brotes Zeichen für Jesus selbst, der sein Leben einge-setzt hat, damit Menschen - vom Mammon und goldenen Kälbern befreit - leben können. In seinem Leben, seinem Sterben und seiner Auferwek-kung wird deutlich: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon, nicht Israels Gott der Befreiung und zugleich dem Fetischismus des Geldes.
Von dieser Erkenntnis und deren vertiefender Reflexion in Jerusalem geht mit Pfingsten eine neue Bewegung aus. Sie kann uns daran erinnern, dass, wer nicht in blinder Verweigerung von Erkenntnis oder in blindem Aktionismus stecken bleiben will, das Ganze in den Blick nehmen muss. Angesichts der Krisenverhältnisse unserer Gegenwart wird immer deutlicher: Ein bisschen Gott und ein bisschen Mammon, ein bisschen Brot und ein bisschen Akkumulation geht nicht. Alle Detailforderungen, die sich auf das Leben von Menschen beziehen, sind nur realistisch, wenn es gelingt, mit dem „Fetischismus des Geldes“ zu brechen. Das spricht nicht dagegen, sich für aktuelle Forderungen einzusetzen, sondern dafür, es mit der Erkenntnis und der Zuspitzung zu tun, dass sie nur zu verwirk-lichen sind, wenn es gelingt, statt des Geldes das Brot in das Zentrum des menschlichen Zusammenlebens zu stellen.