Spiritualität
Gottesdienst zum 1. Mai 2019
Texte aus einem Gottesdienst am 3. Sonntag nach Ostern
Kyrie
Herr Jesus Christus,
Du bist aufgestanden gegen die Gewalt der römischen Herrschaft.
Herr, erbarme dich!
Als Du am Kreuz Roms hingerichtet wurdest, ist Gott für dich aufgestanden.
Christus, erbarme dich!
Du stehst mit allen auf, die sich an die Seite der Opfer ungerechter Strukturen und ihrer tödlichen Macht stellen.
Herr, erbarme dich!
Lesung: Offb 5, 11-14
Impuls (Ingo Schrooten)
• Dem geschlachteten Lamm gilt das, was der Kaiser für sich im Kaiserkult beansprucht.
• Christliche Liturgie als Gegeninszenierung zum Kaiserkult
• Was in der Liturgie gefeiert wird, soll in der Gesellschaft und gegen sie gelebt werden.
• Orientierung dafür sind diejenigen, die unter den heutigen Herrschaftsverhältnissen zu abgeschlachteten Opfern werden.
Impuls (Günther Salz)
In diesem Jahr haben die deutschen Gewerkschaften den 1. Mai unter dem Motto
„Europa. Jetzt aber richtig!“ begangen. Das Projekt „Europa“ habe jahrzehntelangen Frieden und gerade für Deutschland viele Vorteile gebracht. Dennoch hätten die Interessen der Märkte oft Vorrang vor sozialen Belangen. Deshalb fordert der DGB europaweite Standards für gute Arbeitsbedingungen, gleiche Chancen für Frauen und Männer und ein Programm für Zukunftsinvestitionen, das Wachstum, Arbeitsplätze, Bildung und Wohlstand für alle fördert. Außerdem müsse die EU Vorbild für eine faire Globalisierung werden.
Die KAB fordert in einer gemeinsamen Erklärung mit der Weltbewegung christlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Arbeit für alle mit Existenz sichernden Löhnen.
Alle drei Vereinigungen wollen Europa sozialer und gerechter machen und grenzen sich scharf von Rechtspopulismus, Nationalismus und Rassismus ab.
Europa ist aber nicht einfach ein Hort des Friedens, der lediglich etwas sozial nachgebessert werden muss. Erinnern wir uns:
Von Europa ging die Eroberung Amerikas und die Unterwerfung indigener Völker aus – verbunden mit einem Völkermord, der vielen Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Dabei wurden Strukturen der Abhängigkeit geschaffen, die bis heute wirksam sind. Das alles geschah zuerst legitimiert durch das Christentum, später durch bürgerliche Vernunft, Menschenrechte und die Überlegenheit der europäischen Kultur.
Je mehr Länder und Kontinente unterworfen wurden, um so stärker wurde auch der Konkurrenzkampf zwischen den aggressiven europäischen Nationalstaaten. Dieser Kampf kulminierte dann im Zeitalter des Imperialismus in Form von Nationalismus, Antisemitismus, Faschismus und Nationalsozialismus, was in den 1. und den 2. Weltkrieg und die Vernichtung der Juden einmündete.
Nach der Katastrophe des 20. Jahrhundert wollten die westlichen Siegermächte eine neue stabile Friedensordnung in Europa durch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum und mit Hilfe gemeinsamer Werte errichten. Auf der Grundlage wachsender kapitalistischer Wertschöpfung ist das bis zu Beginn der 1970er Jahre für Europa gelungen – allerdings zu Lasten der Zweidrittelwelt. Mit Einbrüchen bei der Verwertung des Kapitals begann die Phase des Sozialabbaus und einer Verschul-dungskrise, die zuerst Länder der Zweidrittelwelt und spätestens mit der Wirtschafts- und Finanzkrise auch die sog. „entwickelten Länder“ traf.
Die Staatsverschuldung wuchs sprunghaft und die Ökonomien der südeuropäischen Länder gingen in die Knie. Griechische Rentner brachen weinend vor leeren Geldautomaten zusammen. In vielen Länder der Zweidrittelwelt sind die sozialen und ökologischen Grundlagen des Lebens zerstört. Staaten zerfallen, weil ihre Wirtschaft in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt keine Chance hat. Europa, das sich als Wirtschaftsmacht zusammengeschlossen hat, um sich in der Konkurrenz vor allem gegenüber den USA und China behaupten zu können, schottet sich aggressiv gegenüber den Flüchtlingen, den Opfern der Zerstörungsprozesse, ab. Nicht zuletzt soll damit der innere Zerfall Europas in Nationalismus und Rassismus abgewehrt werden.
Wer Gerechtigkeit und Frieden will, muss sich mit den tieferen Ursachen dieser Erscheinungen und Widersprüche auseinandersetzen.
Sie liegen im Wesen der Produktions- und Lebensweise, die wir „Kapitalismus“ nennen. In dieser ist das Kapital die Hauptsache; die Menschen sind Nebensache. Sie sollen mit produktiver Arbeit vorgeschossenes Geld in mehr Geld, also in Kapital verwandeln. Ohne produktive Arbeit lässt sich kein Kapital vermehren. Genau hier liegt der Haken. Um in der Konkurrenz mithalten zu können, sind die Unternehmen gezwungen, Arbeit durch Technologie zu ersetzen. Damit aber wird die Grundlage für die Vermehrung des Kapitals entzogen. Das System zerstört sich selbst. Die Folgen: Menschen werden als Überflüssige zu „Müll und Abfall“ (Papst Franziskus). Die sozialen und ökologischen Grundlagen des Lebens werden zerstört.
Was bedeutet das für uns, die wir alle - ob Unternehmer oder Arbeitnehmer, ob Produzent oder Konsument, ob Frau oder Mann, - Teil der verrückten kapitalistischen Maschinerie sind?
Die Situation macht ohnmächtig und hilflos. Wenn wir die Katastrophe nicht einfach hinnehmen wollen, wäre zunächst wichtig, die Probleme in ihren Zusammenhängen zu begreifen und deutlich zu machen, dass wir mit einem System nicht einverstanden sind, das in den Tod treibt. Erst auf dieser Grundlage lässt sich über Alternativen nachdenken.
Evangelium: Joh 21, 1-19 (Herbert Günther)
Impuls (Heri Böttcher)
Johannes lässt in seinem Evangelium Petrus in den Hintergrund treten. Im Vordergrund stehen Maria Magdalena und der Jünger, den Jesus liebte. Maria Magdalena ist die erste, der sich der Auferstandene zu erkennen gibt. Der sog. Lieblingsjünger „kam als erster ans Grab“ - wie der Evangelist Johannes betont (20,4). Petrus folgt ihm.
Petrus, der seit seiner Verleugnung Jesu untergetaucht scheint, taucht erst später wieder auf, genauer gesagt, in einem später hinzu gefügten Teil des Evangeliums, den wir heute gehört haben. Und auch hier ist es wieder der „Jünger, den Jesus liebte“, der zu Petrus sagt: „Es ist der Herr.“ (21,7)
Nach dem Mahl mit dem Auferstandenen und bevor Petrus die Aufgabe bekommt, die messianische Gemeinde zu weiden, wird er einer peinlich wirkenden Befragung unterzogen. Die Übersetzung mit „Liebst du mich mehr als die anderen?“ (21,15) führt in die Irre. Eher wäre zu übersetzten: „Bist du solidarischer mit mir als die anderen?“ Um Solidarität geht es im gesamten Evangelium des Johannes. Es ist die Solidarität jener, die unter der Weltherrschaft Roms zu leiden haben. In dieser Solidarität hatte Petrus versagt und den Messias verleugnet, während der sog. Lieblingsjünger diejenigen verkörpert, die den Weg der Solidarität gehen.
Die messianische Gemeinde weiden kann Petrus nur, wenn er solidarisch mit den Opfern der römischen Gewaltherrschaft ist und darin der Spur des Lieblingsjüngers folgt. Wenn es also eine Autorität in den messianischen Gemeinden geben soll, dann nur, wenn sie sich einer anderen Autorität unterwirft, der Autorität derer, die unter Unrecht und Gewalt leiden. Dieser Perspektivwechsel zum solidarischen Dienst gegenüber den Opfern ist Petrus und der gesamten Kirche, die sich in den ersten Jahrhunderten herausbildet, zugemutet. Wer sie weiden soll, muss ihr auf diesem Weg vorangehen.
Wer solidarisch ist mit dem gekreuzigten Messias und mit allen Opfern von Unrecht und Gewalt, hört auf die Stimmen derer, die unter der Herrschaft tödlicher Strukturen leiden. Wer den Weg des Messias gehen will, muss sich wie Petrus zu den Opfern bekehren. Ihr Leid gibt zu denken, gibt heute kritisch zu denken über die Rolle Europas, das sich vollmundig brüstet, Hort der Freiheit und der Menschenrechte zu sein, beides aber nur denen vorbehält, die erfolgreich sind im Kampf um die Vermehrung abstrakten Reichtums, der sich in Geld ausdrückt. Der Rest ist überflüssig. Für ihn gibt es weder Freiheit noch Menschenrechte. Gegenüber den Opfern werden die Schotten dicht gemacht.
Der Weg der Solidarität unter der Autorität der Opfer, dem die Kirche in Treue zu ihrem Messias verpflichtet ist, kann sich über die Grenzen der Kirche hinaus als Weg zu einer menschlichen Welt erweisen – nämlich dann, wenn es gelingt, mit der Autorität des abstrakten Reichtums zu brechen und an seine Stelle, die Menschen treten zu lassen, die am meisten angewiesen sind auf das, was zum Leben notwendig ist, auf Brot und Wein, auf Zugang zu dem, was die Grundbedürfnisse des Lebens befriedigt, aber auch zu dem, was Freude am Leben schenkt. Dabei ist die Kirche nicht einfach die Lehrmeisterin der Solidarität. Wie Petrus muss sie gerade angesichts ihres Versagens diesen Weg immer neu lernen – nicht zuletzt von denen, die ihn außerhalb der Kirche mit analytischer Kraft und Entschiedenheit gehen. Von ihnen lernend und in Solidarität mit ihnen kann sie einen Betrag leisten, für eine solidarische Welt, in der Menschlichkeit und Freude am Leben miteinander geteilt werden und die so einen Vorgeschmack dessen schenken kann, was das Leben in Fülle im Reich Gottes, in einem neuen Himmel und einer neuen Erde ausmacht.
Fürbitten
Guter Gott, in der Auferweckung des gekreuzigten Messias hast du dich als Gott des Lebens und der Befreiung gezeigt. Was du für ihn hast Wirklichkeit werden lassen, steht aber für so viele Menschen noch aus. Wir nehmen dich bei deinem Wort und bitten dich:
für Arbeiterinnen und Arbeiter, die in den Schwitzbuden, den Minen oder in den Fabriken dieser Welt für einen Hungerlohn schuften müssen:
um Solidarität, um die Kraft des Widerstands gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen
Gott des Lebens...
für Frauen in der Zweidrittelwelt, die oft Übermenschliches leisten müssen, um die Folgen von Wirtschafts- und Klimakrisen, von Arbeitsunfällen und Missernten, von Krankheiten und Hunger abzumildern und den sozialen Zusammenhalt ihrer Familien aufrecht zu erhalten:
um Hoffnung gegen Resignation und Verzweiflung, um Mitmenschen, die ihnen zur Seite stehen
Gott des Lebens...
für Menschen, die es in ihrer Heimat nicht mehr aushalten, für alle, die fliehen müssen, weil sie von ihrem Land vertrieben werden, für diejenigen, die aufbrechen, um eine besseres Leben zu suchen:
um Orte zum Leben, um Länder und Menschen, die sie gastfreundlich aufnehmen
Gott des Lebens…
für Menschen in den wohlhabenden Ländern, die oft gedankenlos auf Kosten der Armen und der Schöpfung leben:
um Erkenntnis der Strukturen des Todes und der Sünde, um Umkehr, um den Geist prophetischer Kritik, um die Suche nach einer Produktionsweise, die im Dienst des Lebens aller steht
Gott des Lebens…
für alle, die sich in Nationalismus und Rassismus, in Antiziganismus und Antisemitismus einschließen und darin einen Ausweg aus der Krise des Kapitalismus suchen:
um Öffnung ihrer Herzen und Empfindsamkeit für die Leiden der Opfer, um Einsicht und Erkenntnis, um Umkehr zum Leben
für die Schülerinnen und Schüler, die freitags für den Schutz der Natur und für eine bewohnbare Erde auf die Straßen gehen:
um Ausdauer und Erkenntnis der Strukturen, die unsere Lebensgrundlagen zerstören, um Menschen, die sich von ihrem Engagement anrühren und anstoßen lassen
Gott des Lebens…
für alle, die ihr Leben im Kampf um Gerechtigkeit und Solidarität lassen mussten, für Menschenrechtler, für Gewerkschafter und Umweltschützer, für alle Opfer der Kriege und der Eroberungen, für die Opfer struktureller Gewalt und für alle unsere Toten:
um Gerechtigkeit in deiner neuen Welt, um Frieden in deinem Reich, um Trost für alle, die um Tote trauern
Gott des Lebens
Um all das bitten wir in der Kraft des Auferstandenen und der Kraft deines Geistes, der in ihm lebendig ist.