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Impuls zum 28. März 2021

Zum Palmsonntag

Von Reinhard J. Voß, Wethen

„Bejubelter Einzug Jesu auf einem Esel nach Jerusalem – 
Beispiel einer paradoxen Intervention zwischen Krippe und Kreuz

Einführung: Der Esel von Bethanien
Jesus reitet auf einem Esel nach Jerusalem hinauf, die Menge begrüßt ihn jubelnd mit Palmzweigen in den Händen. Ist er der Messias, der Retter, der neue König? Der Prophet Sacharja (9,9) hatte jedenfalls verheißen, dass ein König auf einem Esel kommen und Frieden bringen werde. (Evangelium nach Matthäus, Kapitel 21)
Die “Hohenpriester der Juden”, also das religiöse Establishment in Jerusalem und die römischen Besatzer bangen um ihre Macht: ein König? Frieden? Oder doch ein Umsturz? Jesus hat drei Jahre lang im ganzen Land gepredigt, aber als er zum Tempel in die Hauptstadt kommt und dabei noch Assoziationen an alte Verheißungen weckt, schrillen bei den Mächtigen die Alarmglocken. Fünf Tage später ist Jesus tot.

Aber ist es nicht genau das, was damals in Jerusalem passierte? “Die Menge” jubelt Jesus zu und ruft “Hosianna dem Sohne Davids”. Ganz Jerusalem ist zusammengekommen! Fünf Tage später ist wieder “die ganze Stadt” versammelt und “die Menge” schreit “Kreuzige ihn!”
                                   
Und ich? Wo in dieser Menge stehe ich? Und was mache ich, wenn sie neben mir schreien?  

Dabei muss ich an unsere Politiker*innen denken, nein, eigentlich an alle “öffentlichen” Personen, die im Rampenlicht stehen. Da gibt es welche, die anscheinend nur nach den nächsten Umfragewerten und Schlagzeilen schielen und ihr Fähnchen ständig nach dem Wind drehen. Andere stehen wie ein Fels in der Brandung und scheren sich nicht um die öffentliche Meinung. Auf der anderen Seite stehen wir, Liesel Schmitz und Heinz Müller. Wir sind das Volk. Ich vergesse nicht, dass vor 25 Jahren, “das Volk” in einer friedlichen Demonstration, mit Kerzen und Gebeten eine Mauer zum Einsturz brachte. Und ich konnte kaum fassen, dass vor kurzem dasselbe (?) Volk schutzsuchende Menschen bedrohte.

(Blog aus dem Jahr 2014 von Schw. Barbara in Bethanien bei Jerusalem)
Vier Gedanken zu Jesus auf dem Esel
Liebe Gemeinde! Ein feierlicher Einzug auf einem Esel? Ja! 

Das Gemeindeblatt aus der katholischen Gemeinde in Volkmarsen (Nordhessen) kommentiert mit Worten von Michael Tillmann: „Er reitet auf einem Esel. Niemand, der nach heutigen Maßstäben etwas gelten will – und das war damals nicht anders – reitet auf einem Esel. Es ist die Karikatur eines Triumphzuges, wie ihn römische Kaiser und Feldherren nach erfolgreichen Kriegen in Rom zelebrierten. Ein Esel. So kommt kein Kriegsheld, sondern jemand der anderes im Sinn hat. Jesus begegnet mir bei seinem Einzug in Jerusalem sehr friedlich, sanftmütig und achtsam.“

Dazu ein erster Gedanke: Dieser Einzug ist in der Tat ein beeindruckendes Beispiel christlicher Gewaltfreiheit! Triumph bedeutet stets eigenes Groß machen und das Klein machen der Anderen. Jesus zeigt wieviel Würde in demonstrativer Bescheidenheit steckt. Und er widersetzt sich dem römischen Reichsanspruch über Palästina und über so viele weitere Länder, die die aktuelle Großmacht sich unterworfen hatte. Er „dekretiert“: ich sitze auf einem Esel und setze auf „Esel statt Pferd“!  Wenige Tage später wird er zunächst von seinen Freunden fordern, vom letzten Geld ein paar Schwerter zur Selbstverteidigung zu kaufen (Lk 22, 36-38; auch Mt 26,51f.). Und er wird dem Petrus, der ihn damit bei der Gefangennahme am Ölberg verteidigen will, das Schwert aus der Hand nehmen. 1934 beruft sich Bonhoeffer genau darauf, als er seinen Mitchrist*innen zuruft, der „rasenden Welt“ das Schwert aus der Hand zu nehmen!

Ein zweiter Gedanke: Einer meiner Lehrer, Horst-Eberhard Richter, schrieb 1981 in seinem Buch „Alle redeten vom Frieden“ über eine gewaltfreie Möglichkeit: „Die paradoxe Intervention“. Im gleichen Jahrzehnt empfahl Paul Zulehner (Prof. in Wien) seinen christlichen Zeitgenoss*innen, ihr Dasein in der Nachfolge Jesu als „Kontrastgesellschaft“ zur „Welt“ zu verstehen und zu leben. Und Jesus sagte sinngemäß: „Ihr seht, wie die Mächtigen in der Welt sich streiten, zu vernichten suchen und um Posten rangeln. Bei euch soll es nicht so sein!“ 

Dieser Impuls des notwendigen Kontrastes hat mich begleitet, als ich mit meiner Familie Mitte der 80er Jahre in die Ökumenische Gemeinschaft Wethen zog, wo wir eben dies bis heute versuchen. Und dieser Gedanke des unerwarteten gewaltfreien Eingreifens oder des Unterbrechens der Gewalt-Logik ist auch verknüpfbar mit dem Rat der Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit. Dabei denke ich sofort an den Esel von Bileam (4 Mose 22), der mit seinen störrischen Stopps seinem Herrn das Leben rettete.

Ein dritter Gedanke: Jesu Weinen über Jerusalem und dieser Einzug: „Wehe dir, Jerusalem, du weißt nicht was dir zum Besten dient!“ sagte, klagte und weinte Jesus beim Anblick Jerusalems. Er zeigt nun mit seinem definitiven Ohnmachts-Anspruch beim Einzug auf dem Esel, was er im Weinen schon vermisst und gefordert hat: Nicht den gewaltsamen Aufstand der Zeloten seiner Zeit, der letztlich dazu führt, dass die Römer Jerusalem im Jahre 70 dann bis auf die Grundmauern zerstörten, sondern die stille Art der Bekehrung des Unterdrückers ist zukunftsfähig beim Weg in eine gerechtere, friedlichere und achtsame Welt. Nicht wieder Zerstörung, Deportation, Zerstreuung der Bewohner Jerusalems - wie im Alten Testament, wie in der Generation nach Christus, und wie im Mittelalter. Ich denke an die grausamen und blutrünstigen Kreuzzügler, die diese Stadt und ihre Bewohner*innen erneut zerstörten und Christi Botschaft der Gewaltfreiheit verdunkelten. Und ich mag nicht verhehlen den heutigen Kampf der Regierung Israels gegen das palästinensische Volk, der mit dessen versuchter Vertreibung aus Ostjerusalem aktuell weitergeführt wird. 

Dieser Einzug auf dem Esel – ein vierter und letzter Gedanke zu Krippe und Kreuz – erinnert schließlich doch sehr frappierend an den Auszug der Familie des neu geborenen Jesus aus Bethlehem, an die Flucht Josefs mit Maria und deren Kind von Bethlehem nach Ägypten, auf einem Esel – aus Furcht vor der Bedrohung aus dem damals römischen Verwaltungszentrum Jerusalem. Herodes wollte keinen Widerstand dulden und all solches eher im Keim ersticken. Auch diese Parallele zwischen Krippe und Kreuz sollte uns zu denken geben. 

In diesem Sommer 2021 werden wir im Laurentiuskonvent eine Exerzitien-Woche halten – mit Impulsen des alten Schweizer Freundes Hans-Ueli Gerber, der uns aus seinem mennonitischen Hintergrund die „Freude des Evangeliums durch die Not von Krippe und Kreuz“ erschließt. Palmsonntag ist für mich so etwas wie die Synthese von Krippe und Kreuz: der Einzug des gewaltfreien Jesus mit dessen Freunden und Freundinnen in Jerusalem – wenige Tage vor Verrat und Tod. 

Meditationstext (statt Fürbitten)
Wir sind in diesem 2. Pandemie-Jahr noch immer in einer schwer lastenden Zeit zwischen Weihnachten und Ostern, zwischen Krippe und Kreuz, zwischen Passion und Auferstehen. 

Perspektiven einer christlichen Spiritualität der Welt-Verantwortung mögen uns tragen!

Wir sind beauftragt als Teil des pilgernden Gottesvolkes:
  • Die Bibel umsetzen, den hebräisch-christlichen Weg neu erkennen und Jesus nachfolgen.

Wir sind gerufen heraus aus einer schleichenden Verzweiflung: 
  • Das „Man kann ja doch nichts tun“ ist die moderne Form des Unglaubens. (D. Sölle)

Wir sind ermächtigt und gestärkt in aller Ohnmacht durch Jesu Bekenntnis und Widerstand:
  • Denn wir haben einen Schatz in irdenen Gefäßen von Jesus Christus geerbt: Johannes ermordet aus purer Macht und Lust; Jesus ans Kreuz geschlagen, Seine Jünger*innen-Gemeinde geschockt und erweckt, Seinen Tod und die Auferstehung bezeugt in Märtyrer*innen, Prophet*innen, Pastor*innen, Lehrer*innen und Reformer*innen. Bis heute.

Wir sind geborgen in Gottes Zusage:
  • „Wir erwarten einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt!“ (Auch ein wundervoller Kanon!)

Wir sind angezogen durch die Vision von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, durch die Vision von Leben in Fülle.
  • Lasst uns das Leben feiern und teilen - inmitten aller Bedrohungen!

(Aus meinem Impulsvortrag über „Spiritualität“ in spannungsreicher Zeit am 21.7. 1989 im Ökumenischen Kirchenzentrum Meschede; leicht aktualisiert nach über 30 Jahren)

Schluss-Worte
Kurz nach dem friedlichen Tod meines Vaters Franz am Bonhoeffer-Todestag (9.4.45) tröstete mich 2001 ein alter pax christi-Freund, Theo Köhren aus Brilon, mit diesem Rat: Passion und Auferstehung sind immer zusammen zu sehen! Er schickte mir zum Trost Worte des Jesuitenpaters Alfred Delp aus dem Gefängnis im katholischen Widerstand gegen Nazideutschland, mit denen diese Andacht beschlossen werden soll: 

„Wer dem Leben seine Bitterkeiten und Härten nimmt, der verharmlost es und nimmt auch unseren Freuden die echte Tiefe, weil er unseren Herzen die große Stärke nimmt. Das gilt auch und erst recht für das Leben der Christen.“ (Alfred Delp, Gesammelte Schriften Bd.2, hgg. v. Roman Bleistein-Knedel, S. 223f.) 

Dann sagte Delp weiter, dass Christ*innen zu oft nur den „kurzschlüssigen Trost“ suchten. Und Theo fügte hinzu: „So liegen Passion und Auferstehung eng zusammen …, damit Friede in der Welt und in uns werden kann.“ 

Und ich spüre auch heute noch, nach 20 Jahren und weit nach Theos Tod, die Kraft seines Wunsches „mit stillem Gruß und Schalom“. Amen.

Zum Abschluss
Ein Vater Unser, das Gebet Jesu.

Lieder
Von Huub Oosterhuis aus dem Gotteslob (GL). Die Lieder des niederländischen Befreiungstheologen passen gut in diese Woche: 

GL 42: Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (Übersetzt v. Lothar Zenetti)
GL 425: Solang es Menschen gibt auf Erden (Übersetzt v. Dieter Trautwein)

Der EVANGELIUMSTEXT zum Palmsonntag als Hintergrundtexte dieses Impulses: Mk 11, 1-10

 

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